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zwischen „Kommunisten“ und „Sozialisten“ angesiedelt, die aber auch — wie die SAP - letztlich ein totgeborenes Kind ohne Massenbasis in der Arbeiterklasse war. In der argentinischen Arbeiterbewegung gab es vor dem Aufstieg Peröns in den vierziger Jahren sehr unterschiedliche Tendenzen. Sehr stark waren in den zwanziger und dreißiger Jahren vor allem die Anarchisten. Neben ihnen, den Sozialisten und den Kommunisten spielten auch die Trotzkisten eine nicht unbedeutende Rolle. Ich hatte zeitweilig große Sympathien für sie. Für mich war Trotzki eine faszinierende Persönlichkeit, nach Lenin sicher der wichtigste Kopf der russischen Revolution. Deshalb fühlte ich mich zu den Trotzkisten hingezogen. Aber ihre Art, Politik zu machen, entsprach auf Dauer doch nicht meinen Vorstellungen. Sie waren hauptsächlich an Diskussionen und Auseinandersetzungen interessiert. Sie betonten vor allem die Unterschiede und Widersprüche zu anderen linken Gruppen und Positionen und spalteten sich selbst in Gruppen und Grüppchen. Ich erinnere mich gut an eine Diskussion mit einem trotzkistischen Genossen, der höchst unzufrieden war, weil ich ihm recht gab. Das paßte ihm nicht, er wollte Widerspruch hören. Irgendwann sagte ich bei einer Frage, in Deutschland war das so und so. W orauf er energisch verneinte und sagte, in Deutschland sei es so und so gewesen. Darauf sagte ich, nun ja, es käme ja auch nicht so darauf an, das sei auch nicht so wichtig. Darauf meinte er, das sei sehr wohl sehr entscheidend, und er war richtig glücklich, daß er eine andere Position haben konnte als ich. Die Leute waren interessiert, Meinungsverschiedenheiten aufzubauen und auszutragen, anstatt gemeinsam einen Weg zu suchen. Zudem betrachtete ich zu jener Zeit noch Stalin als den.legitimen Repräsentanten der von mir geliebten Sowjetunion. Das Andere Deutschland Politisch habe ich mich neben meiner Tätigkeit in der Gewerkschaft und der Juventud Socialista Argentina natürlich vor allem an den antifaschistischen Aktivitäten der Emigration beteiligt. Zunächst war da ,,Das Andere Deutschland“ (DAD), das 1937 als Hilfskomitee von antifaschistischen Emigranten in Buenos Aires gegründet worden war. Präsident und Spiritus rector war mein Vater August Siemsen. „Das Andere Deutschland“ war ein Zusammenschluß von Emigranten unterschiedlicher politischer Herkunft und Parteizugehörigkeit. Es war im Sinne einer Volksfront organisiert, auch im Sinne der Beschlüsse der Brüsseler Konferenz der Kommunistischen und Arbeiterparteien im Jahr 1935. Im DAD waren vertreten: die Kommunisten (ich möchte heute sagen: die sich Kommunisten nannten), linke Sozialisten (wie mein Vater beispielsweise), Sozialdemokraten, Leute vom Internationalen Sozialistischem Kampfbund (ISK), ehemalige Sozialdemokraten und bürgerliche Demokraten, sowie eine Gruppe österreichischer Sozialisten. Das heißt, DAD war ein breiter Zusammenschluß linker und antifaschistischer Kräfte. Ab 1938 gab „Das Andere Deutschland“ ein monatliches Informationsblatt gleichen Namens heraus, zunächst ganz einfach zusammengeheftete hektographierte Blätter. Da das Interesse an dem Blatt zunahm, entschied die Redaktion Anfang 1939, es „‚richtig“ drucken zu lassen. Wir waren allerdings nicht sicher, ob die Nachfrage groß genug sein würde, um das durchhalten zu können. Deshalb erschien die erste gedruckte Ausgabe im März 1939 mit dem Aufdruck: ‚‚Diese Nummer erscheint gedruckt, da wir diesmal Sonderbestellungen bekommen haben.“ Damit hielten wir die Möglichkeit offen, DAD danach wieder in hektogra Clement Moreau: Deutsche Schule in Argentinien, um 1937 phierter Form herauszubringen, falls die Nachfrage und das Geld für eine gedruckte Zeitung nicht gereicht hätten. Aber das war dann doch nicht nötig, denn die Nachfrage stieg weiter und die Zeitschrift erschien bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1948 erst monatlich, dann vierzehntägig in gedruckter Form. „Das Andere Deutschland“ war eindeutig eine politische Zeitschrift. Jede Ausgabe enthielt einen ausführlichen Leitartikel — meist von August Siemsen verfaßt — sowie Berichte und Artikel über den Faschismus in Deutschland, über den Kriegsverlauf, über die Vorstellungen und Konzepte der Alliierten, des weiteren Stimmen aus der deutschen Emigration, Besprechungen wichtiger Bücher, Vorstellungen über den Aufbau eines antifaschistischen, sozialistischen Deutschlands nach der Befreiung, später Berichte und Hintergrundinformationen über und aus Nachkriegsdeutschland, viele Beiträge über allgemeinere Weltprobleme, Artikel zu ethischen und philosophischen Fragen und auch zahlreiche kontroverse Diskussionsbeiträge. Nicht berichtet hat DAD indessen über die argentinische Innenpolitik und die Innenpolitik anderer südamerikanischer Staaten. Wir haben uns als politische Emigranten aus Nazideutschland natürlich nie in die argentinische Politik eingemischt, d.h. ich als Person wohl schon innerhalb der Sozialistischen Jugend, aber sonst offiziell niemals, das war klar. Dadurch waren auch unsere Haltung und unsere Beziehungen zur argentinischen Linken geprägt. Zu den linken Gruppen gab es vor allem Kontakte persönlicher Art. Wir hatten Verbindungen zur Sozialistischen Partei, gelegentlich auch zur Kommunistischen Partei und zu Sektoren der großen Partido Radical Intransigente, die wiederholt Regierungspartei war. Die wichtigsten und aktivsten Mitarbeiter des DAD waren August Siemsen als Präsident und Chefredakteur der Zeitung, mit 23