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kratie, wie sie Mexiko seit Jahrzehnten nicht
gekannt hat, geöffnet hat.

MdZ: Das ist ein Prozeß, der noch offen
scheint, weil ja hier Tendenzen einerseits zur
Beseitigung der wenn auch geringen sozialen
Errungenschaften und andererseits zur Demo¬
kratisierung da sind, und beide natürlich nicht
nur in Widerspruch, sondern in Gegensatz zu¬
einander geraten können.

F.K.: Ja, wobei viele der sozialen Errungen¬
schaften, sofern sie demoliert wurden, bereits
unter dem Präsidenten Carlos Salinas de Gor¬
tari (1988 — 1994) demoliert wurden. Ernesto
Zedillo setzt in mancher Hinsicht die Wirt¬
schaftspolitik von Salinas fort, aber nicht des¬
sen politische Handlungsweise.

Der Unterschied ist nicht so sehr der Moneta¬
rismus als die Krise. Diese kam erst jetzt nach
der Entwertung des Pesos. 1994. Hier wurde
eine starke monetaristische Politik verfolgt,
wobei das jetzt, unter dem Eindruck der Oppo¬
sition im Parlament, langsam rückgängig ge¬
macht wird. Zedillo ist sich einer Tatsache be¬
wußt: Man kann eine brutale Politik nur ma¬
chen, wenn man eine Diktatur hat. Er hat bewu¬
Bt die Diktatur des PRI untergraben, das ist sein
großer Verdienst.

MdZ: Mexiko war lange Zeit eine Metropole
des lateinamerikanischen Verlagswesens und
Buchmarktes -in Konkurrenz mit Buenos Aires
und Bogotä. Aber das mexikanische Verlags¬
wesen und auch die Verbreitung mexikanischer
Literatur sind eigentlich noch sehr jung, gehen
auf die Cärdenas-Periode zurück. Und bis heute
sind institutionelle Verlage, wie z.B. der Verlag
der UNAM, immer noch die führenden oder die
meistproduzierenden Verlage in Mexiko.

F.K.: Der UNAM-Verlag bringt zwar sehr vie¬
le wissenschaftliche und technische Publikatio¬
nen heraus, aber am meisten Literatur wurde
und wird durch das Ministerium für Volksbil¬
dung verbreitet, in Auflagen von Hunderttau¬
senden und zu relativ günstigen Preisen. Sonst
sind aufgrund der Krise die Buchpreise so ge¬
stiegen, daß der Absatz von Büchern schlagar¬
tig zurückgegangen ist. Und es ist nur diesen
von der Regierung geförderten billigen Bü¬
chern zu verdanken, daß auch arme Leute in der
Lage sind, Bücher zu kaufen.

MdZ: Von welchem Verlag wirst du selber
betreut?

F.K.: Mein Verlag ist Ediciones Era. Ein Ver¬
lag, der viel vor allem über mexikanische So¬
zialprobleme bringt. Der Verlag hat mein Buch
„Der geheime Krieg in Mexiko“ gebracht,
druckt jetzt mein Buch über Pancho Villa, der
Regierungsverlag hat mein Buch über die Azte¬
ken wieder herausgebracht und ein anderer
Verlag eine Sammlung von Essays über die
mexikanische Geschichte. Ich habe mit ver¬
schiedenen Verlagen zusammengearbeitet.
Von meinem Buch ,,La Guerra Secreta en Mé¬
xico“, das sich mit den Großmächten und der
Revolution befaßt, wurden bisher etwa 30.000
Exemplare verkauft. Es wird vielfach auf den
Hochschulen als Lehrbuch verwendet.

MdZ: Und was erwartest du von deinem Buch
über Pancho Villa? Da muß es doch eine sehr
große konkurrierende Literatur dazu geben?

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F.K.: Es gibt ziemlich viele Werke über Villa.
Aber ich hatte das Glück, eine Dokumentation
einzusehen, die bisher niemandem zur Verfü¬
gung gestanden hat — weil die mexikanischen
Dokumente nicht greifbar waren, oder die Ak¬
ten des amerikanischen Geheimdienstes, die
ich einsehen konnte, verschlossen waren, oder
der Nachlaß verschiedener Revolutionäre nicht
verfügbar war —, so daß ich in der Lage war,
einige Dinge einzusehen, die man vorher nicht
sehen konnte. Aber sicherlich ist Villa wahr¬
scheinlich außerhalb Mexikos, abgesehen von
Jüarez und Montezuma, die bekannteste politi¬
sche Gestalt.

MdZ: Und Emiliano Zapata und Subcomman¬
dante Marcos...

F.K.: Zapata und Villa sind beide erst jetzt
wieder durch den Aufstand der Zapatisten zu
Symbolfiguren in ganz Lateinamerika gewor¬
den...

Das Gespräch mit Friedrich Katz führte Kon¬
stantin Kaiser am 11. Dezember 1997 in Wien.

