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Lenka Reinerovä

Was immer ich über Mexiko höre,
berührt mich

Heute früh, am 10. Oktober 1997, habe ich aus dem Rundfunk erfahren, daß Mexiko
von einem wilden Hurrikan mit dem sanften Namen ‚„‚Pauline“ heimgesucht wurde,
der vor allem im Staat Guerrero und dort wiederum besonders im Prestige-Urlaubspa¬
radies Acapulco sein verheerendes Unwesen trieb. Es gab eingestürzte Häuser, zerfetzte
Strom- und Telefonleitungen und erschütternd viele Tote — wie meistens bei solchen
Katastrophen Tote vornehmlich unter den Ärmsten der Armen, deren Behausungen
dem Wüten eines solchen Orkans nicht standhalten können, wie Kartenhäuser zusam¬
menbrechen und den Menschen kein Fliehen ermöglichen.

Was immer ich über Mexiko höre, berührt mich.

Als wir, Menschen aus verschiedenen, vom Krieg überfallenen Ländern Europas im
Land der von den Europäern weiß Gott nicht jederzeit milde, geschweige denn
großzügig behandelten Indios Zuflucht fanden, wurden wir hochherzig aufgenommen.
Gewiß, die Bürger der Vereinigten Staaten von Mexiko hatten ihre revolutionären
Erfahrungen, wußten, was gnadenlose Unterdrückung, aber auch was zielbewußter
Widerstand vermögen, und sie haben es bis heute nicht vergessen. Dennoch: Da kam
eine bunt zusammengewürfelte Menschenmenge über das Meer, sprach nicht eine,
sondern gleich mehrere fremde Sprachen, brachte andere Lebensgewohnheiten mit,
hatte eine andere Hautfarbe, ließ sich bei ihnen nieder und niemand, weder die
Einheimischen noch die gerade Angekommenen wußten, ob sie kurze oder lange Zeit
oder gar für immer dableiben würden. Aber keiner fragte danach, niemand zeigte
Ungeduld, selbst die Behörden kamen den in ihr Land geflüchteten Menschen verständ¬
nisvoll entgegen.

Was immer ich über Mexiko höre, berührt mich.

Im Spiegel der Erinnerung verwischt sich natürlich allerhand, nimmt neue Konturen
an, manches verklärt sich, anderes wird verteufelt. Wenn ich im Abstand von 50 Jahren
— und das ist ein halbes Jahrhundert! — an unsere verschiedenartige und dabei doch
gemeinsame Emigrantenexistenz im fernen Mexiko denke, habe ich es wahrscheinlich
meinem Naturell zu verdanken, daß in mir überwiegend die Geborgenheit im Zusam¬
mensein lebendig geblieben ist. Ich war kaum einige Tage da, als ich von der mir bis
dahin völlig unbekannten einstigen Abgeordneten der spanischen Cortes, Margarita
Nelken, zum Mittagessen in ihrem Haus eingeladen wurde, wo sie mich ihrem aristo¬
kratischen Gemahl vorstellte. - Wie es dazu kam? Einfach so: Sie hatte erfahren, daß
ein Mädchen aus Prag allein eingetroffen sei, wollte die Junge Tschechoslowakin
kennenlernen und ihr eventuell helfen. Ihre Tochter Magda schenkte mir ein hübsches
Kleid. Diese Begegnung besteht als bleibende Erinnerung weiter.

Eine andere, die ich oft wachrufe, ist an sich kaum erinnerungswürdig. Für mich hat
sie dennoch bleibenden Wert. Es ergab sich mit der Zeit, daß ich in regelmäßigen
Intervallen mit zwei Österreicherinnen eine Plauderstunde verbrachte. Die eine war
Frau Dr. Maria Frischauf-Pappenheim, Ärztin und Dichterin, ein Stück älter als ich,
ernst und heiter, gütig. Die andere war Dr. Gertrude Kurz, technisch ausgerichtet,
unpoetisch, nüchtern und gescheit. Ich kam von meiner Arbeit in der tschechoslowa¬
kischen Exilbotschaft, die beiden hatten auch ihre Beschäftigung, und wir verbrachten
eine gemeinsame Mittagspause im Lokal der amerikanischen Schnellimbiss-Kette
„Chico“, die uns zusagte, weil man dort billig, sauber und vor allem die schmackhaften
Pancakes mit Maplesirup essen konnte. Dabei besprachen wir das Kriegsgeschehen,
die jeweiligen Emigrationsbegebenheiten und unser persönliches Auf und Ab. So
verschieden wir waren, so gut verstanden wir einander.

Es gab in Mexiko die ,,Federacién de Antifascistas Refugiados de Europa“, eine
Dachorganisation der einzelnen Emigrantenvereinigungen. Denn abgesehen von tau¬
senden republikanischen Spaniern lebten hier in jenen Jahren, wie schon angedeutet,
Exilanten aus aller Welt. Da war die französische Journalistin Simone Tery und ihr
Landsmann und spätere nahe Mitarbeiter General de Gaulles, Jacques Soustelle. Ich
sehe noch heute die imposante Gestalt und den breitkrempigen Hut des italienischen
sozialistischen Senators Francisco Frola vor mir und die schmale Figur des katholi¬

Der Zocalo von Ciudad de México
in den 30er Jahren

Kontroverse um Karl Kraus in
der Exilzeitschrift
„Demokratische Post''

Michael Eduard Flürscheim
Karl Kraus im Heine-Klub

Die Redaktion der ‚Demokratischen Post“
hat Michael Eduard Flürscheim, aus Puebla,
gebeten, uns seine Meinung über den Kraus¬
Abend im Heine-Klub mitzuteilen. Nachste¬
hend geben wir die Stellungnahme Flür¬
scheims zu diesem Abend wieder.

Mir ist nicht ganz klar geworden, welchem
seltsamen Gedankengang wir diesen Kraus¬
Abend verdanken. Niemand bezweifelt, daß
Kraus eine starke Persönlichkeit war (auch er
selbst nicht); sein dichterisches Talent steht
ebenfalls außer Zweifel und die von Albrecht
Viktor Blum vorgetragene Lyrik bewies es;
aber ... an Aktualität läßt der gute Kraus sehr

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