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ten. Ich wußte, er vertrug keinen Alkohol. Ich hatte Angst,
betrunken würde er unsere Identität preisgeben. Ich litt und sehnte
das Ende des Abends - des Jahres — herbei.

Da sah ich meinen Freund blaß werden und mit einer Entschul¬
digung schnell das Zimmer verlassen — in Richtung Klosett. Ich
eilte ihm nach und sah die Bescherung: Er hatte sich erbrochen.
— Ach, wie glücklich war ich darüber!

Nie mehr im Leben habe ich mich über das Unwohlsein eines
Menschen so gefreut wie in diesem Augenblick. Nun konnte ich
mich bei meinen Gastgebern entschuldigen und mit meinem Freund
die Wohnung verlassen. Er war zwar etwas wacklig auf den Beinen
und leichenblaß, aber wir schafften es bis in den ersten Stock.

In meiner Wohnung angekommen, legte er sich auf das Sofa,
und während ich Tee zubereitete, dankte ich Gott, daß alles so
glimpflich abgelaufen war.

Wolfgang Georg Fischer

„Eine schöne Aussicht, findest du nicht?“ , sage ich zu meinem
Sohn Jeremy und öffne die Balkontür, damit er hinter den Bäu¬
men des Modenaparks die Spitze von St. Stephan noch klarer
sehen kann. Ich trete mit ihm auf den Balkon, beuge mich über
das Gitter und blicke auf den Kinderspielplatz in der linken Ecke
des kleinen Parks und höre die jauchzenden Stimmen der Kinder,
während sie sich auf den Schaukeln mit ausladenden Fußbewe¬
gungen immer höher hinaufkatapultieren, — himmelwärts; freue
mich, daß die Zweige und Blätter der Parkbäume die häßlichen
Häuserfassaden auf der gegenüberliegenden Seite des Parks zum
Teil verbergen, dort, wo sie mit der billigen Flickarbeit der ersten
Nachkriegszeit die Bombenlücken eilig geschlossen haben. Ich
lasse dann nochmals die Turmspitze von St. Stephan ins Blickfeld
kommen, entdecke weiter links die Spitze des Rathausturmes
zwischen Dachantennen, so klein und weit weg, daß die Turmbe¬
krönung, der Rathausmann, mit freiem Auge nicht mehr aus¬
nehmbar ist. Noch verschwommener dann im Hintergrund die
sanften Wellen des gegen die Donau auslaufenden Wienerwal¬
des, Kahlenberg und Leopoldsberg mit einer diesigen Wolken¬
bank verschmolzen, auch das nehme ich mit den Augen des
beglückten Heimkehrers auf. Von diesem Balkon werden wir
über die Stadt schauen und hier werden wir wohnen, nach mehr
als dreißigjähriger Abwesenheit.

„Eine schöne Aussicht, findest du nicht?“

„Schön genug, um sich herunterzustürzen!‘“ antwortet Jere¬
my.

Ich habe aber nicht die Absicht, am Ort, wo ich geboren wurde
und jung gewesen bin, wegen Jeremy unglücklich zu werden. Ich
weiß schon, daß ich hier nie wieder so glücklich werden kann,
wie zur Zeit der ersten Liebe - als ich mit Trixi damals zum Klang
des beliebtesten Schlagers der Saison Wange an Wange getanzt
habe:

C’est si bon,

C’est si bon!

Beim Elmayer hätte man sich nicht soweit vergessen dürfen,
Wange an Wange zu tanzen, ausgeschlossen, cheek to cheek, um
Gottes Willen, Folgen amerikanischer Sittenlosigkeit! Herr
Oberstleutnant Willy Elmayer, Tanzlehrer der Jeunesse dorée,

22°

Als ich mit dem Tee das Zimmer wieder betrat, fühlte er sich
schon besser und blickte mich erstaunt an. „‚Warum strahlst du
so? Ist dir denn mein Unwohlsein gar nicht zu Herzen gegangen?
Und meine Schande, mich so blamiert zu haben?“ fragte er und
blickte mich ein wenig beleidigt an.

„Ach, so froh war ich schon lange nicht in meinem Leben“,
war meine Antwort, und ich drückte ihm einen Kuß auf die noch
blasse Wange. „Du hast ja keine Ahnung, welche Angst ich
ausgestanden habe, daß du unter Einwirkung des Alkohols zu viel
sprechen könntest. Jetzt bin ich glücklich, daß wir hier in meiner
Wohnung beisammen sind und wieder einmal mit dem Schrecken
davonkamen.“

Vom Kirchturm schlug die zwölfte Stunde. Vielleicht würde
das nächste Jahr leichter sein.

hätte dem disziplinlosen Paar auf der Stelle die Tür gewiesen.
Vom Fähnrich der Wiener Neustädter Offiziersakademie war er
noch bis zum Oberstleutnantrang in der kaiserlichen Armee auf¬
gestiegen. Nach dem Zusammenbruch 1918 ist er Tanzlehrer
geworden und hat seine Tanzschule im Palais Pallavicini streng,
wie eine Militärakademie, geführt — eins, zwei, drei, eins, zwei,
drei, zunächst ohne Musik und das solange, bis der Tanzschritt
saß. Dann erst kam der Befehl „Nochmals“, und, zum Pianisten
gewandt, „Jetzt mit Musik!" |

In der Perfektionsstunde am Sonntag habe ich trotzdem die
K.u.K. Elmayer’sche Disziplin mißachtet und auch meine
Schüchternheit überwunden. Ich nahm das Wagnis auf mich, mit
Trixi Wange an Wange, check to cheek, zu tanzen:

C’est si bon,

C’est si bon,

Ich verlier die Fasson!

Meinem Sohn Jeremy aber, in London geboren, im Internat
von Harrow, der Schule Winston Churchills, erzogen, Absolvent
der Universität Edingburgh, die Geschichte meiner ersten Liebe
im Nachkriegs-Wien der Fünfzigerjahre als Gegengift zu seinem
Haß auf die Stadt aufzutischen, erschiene mir wie eine dumme
Quacksalberei, oder wie eine Spiegelfechterei, zwischen mir,
dem zurückgekehrten Vater, und meiner zukünftigen, von Alters¬
blödsinn gezeichneten Gestalt, die, bereits von wirkungsloser
Milde entstellt, dem aufmüpfigen Sohn nichts anderes zu entgeg¬
nen wüßte als die oft wiederholte Limonadenstory von der ersten
Liebe. Ich muß da schon mit schwereren Geschützen auffahren,
um seiner Wienverweigerung standzuhalten.

Wie wär’s mit der Geschichte von der Hakenkreuzfahne, die
bereits am allerersten Tag, als Hitler die Ostmark heim ins Reich
geholt hatte und für unsere Familie der Anfang vom Ende gekom¬
men war, hoch vom Stephansdom wehte? Vielleicht ließe sich
Jeremy von dieser Geschichte mehr beeindrucken und würde
einsehen, daß der Steffel nicht nur ein Denkmal der freudigen
Wiederinbesitznahme im Fadenkreuz der väterlichen Erinnerung
ist! Die Geschichte habe ich oft genug erzählt, aber jetzt erst sehe

ich sie unter dem Blickwinkel des ständigen Augenkontakts
zwischen mir, hier auf dem Balkon der neuen Wohnung stehend,