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Im Sand deiner Gedanken

Else Keren, 1924 in Czernowitz, in der vor¬
maligen Bukowina geboren, überlebte mit ih¬
rer Familie die NS-Zeit in Rumänien. 1947
ging sie nach Paris, studierte Englisch und
Französisch, malte und zeichnete. Sie fand in
Paris einen Czernowitzer Freundeskreis, dem
auch Paul Celan angehörte. Ende 1949 be¬
suchte sie mit einer Reisegruppe Israel und
blieb im Land. 1951 heiratete sie. Sie unter¬
richtete Französich und Englisch, sorgte für
ihre Tochter und ihren Sohn und arbeitete
weiter in Email; 1978 hatte sie die erste Ein¬
zelausstellung ihrer Emailarbeiten. Sie kam
von der Malerei. Als sie mir ihre ersten Ge¬
dichte zum Lesen gab, rief ich aus: ‚„‚Sie er¬
innern mich an impressionistische Bilder.“
(Ich liebe die Impressionisten).
1983 erschien ihr einziger Gedichtband ,....
dann ging ich über den Pont des Arts“ im
Selbstverlag. Sie widmete ihm dem Anden¬
ken ihrer Czernowitzer Freunde Selma Meer¬
baum-Eisinger, einer großen lyrischen Bega¬
bung, Cousine Paul Celans, die 18jährig im
Lager Michailowska an Flecktyphus starb, an
Lejser Fichmann, der 1944 im Schwarzen
Meer ertrank, weil das türkische Schiff, auf
dem er mit vielen anderen Flüchtlingen nach
Palästina unterwegs war, von einem sowjeti¬
schen Unterseeboot versenkt wurde, an Paul
Celan, der 1970 selbst sein Leben beendete.
Auch wurden viele Gedichte Kerens in An¬
thologien veröffentlicht. Seit 1983 war sie
Mitglied des Verbandes deutschsprachiger
Schriftsteller in Israel.
Armin A. Wallas schreibt in seiner Einfüh¬
rung zu Kerens Buch Jm Sand deiner Gedan¬
ken über ihre Gedichte: ‚„‚Erinnerung, Trauer,
Einsamekeit, Schweigen, Verstummen, Zer¬
brechen sind immer wiederkehrende Themen
... — Schreiben gestaltet sich als Archäologie
des Leids. Die Texte evozieren ... den ‘Klang
von alten Trauermärchen’. Das Gedicht wird
so zu einer Instanz der Erinnerung, die in
Ausweglosigkeit mündet, der es überlassen
bleibt, Fragmente der Zerstörung, die Scher¬
ben des Gewesenen einzusammeln und zu
benennen: ‘Das Gestern liegt in Scherben’
Der Golfkrieg 1991 zerbrach Else Keren, die
die einst erlebten Schrecken wiederkehren
sah. Von dem Gefühl der Bedrohung, einer
Spätfolge der schrecklichen Erinnerung an
die Shoah, erholte sie sich nicht mehr. Sie
starb am 29. Mai 1995 in Ramat-Gan.
Hanna Blitzer

Else Keren: Im Sand deiner Gedanken/In the
Sand of Your Thoughts. (Gedichte.
Deutsch/Englisch.) Ins Englische übersetzt
von Herbert Kuhner. Eingeleitet von Armin
A. Wallas. Klagenfurt: Alekto Verlag 1997.
118 S. (Edition Mnemosyne. Hg. von A.A.
Wallas und Primus-Heinz Kucher. Bd. 6).

schreiben wollte“

Ich bin ein Ausgestoßener, ein Fremder unter
meinen Brüdern, ein einsamer Wolf, ein ver¬
lorenes Schaf, vielleicht sogar ein Ungeheu¬
er. Eine mißratene Kreatur, und doch ein
Heiliger. Ein Heiliger? (Wespennest
Nr.107/1997, S. 80)

Das einzige für mich noch einigermaßen er¬
trägliche Deutsch fand ich in Kafkas Texten
und, wie ich erst später entdeckte, bei Elias
Canetti. Es war dieser österreichisch-deutsch¬
Jüdische Humor, der mich manchmal zweifeln
ließ, ob ich mein österreichisches Deutsch
wirklich so einfach aus meinem Hirn würde
streichen können ...“ (Im Gegenwind)

