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Hermann Hakel (1911 - 1987) Selbstporträt und kleines Vermächtnis Bisher unveröffentlichte Notizen aus seinen nachgelassenen Tagebüchern 1981/1982 Das größte Problem meines Lebens ist die mir zu Hause geschenkte Mutterliebe, die nichts von mir verlangte, die immer gegenwärtig, immer verzeihend und immer hilfsbereit war, die ich als das Selbstverständlichste hinnahm. Ihr gegenüber standen die Spitäler, die Operationstische, die gleichgültigen Ärzte und Schwestern, und später die Schule mit ihren Pflichten und Prüfungen. Schon damals fehlte mir das Verständnis für den Ehrgeiz um gute Noten, wie später für den Konkurrenzkampf der Autoren um Preise und Honorare. Das war eine Welt, für die ich zu Hause nicht vorbereitet worden bin. Ich wollte um meiner selbst Willen angenommen und geliebt werden, so wie ich allen offen und interessiert entgegenkam. Ich benahm mich einfach so wie meine Mutter mir gegenüber: wollte jedem helfen, mit jedem freundschaftlich verbunden sein. Die meisten holte ich zu mir heim und meine Mutter nahm sie auf und an, so wie sie uns und die Familie versorgte. Wir beiden gaben dem kleinen Kreis einen Rückhalt, eine Zufluchtstätte — bis Hitler das alles unmöglich machte und auflöste. Von früh an mit der gefährlichen und feindlich empfundenen Welt konfrontiert, fand ich den Ausweg in eine Welt der Kunst und der Bücher, in der es keine Pflichten und Prüfungen zu geben schien, in welcher man beschenkt wurde und nicht kämpfen mußte. Ich fand auch den Weg in die Natur, zu den Wiesen und Bäumen, zum Himmel und zu den Wolken. In diesen beiden anderen, immer leicht erreichbaren Welten fühlte ich mich wohl, in ihnen konnte ich ungestört fühlen und denken, was ich eben fühlen und denken konnte. Lesen muß man lernen und es dauert einige Jahre bis man fähig ist, das Gelesene sofort als Vorstellung aufzunehmen. Schauen aber kann man von selber. Bei mir wurde es zumeinem geliebtesten Spiel: zuzuschauen und anzuschauen. Das frühe Anstaunen von Bildern ich kenne noch alle Illustrationen meines ersten Lesebuches und die Zeichnungen des „Pinocchio“ sind mir gegenwärtiger als die Erzählung — führte zu einem geübten Schauen, das sich später fort- und umsetzte, wenn ich die vielen nahen und flüchtigen Gesichter auf der Straße sah, oder einer Landschaft gegenüberstand. Dieses bewußte Sichöffnen und Aufnehmen, sowohl beglückend wie erschreckend, war dann der Anlaß für viele meiner Gedichte und Aufzeichnungen und wirkte sich vor allem in meinen Träumen aus, deren bewegte, suggestive Bilder mir seit meinen schriftstellerischen Anfangen die Themen lieferten. Die Fähigkeit und die Kunst des Formulierens allerdings ist wahrscheinlich noch vor dem Schauen - aus Lust und Freude am Singen und Geschichtenhören, und später noch durch das Lesen und Unterscheiden literarischer Werke entstanden. Selbst die mir freiwillig auferlegte Prüfung, durch eigene Kraft die weite Welt zu erobern, wie die Wanderungen nach Florenz und Paris, bestand ich körperlich und geistig so gut ich konnte, während mir die Welt mit der Gesellschaft von Menschen und ihren Forderungen immer peinlicher wurde und es bis heute blieb. Erst in der Emigration und in den Lagern, mit anderen ähnlichen Schicksalen konfrontiert, fühlte ich so etwas wie eine Verpflichtung ihnen gegenüber und nahm an ihren Problemen teil. Nach Wien zurückgekehrt, versuchte ich meine Anteilnahme bei den jungen Autoren fortzusetzen, ohne mich viel um meine eigenen Schreibereien zu kümmern. Ich glaubte nämlich, daß es bei den anderen die gleiche Anteilnahme wie bei mir geben müsse. Nach wenigen Jahren mußte ich einsehen, daß die Leute meine Bereitschaft gern annahmen, wahrscheinlich weil sieihnen nützlich war, daß aber auf ihrer Seite jede echte Teilnahme fehlte. Aus Enttäuschung darüber zog ich mich zurück, — und ich fehlte niemandem. Sogar meine Frau gab mich auf. Autoren und Maler, mit denen und für die ich einige Bücher publizierte, nützten mich genauso aus wie vorher die „Jungen“ und gingen ihre Wege ohne Dank und Erinnerung. Heute bin ich, vor allem im Literaturbetrieb, eine völlig bedeutungslose Person, die höchstens aufgesucht wird, um etwas über meine ehemaligen „Entdeckungen“, wie zum Beispiel Bachmann und Kräftner, in Erfahrung zu bringen. Ich fahre zu keinem Kongresse, gehe zu keiner Diskussion oder sonstigen Veranstaltung, schicke keine Manuskripte an Verlage und Redaktionen, weil mir meine sogenannten Zeitgenossen einfach widerlich sind, ganz gleich ob sie gut oder schlecht schreiben. Es geht mir wiein der Schule: ich begreife weder die Vorzugsschüler, noch die angestrengten Mitläufer, die für nichts als gute Kritiken und Honorare ihren Weltschmerz oder ihre propapierten Utopien verkaufen, ohne mit den Millionen ihrer Anhänger und Leser und deren Problemen zu leben, sodaß diese papieren vorgetragenen Kontakte ohne direkte Anteilnahme wirkungslos bleiben müssen. Wenn schon meine Anteilnahme in einem kleinen Kreis zu nichts geführt hat, was soll dann die ganze Geschäftigkeit, wenn sowohl Autoren als auch Publikum, von immer neuen Sensationen fortgerissen, zu keiner dauernden Beziehung fähig sind?