bestimmten Zeitschrift ‚‚Tribuna Israelita“ , die
1944 gegründet wurde, über jüdische Probleme
geschrieben.
MdZ: Bemerkenswert ist der Protest Mexikos
gegen die ,,Wiedervereinigung des Landes
Österreich mit dem Deutschen Reich“. Da stellt
sich natürlich die Frage, ob es besondere Bezie¬
hungen zwischen Mexiko und Österreich gege¬
ben hat, die dazu geführt haben, daß die Ent¬
wicklung in Österreich mit größerer Aufmerk¬
samkeit verfolgt wurde.
F.K.: Eher im Gegenteil. Der ‚große Beitrag
Österreichs“ zu Mexiko war Maximilian.
Was allerdings keine antiösterreichische
Stimmung in Mexiko hervorrief, denn
schließlich wurde Maximilian besiegt, und
man wendet sich gegen Sieger, aber nicht
gegen Besiegte. Also gab es keinen besonde¬
ren Grund, Sympathie für Österreich zu he¬
gen. Auch Österreich hat Mexiko von allen
Großmächten am spätesten anerkannt. Erst
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die di¬
plomatischen Beziehungen wieder aufge¬
nommen, weil Franz Joseph den Mexikanern
die Erschießung Maximilians nachtrug. Im
Ersten Weltkrieg, während der Revolution,
war die siegreiche Gruppe in Mexiko unter
Führung von Venestiano Caranzas sehr pro¬
deutsch. In den 20er und 30er Jahren war die
Sympathie für Deutschland sehr groß. Man
bewunderte die deutsche Industrie, vor allem
sah man Deutschland als Konkurrenten, den
man gegen die USA ausspielen könnte. Das
macht es um so bemerkenswerter, daß eine
Solidarität mit Österreich zum Ausdruck
kam; sie war mehr ein Ausdruck der Feind¬
schaft gegen Hitler. Mexiko hatte bereits vor¬
her im Völkerbund gegen die italienische
Kampagne in Abessinien und die Eroberung
Abessiniens protestiert — das fiel mehr in
diesen Rahmen. Interessanterweise ist der
Mann, der den Protest einleitete, Isidro Fabe¬
la, einer der bekanntesten mexikanischen in¬
tellektuellen Diplomaten. Fabela war kurz
nach dem Ersten Weltkrieg Botschafter in
Deutschland und der Protagonist einer Poli¬
tik, die versuchte, Mexiko in irgendeine Ver¬
bindung mit Deutschland zu bringen, um da¬
durch Widerstand gegen die USA hervorzu¬
rufen. Trotzdem, in dem Moment, wo Hitler
die Macht übernahm, schwenkte Fabela völ¬
lig um und wurde zu einem der führenden
Advokaten einer Kampagne gegen die Nazis.
MdZ: Es wurden 1934 bis 1938 bestimmte
Bedingungen geschaffen, unter denen es über¬
haupt zu einem antifaschistischen Exil in Me¬
xiko kommen konnte. Kann man sagen, daß
diese Bedingungen für die Periode bis etwa
1947/48 konstant geblieben sind’?
F.K.: Im Gegenteil, sie wurden erweitert.
Nachdem Mexiko in den Zweiten Weltkrieg
eingetreten war, wurden die Bewegungen der
Immigranten, „Freies Deutschland“, „Freies
Österreich“, „Freies Frankreich“, „‚Freies Po¬
len“, von der mexikanischen Regierung prak¬
tisch anerkannt. Viele bedeutende mexikani¬
sche Intellektuelle traten als offizielle Sponso¬
ren dieser Bewegungen auf. Man stellte ihnen
Säle zur Verfügung, sie konnten Zeitungen
herausbringen in ihrer Sprache oder auch in
Spanisch. Die mexikanische Regierung schuf
alle Bedingungen, damit diese Immigrantenor¬
ganisationen sich entwickeln konnten. Obwohl
Cärdenas 1940 abgelöst wurde, von Avila Ca¬
macho, blieb er ein wichtiger Mann der Regie¬
rung, er wurde Heeresminister während der
Camacho-Zeit. Viele der Männer, die mit ihm
in der Regierung waren, blieben einflußreich.
Ayila Camacho : "war .kein : Reformer, wie es
Cärdenas: gewesen war, aber er war Antifa¬
schist. Es war der Zweite Weltkrieg. Mexiko
war am Kriegbeteiligt, sodaß die Politik gegen¬
über den Immigranten eine günstige blieb.
MdZ: Sind mit dem Kriegseintritt Mexikos
Anfang 1942 wirtschaftliche Konsequenzen
verbunden gewesen?
F.K.: Ja, es kam zu einem enormen wirtschaft¬
lichen Aufschwung. In den USA herrschte
Hochkonjunktur. Es gab eine große Nachfrage,
zunächst nach mexikanischen Produkten, die
die USA zum Teil nicht bezahlen konnten, nach
Maschinen, weil die ganze amerikanische In¬
dustrie für den Krieg arbeitete. Mexiko hatte
zum ersten Mal einen Überschuß an Dollars,
was dann nach dem Krieg dazu führte, daß
Maschinen oder andere Importe stattfinden
konnten, die zur Industrialisierung des Landes
beitrugen. Gleichzeitig brauchten die Amerika¬
ner Arbeitskräfte auf dem Lande, weil ja sehr
viele Amerikaner in die Armee eingezogen
worden waren, und Hunderttausende mexika¬
nische Landarbeiter gingen in die Vereinigten
Staaten als Braceros, ungelernte Landarbeiter,
hier würde man „Handlanger“ sagen. Diese
haben relativ viel Geld nach Mexiko geschickt,
so daß es zu einem großen wirtschaftlichen
Aufschwung im Lande kam, der allerdings
nicht gleich verteilt war zwischen Arm und
Reich. Die Oberschicht konnte enorm prospe¬
rieren. Das gleiche galt in minderem Maße für
eine Mittelschicht, für Teile der Arbeiterschaft,
aber die Unterschichten haben kaum davon
profitiert.
