Natürlich geht es um wichtigere Dinge. Wenn
etwa auf Rumänen, die illegal Österreich ver¬
lassen wollen, eine Hasenjagd verübt wird, wie
sie normalerweise nur Schwerverbrechern zu¬
steht. Oder wenn Tschechen, die legal nach
Österreich eingereist sind, beim ersten Hand¬
griff mit einer Schaufel sofort wegen illegaler
Beschäftigung angezeigt werden.
Aber was soll man machen mit den rassisti¬
schen Texten eines kriegsgeilen Pfarrers? Soll
man sie für immer restlos in den Boden stamp¬
fen, oder soll man sie gesammelt aufheben, um
Anschauungsmaterial zum Thema ,,schlechte
Texte“ und „Mißbrauch der Literatur“ in der
Hand zu haben?
Ich plädiere für Zweiteres. In jedem Holocaust¬
Museum und in jeder Wehrmachts-Ausstel¬
lung könnte man einen eigenen Raum reservie¬
ren für die kriegshetzenden geistigen Vorläu¬
fer. Und eine riesengroße Vitrine müßte jenem
vorbehalten bleiben, der da schrieb: ‚Steirische
Holzer, holzt mir gut/ Mit Büchsenkolben die
Serbenbrut!/ Steirische Jäger, trefft mir glatt/
Den russischen Zottelbären aufs Blatt!/ Steiri¬
sche Winzer, preßt mir fein/ Aus Welschland¬
früchtchen blutroten Wein!“ - Die letzte Zeile
— roter Wein aus Welschlandfrüchtchen - sollte
noch eine Sondererwähnung finden für die ge¬
schmackloseste Metapher in der österreichi¬
schen Literaturgeschichte.
Die Rede ist von Ottokar Kernstock, dem
kriegshetzenden Priesterdichter aus der Steier¬
mark. Mehrere urspriinglich nach ihm benann¬
ten Plätze, Straßen und Gassen wurden in den
letzten Jahren umbenannt — und das ist ehren¬
haft und anständig, denn eine Straßentafel dient
zur Glorifizierung und kann nicht die selbe
Aussage liefern wie eine Vitrine in einem Ho¬
locaust-Museum.
Andere Städte wiederum weigerten sich, die
Plätze und Straßen umzubennen - oder exakter:
Die jeweiligen Anträge auf Umbenennung fan¬
den nicht die notwendige Mehrheit in den dafür
zuständigen Gremien.
Umbenannt wurden in Wien ein Platz im sech¬
zehnten Gemeindebezirk - er heißt nun ‚‚Fami¬
lienplatz“ —, sowie eine Straße im vierzehnten
Bezirk, weit draußen in Hadersdorf beim Re¬
tentionsbecken des Mauerbachs - sie heißt jetzt
Franz-Jägerstätter-Straße. Allerdings war die
Sache recht knapp: Mit nur einer Stimme Mehr¬
heit stimmte die Bezirksvertretung Penzing fiir
die Umbenennung. Dagegen votierten die VP
und die FP. Der Bezirksobmann der Haider¬
Riege, Elmar Dirnberger, sprach von ‚‚illibera¬
len Werturteilen“ im Geiste „totalitärer Re¬
gime“. Wen er wohl damit meinte? Bezog er
sich gar auf die Gesinnung Kernstocks, von der
der Völkische Beobachter am5.4. 1938 schrieb,
sie sei „hart und edel wie sein Name“? Und
wieso forderte der Stadtrat Rainer Pawkowicz
in diesem Zusammenhang den damaligen Bür¬
germeister Zilk auf, „dem ultralinken Wild¬
wuchs ein Ende zu bereiten?“
Umbenannt wurde auch in Wiener Neustadt
und in Wels. Nicht umbenannt wurde etwa in
Graz und in Innsbruck.
In Graz, der Stadt der Volkserhebung, liegen
die Dinge ziemlich einfach. Der für die Benne¬
nung der öffentlichen Flächen zuständige
Stadtrat Ferdinand Spielberger stammt aus der
blauen Riege - und die hält in unverbrüchlicher
Nibelungentreue zu den rassistischen Texten
von Ottokar Kernstock.
In Innsbruck war die Sache etwas verwickelter,
es erfolgten ausgiebige Debatten im Gemein¬
derat. Die Grünen und die Sozialdemokraten
plädierten für eine Umbenennung, doch der
umbenennungsunwillige Bürgermeister Her¬
wig van Staa erklärte in der Gemeinderatssit¬
zung vom 12.3. 1995 laut Protokoll: “ ‘Ottokar
Kernstock war ein österreichischer Dichter.