Wolfgang Kießling

Friedrich Katz, geboren 1927 in Wien als Sohn
von Bronia und Leo Katz, kam mit seinen Eltern
über Berlin, Paris und New York 1940 nach
Ciuadad de Mexico, wo er 1945 die französi¬
sche Schule abschloß. Katz studierte in New
York, Ciudad de Mexico, Wien (wo er 1954
promovierte), habilitierte sich 1962 an der
Humboldt Universität in Berlin (DDR), wo er
bis 1970 auch lehrte. Seit 1971 ist Katz Profes¬
sor für lateinamerikanische Geschichte an der
Universität Chicago. Für seine Arbeiten zur
Geschichte Mexikos wurde er auch von mexi¬
kanischer Seite wiederholt ausgezeichnet. Wer¬
ke: Die sozialökonomischen Verhältnisse bei
den Azteken im 15. und 16. Jahrhundert (Berlin
1956); Deutschland, Diaz und die Mexikani¬
sche Revolution (Berlin 1964); Vorkolumbia¬
nische Kulturen (München 1969); The Secret
War in Mexico: Europe, the United States, and
the Mexican Revolution (Chicago 1981; mexi¬
kanische Ausgabe 1982); Ensayos Mexicanos
(Mexico D.F. 1994). In Vorbereitung: Pancho
Villa. His Life and Times.

Der Historiker und Journalist Dr. Leo Katz,
Jahrgang 1892, geboren in der später zu Rumä¬
nien gehörenden Bukowina, Mitglied der KPÖ
seit ihrer Gründung, war 1930 aus Österreich
weggegangen. Er lebte in Berlin, Paris, New
York und Mexiko, bis er 1949 mit Frau Bronia
und Sohn Friedrich nach Wien zurückkehrte.
Im Ausland hatte er zwei Romane geschrieben
und beabsichtigte, weiterhin als Schriftsteller
tätig zu sein. Er wurde Autor spannender und
erfolgreicher Bücher für Erwachsene und Kin¬
der. Bekannt ist auch, daß Leo Katz während
des spanischen Bürgerkrieges dem republika¬
nischen Munitionsminister Otero als Waffen¬
einkäufer diente. Es war sein Beitrag im Kampf
gegen Hitler und Mussolini. Er tat dies reinen
Gewissens als jüdischer Humanist und österrei¬
chischer Antifaschist. Vermittelt hatte ihm die¬
sen Auftrag die Kommunistische Internationa¬
le. Seit 1919 schrieb er für deren Presse und für
sowjetische Zeitungen. In Berlin arbeitete erbis
1933 als Redakteur der KPD-Zeitung ,,Rote
Fahne“ und zeichnete seine Beiträge mit dem
Pseudonym Leo Weiss.

Publizistisch widmete sich Leo Katz vor allem
den Existenzfragen europäischer Juden. Die
Geschichte der Juden und ihr Anteil an der
Kultur der Menschheit, ihr Dasein von der bi¬
blischen Zeit bis in die Gegenwart waren sein
großes Thema. ! In derrussischen Oktoberrevo¬
lution sah er die Voraussetzung zum Aufbruch
der osteuropäischen Juden in die Emanzipa¬
tion. In Berlin engagierte er sich in der Gesell¬
schaft zur Förderung des jüdischen Siedlungs¬
werkes in der UdSSR. Am 6. Februar 1931, so
war es in Ossietzkys „Weltbühne“ angekün¬
digt”, sprachen er und der Sozialpsychologe

Erich Fromm im Café Adler am Dönhoffplatz
zur Frage „Palästina oder Birobidjan?‘“ Für
Leo Katz hatte ein jüdisches Territorium in der
Sowjetunion die größere Perspektive. Darauf
baute er auch dann noch, als sich unter Stalin
eine andere Entwicklung abzeichnete. Es war
die Tragik im Leben von Leo Katz, daß er im
treuen Glauben an seinen Erwartungen fest¬
hielt, als die Tatsachen längst dagegen spra¬
chen, und selbst in seinen letzten Lebensjahren,
als der kalte Krieg zwischen Ost und West sein
erstes Hochstadium erreichte, in die Rankünen
stalinistischer Judenpolitik geriet. Leo Katz war
nicht erst seit dem Spanienkrieg zum Mitarbei¬
ter der partiell verdeckt arbeitenden Komintern
geworden. Ein Mann des sowjetischen Ge¬
heimdienstes war er nicht. In der Zeit des Hit¬
ler-Stalin-Paktes geriet er in dessen Visier und
blieb es, solange er lebte. Der Grund: Trotz aller
sowjetfreundlichen Bekundungen, vorge¬
bracht aus Überzeugung, zeigte er sich eigen¬
willig im Denken und in praktischen Unterneh¬
mungen. Die Kollision mit angeblich Gleich¬
gesinnten, die sich von ihm dadurch unterschie¬
den, daß für sie Weisungen aus Moskau oder
von dort gesteuerte Richtungsänderungen ab¬
solutes Gebot waren, blieb nicht aus. Leo Katz
sah sich durch Stalins Verständigungspolitik
mit Hitler nicht veranlaßt, die Prioritäten anders
zu setzen. Für ihn blieb auch zwischen 1939
und 1941 der Hauptfeind das großdeutsche
Naziregime. In Mexiko sah er sich deswegen
gezwungen, Sowjetagenten Paroli zu bieten,
eine Handlungsweise, die ihm nie verziehen
wurde. Als er 1949 nach Wien heimgekehrt
war, bekam er hier den langen Arm des KGB
und die Denunziationen von dessen Zuträgern