Sich auf Jakov Lind einzulassen, heißt zu¬
nächst, sich mit einem Autor, vor allem aber
mit Texten zu befassen, die abseits des main¬
streams liegen und trotz mehrfachen Aufla¬
gen und fulminantem Echo in den 60er und
70er Jahren heute unerklärlich an den Rand
der literaturwissenschaftlichen Diskussion
und Rezeption gerückt sind. Freilich setzt
dies auch die Bereitschaft voraus, sich auf
besondere, auf erratisch wirkende Texte ein¬
lassen zu wollen. Denn Linds Prosa hat einen
sperrigen, widerhakigen, wenngleich nicht
abweisenden Charakter; sie ist eine Prosa, die
genaues Lesen abverlangt. Nicht nur in sei¬
nem erfolgreichen Erzählband Eine Seele aus
Holz (1962) oder in Romanen wie Landschaft
aus Beton (1963) kommen verschiedene
literarische Verfahren, vor allem im Nahbe¬
reich der Groteske und Verfremdung, auf
Themen zur Anwendung, die, wie z.B. die
komplexe und sensible Opfer-Täter-Bezie¬
hung unter den extremen Bedingungen der
Lager- und Schreckenserfahrungen dieses
Jahrliunderts, mitunter dazu tendieren, Per¬
spektiven irritierend zu überblenden, Ein¬
deutigkeiten aufzulösen und Zonen zu betre¬
ten, die das nach Auschwitz Sag- und Be¬
schreibbare in obsessiv selbstquälerischer
und verquerer Weise vorantreiben. Linds
Texte bekennen sich zu diesen Unwägbarkei¬
ten, und indem sie das tun, bekräftigt durch
eine Reihe begleitender Statements des Au¬
tors, sind sie nicht nur als literarische Texte,
sondern auch als Dokumente einer individu¬
ellen wie typologischen Lebens- und
Schreiberfahrung von Belang. Angelpunkt
dieser Erfahrungen sind die Prägungen durch
die verschiedenen Formen von Ausgrenzung,
Exil, Verlust und unerwartetem Zugewinn an
Anderem bzw. an Andersheit, die Lind zum
Schriftsteller gemacht haben und die das im¬
mer wieder durchschlagende Problem des
Überlebthabens aufgreifen, gerade und
besonders in den als autobiographisch ausge¬
benen Bänden. Denn, so Lind, ,,man kann
nicht schreiben oder überhaupt etwas ma¬
chen, ohne daß man die Schrecken seiner

Jugend erzählt.“ (Der Standard, 4.7. 1990)
Diese autobiographischen Bände liegen nun
erstmals in einer neuen, vollständigen Ausga¬
be auf Deutsch vor, nachdem die englischen
Erstfassungen mit Crossing bereits 1990
abgeschlossen war. Nur zur Erinnerung: nach
der unfreundlichen Aufnahme von Eine bes¬
sere Welt (1969) durch die deutsche Kritik
hatte Lind beschlossen, nicht mehr deutsch
zu schreiben. Daß dieser Absage nicht nur
tiefe Verbitterung sondern ein existentieller
Riß eingeschrieben ist, belegen die Tiraden
auf die Gesellschaft der Verdränger und
selbsternannten Sprachhüter ebenso wie die
subtilen Hinweise auf das literarische
Kommunikationsfeld, in dem sich Lind lange
bewegt hat: da fallen Namen wie Canetti und
Fried oder die “Gruppe 47», auf deren Ta¬
gungen Lind 1966/67 anzutreffen war.
Wenn auch von unterschiedlicher Struktur und
aus verschiedenen Blickwinkeln aufgerissen,
fügen sich die einzelnen Bände zu einem größe¬
ren Ganzen, zu einer Art Lebenstrilogie, die —
so Lind — offenbar nicht als herkömmliche Au¬
tobiographie entworfen wurden, sich aber unter
der Feder zu einer ihr eng verwandten Form
entfaltet haben. Am nächsten zur traditionellen
Autobiographie (falls es diese überhaupt gibt)
steht dabei der einleitende erste Band
Selbstporträt, dessen englischer Titel Counting
My Steps (1969) vielleicht eine zutreffendere,
plausiblere Vorstellung beim Leser davon er¬
weckt, wie Lind an seine Geschichte herangeht.
Bereits die ersten Seiten schlagen einen Ton an,
der viele der nachfolgenden 600 Seiten kenn¬
zeichnet: einen Ton der Distanz, aber auch: der
zynischen Verrechnung, der irritierenden
Wahrnehmung und Behauptung, der ketzeri¬
schen Herausforderung, der vom Zornigen ins
Müde und dann wieder ins Verspielte modulie¬
renden Männlichkeit, die streckenweise durch¬
aus aufgesetzt wirken kann (und will). Immer
aber entströmt seinen Seiten ein plebejisch-re¬
bellisch-ironischer Atem, aus dem die unbändi¬
ge Kraft zum Weiterschreiben geschöpft wird.
Wir haben demnach mit einem Textkorpus zu
tun, das vor allem Distanz zu heroischen, nach¬
und ausgefeilten, in sich schlüssigen und
ideologisch korrekten, zu denkmalhaften Bio¬
graphien setzt und trotzdem wuchtig, packend,
einsprucherregend, kurzum beeindruckend
monumental ist.

Der chronologisch aufgebaute erste Band er¬
streckt sich von den ersten kindheitlichen
Erkundungen in den 30er Jahren unter der
Leitperspektive des sozialen Aufstiegs durch
Bildung bis hin zur ersten existentiellen Za¬
sur 1938/39, zur Flucht aus Wien in die Nie¬
derlande, und den abenteuerlichen, pikares¬
ken, auf das Uberleben ausgerichteten An¬
strengungen, unter verschiedenen Namen
und Identitäten die Kriegszeit und die ständi¬

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