Daß er ein österreichischer Dichter war, steht
außer Zweifel!’ Beifall von Seiten der Fraktio¬
nen “Für Innsbruck’ und Tiroler Senioren¬
bund.“
Seither denke ich nach, warum er ein österrei¬
chischer Dichter war. Weil er zum Haß auf die
Welschen aufrief (,,Schnéd im Sumpf der
Sinnlichkeit / Das ist niedre welsche Art“) oder
weil er die welschen Frauen beschimpfte
(‚Werde ein starkes germanisches Weib/ keine
verwelschte Mondäne“ )?
Schluß der Debatte. Laut Tiroler Tageszeitung
vom 25.6. 1997 hat sich der Innsbrucker Ge¬
meinderat für die Beibehaltung des Namens
Kernstock ausgesprochen. Kommentar von
Manfred Steinlechner, Dozent am Institut für
angewandte Psychoanalyse: „Wenn ein ar¬
beitsloser Jugendlicher betrunken irgendwel¬
che Kernstock-Gedichte schreit, muß er mit
einer Anzeige wegen Wiederbetätigung rech¬
nen. Wenn Teile des Innbrucker Gemeindera¬
tes beschließen, daß die Stadt Innsbruck ...‘“ Die
Vollendung des Satzes wird dem Leser über¬
lassen.
Zwei Argumente werden zur Entlastung des
kriegsgeilen Pfarrers verwendet: Zum einen
beschloß der österreichische Ministerrat am
13.12. 1929 in seiner 603. Sitzung (Regierung
Schober II), die Melodie von Joseph Haydn
mit dem Text von Ottokar Kernstock zur öster¬
reichischen Bundeshymne zu ktiren. In der Ur¬
sprungsversion geht es um das ,,Sei gesegnet
ohne Ende“ der ,,deutschen Erde“, erst in einer
späteren Version wird sie zur eher allgemeinen
„Heimaterde“,, der ‚‚deutsche Fleiß“ wird aber
beibehalten.
Diese Entscheidung des Ministerrates konnte
man als österreichischer Patriot je nach Tempe¬
rament nur als Affront oder als Beleidigung
bezeichnen. Doch gab es in den damaligen
poltischen Gruppierungen sicher nicht viele
Beleidigte, da in alle Parteien schon längst
deutschnationales Gedankengut eingesickert
war-der Sozialdemokrat Karl Renner äußerste
Ein steirischer Priesterdichter, an seinem
Lebensabend Herr auf der oststeirischen Fe¬
stenburg, hatte in den zwanziger Jahren eine
Liebeserklärung an die klein und eng gewor¬
dene Heimat verfaßt: Ottokar Kernstock.
Daß Ende 1929 das elfjährige „Interregnum“
der schrecklichen, der hymnenlosen Zeit
enden und sie gemeinsam mit der Haydn-Me¬
lodie durch Ministerratsbeschluß zur Bun¬
deshymne unserer Ersten Republik aufstei¬
gen sollte, erlebte er nicht mehr. Wohl aber
sangen wir sie fortan, die wir in den dreißiger
Jahren eingeschult wurden:
„Sei gesegnet ohne Ende,
Heimaterde wunderhold ...“
Kleinkrämer und Hasser über das Grab
hinaus suchen heutzutage Kernstock wegen
der „deutschen Arbeit“, des „Heils“, ja, sogar
wegen der „Heimaterde“, einen Strick zu dre¬
hen; möchten nach ihm benannte Straßen
umtaufen und am liebsten den Priester noch
posthum ins „Handbuch des Rechtsextremis¬
mus“ aufnehmen ...
Entnommen dem Aufsatz ‚Vom
‘Gott erhalte...’ zum ‘Land der Berge...’
Ein Jahrtausend ‘Ostarrichi’ — zwei
Jahrhunderte Volkshymne“ von Helmfried
Knoll, erschienen in ‚Reimmichls
Volkskalender für das Jahr 1996 nach der
gnadenreichen Geburt unseres lieben
Herrn und Heilands Jesu Christi“
(Innsbruck 1996).
nicht erst durch sein „‚Ja zum Anschluß“ seine
treudeutsche Gesinnung.
Zum anderen wird als Entlastungsmaterial vor¬
gebracht, daß Ottokar Kernstock nach der Ver¬
öffentlichung seines „Hakenkreuzliedes“ sich
etwas von den Nazis distanzierte. Nun, dieses
für eine Fahnenweihe der Hakenkreuzler zu