MdZ: Hat es denn überhaupt unter den Immi¬
granten Fälle gegeben, die sozusagen abgesun¬
ken sind auf das Lebensniveau der mexikani¬
schen Unterschicht?
F.K.: Nein, es gab eine große Solidarität unter
den Immigranten. Man bekam auch Hilfe aus
den USA, vom Joint-Antifascist Refugee Com¬
mittee, und die jüdische Kolonie in Mexiko hat
sich sehr solidarisch mit den Immigranten ge¬
zeigt, sogar in vielen Fällen, wenn es sich um
Nicht-Juden handelte, um deutsche Nicht-Ju¬
den z.B., die aber gegen Hitler gekämpft hatten.
Durch diese Solidarität war es doch allen Im¬
migranten, die ich kannte, möglich, nicht weiß
Gott wie gut zu leben, aber zumindest ein Mi¬
nimum zu haben.
MdZ: So wie du das schilderst, könnte man
meinen, der Immigrant hätte sich in Mexiko
immer in einer Atmosphäre hohen politischen
Bewußtseins, zumindest im Kontakt mit den
Behörden, den Vertretern der Arbeiterbewe¬
gung und den kulturellen Repräsentanten, be¬
wegt. Aber es muß doch auf der anderen Seite
jede Menge kleinlicher Schikanen, z.B. von
den Kommissaren der Hafenbehörden gegen
Einreisende oder von lokalen Machthabern,
gegeben haben. Immerhin ist Mexiko ein Bun¬
desstaat...
F.K.: Ja, das gab es, besonders bei der Einwan¬
derung. Sie versuchten, die Leute zu erpressen.
Manche muften dann an Einwanderungsbe¬
amte irgendwelche Gelder zahlen, bevor man
sie hereinließ. Oft hat die Regierung eingegrif¬
fen und die Dinge erleichtert. Wenn ein Schiff
kam mit vielen Einwanderern, waren Vertreter
der jüdischen Gemeinde und Vertreter der.be¬
reits bestehenden Organisationen im Hafen,
zusammen manchmal mit Vertretern der mexi¬
kanischen Zentralbehörden, die doch ihr Bestes
taten, um den Weg zu ebnen, und. das hat
geholfen. Schikanen gab es, aber überraschend
wenig — in einem Land, wo doch traditionell °
sehr viel Korruption herrscht, aber das war
nicht das Hauptproblem in dieser Zeit. Aufent¬
haltsgenehmigungen wurden ziemlich schnell
erteilt. Staatsbürger konnte man, sehr schwer
werden. Mexiko ist kein Land, dessen Staats¬
bürgerschaft leicht zu erlangen ist. Wir beka¬
men dann eine Aufenthaltsgenehmigung, eine
„Apatrida“, d.h. „ohne Vaterland“. Das war
bei vielen so. Aus irgendeinem Grund hat man
nicht „Österreicher“ geschrieben, sondern
„,Vaterlandslos“. Aber das Recht zu arbeiten
hatte man.
MdZ: Daran waren keine besondere Bedin¬
gungen geknüpft?
F.K.: Nein. Außer der, daß man im Lande nicht
politisch tätig sein durfte. Ein beträchtlicher
Teil der Immigranten wollte mit der europäi¬
schen Politik nichts mehr zu tun haben. Für
viele jüdische Immigranten war Mexiko der
Endpunkt ihrer Reise. Sie kamen zwar zu kul¬
turellen Veranstaltungen, aber für sie war der‘
Bruch mit Österreich oder Deutschland endgül¬
tig. Außer in kultureller Hinsicht wollten sie mit
ihrem Ursprungsland nichts mehr zu tun haben.
Die meisten sind auch in Mexiko geblieben,
außer den politischen Immigranten, den
Schriftstellern und den Intellektuellen.
MdZ: Im allgemeinen erscheint das Bild der
österreichischen und deutschen Exilgruppe in
Mexiko als ein besonders harmonisches...
F.K.: Das war es wiederum nicht, weil die
Immigranten sich politisch geteilt haben. Bei
den Österreichern war es noch besser als bei
den Deutschen, weil Sozialdemokraten und
Kommunisten mehr oder weniger zusammen¬
gearbeitet haben. Monarchisten gab es kaum,
zumindest unter den Immigranten. Bei den
Deutschen gab es wenig Sozialdemokraten, es
gab Kommunisten und Trotzkisten, bzw. Kom¬
munisten, die zu Stalin hielten, und Trotzkisten.
Da gab es überhaupt keine Zusammenarbeit,
sondern andauernde schwerste Konflikte, nicht
zuletzt, weil Trotzki in Mexiko gelebt hat und
dort auf Stalins Geheiß ermordet worden war.
Aber bei den Österreichern war die Harmonie
zwischen den Sozialdemokraten und den Kom¬
munisten doch größer, und man hat versucht,
in der Kriegszeit zusammenzuarbeiten.
MdZ: Wenn man „Austria Libre“ liest, da
gewinnt man den Eindruck, daß die Kommu¬
nisten in dieser Beziehung eine gewisse Hege¬
monie ausgeübt haben.