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Editorial

Wir sahen uns aus verschiedenen Gründen gezwungen, den Edi¬
tionsplan zu ändern. Das als Nr. 4/1998 angekündigte "Österreich
als Exilland"-Heft wird als Nr. 2/1999 im Juni erscheinen; die Nr.
4/1998 entfällt. Die vorliegende Ausgabe von MdZ vermag
durch ihren beträchtlichen Umfang (eine „‚Doppelnummer“‘) das
lange Erscheinungsintervall vielleicht zu rechtfertigen. Sie be¬
steht aus zwei Teilen, einem Heftteil, der eine literarisch politi¬
sche Zeitgenossenschaft dokumentiert, und einem - aus Anlaß
des 15jährigen Erscheinens von MdZ - beigelegten Register, das
sämtliche Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Künstler und
Künstlerinnen, die mit ihren Beiträgen kräftig Zeugnis von dieser
Zeitgenossenschaft ablegen, umfaßt. Ein Register erscheint uns
nicht nur als Informations- und Arbeitsbehelf nützlich, sondern
es dokumentiert anschaulich die Erfolgsbilanz einer Zeitschrift,
die bekanntlich ihre Gründung keinem Gedenkanlaß verdankt,
keiner von „oben“ gestarteten Aktion, sondern dem vitalen Im¬
puls, dem lebendigen Interesse, das sich an dem damals fast
unzugänglichen Werk von Theodor Kramer entzündete und wei¬
tergetrieben wurde: Jura Soyfer, Berthold Viertel, Stella Roten¬
berg, Anna Krommer, Frederick Brainin.. .

In den letzten Jahren hat MdZ nicht nur an Quantität, sondern

auch an Qualität zugenommen. 600 BeiträgerInnen, davon im¬
merhin 163 Autorinnen, Künstlerinnen und Fotografinnen - zu¬
mindest ein Ansatz zu einer heterogenen Literaturwissenschaft —
vermittelten durch Poesie, Essays, biographischen Studien und
kulturpolitische Kommentare eindrucksvoll, welch reichhaltiger,
vielfältiger und zeitgeschichtlich engagierter Austausch möglich
geworden ist. Wo sonst, als in einer Zeitschrift, die sich der
Literatur des Exils und des Widerstandes verschrieben hat, neh¬
men SchriftstellerInnen die Verantwortung ernst, sich auch für
die Geschichte ihres Landes verantwortlich zu fühlen - ohne
Rücksicht auf den Markterfolg, aber um so mehr mit der Hoff¬
nung, Wirkung zu erzielen.
„Zeitgenossenschaft‘ verwehrt sich gegen ein Gegenwartsge¬
fühl, das auf Abgrenzung beruht, Zeitgenossen zu Zeitzeugen
degradiert und die Ungeheuerlichkeit einer Epoche zur Episo¬
de erklärt, der man sich occasionell, anlaßbedingt erinnert.
Andere wiederum, allen voran der vorjährige deutsche Buch¬
handelspreisträger Martin Walser, betreiben das Geschäft der
kultivierten Abwehrmechanismen, dem politischen Zeitgeist
der Gleichgültigkeit entsprechend und bauen auf dem Funda¬
ment der ,,Nicht-Liebe‘‘ - des Verlustes an Mitgefühl.

Die Enge, die produziert wurde und wird, deutet auf die innere
Geschichte eines Landes hin. Die Strukturprozesse verlaufen
langsamer, als uns vorgespiegelt wird, und das gilt wohl auch für
den Prozeß der Literatur als Teil dieses gesellschaftlichen Prozes¬
ses. Wenn man verfolgt, was, zu welcher Zeit geschrieben, publi¬
ziert wurde und wie der Interaktionsprozeß zwischen AutorInnen
und LeserInnen verläuft, kommt man der inneren Geschichte
näher. .

Exil dagegen faßt Geschichte als allgemeine Geschichte oder,
wie Ruth Tassoni für sich persönlich begründet ‚Splitter, die sich
unter die Haut setzen, muß man herausziehen; bei manchen
genügt ein leichter Druck, bei anderen geht es schwerer ...‘“ Und

man weiß nicht, ob sie tief und wie tief sie gegangen sind.
S.B./K.K.

Titelbild: Zeichnung und Collage von Nina Jakl.

INHALT

VladimirVertlib: Vom Wunsch nach Eindeutigkeit. Einige Ge¬
danken zur Doppelstaatsbürgerschaft und zu der aktuellen
Debatte in Deutschland S.3

Renata M. Erich: „Rausländer‘‘ Roma, das unerwünschte
Volk S.4

Valerij Nikolajewskij: Das russische Paradoxon 5.6

Georg Rauchinger: Der Turnlehrer. Auszug aus dem Roman
„Der Eindringling‘‘. Mit einer Notiz von Renate Göllner und
Gerhard Scheit über Leben und Werk Georg Rauchingers S.9
Tusia Herzberg: Ein Augenblick des Glücks 8.12

Susanne Rasser: Nichts S.13

Edith Bruck: Gedichte. Aus dem Italienischen übertragen und
mit einer biographischen Notiz von Roland Walther S.15
OttoTausig: ‚‚Entwicklungshilfe der Künstler‘. Ein Aufruf
5.20

Beatrix Müller-Kampel: Peter Heller (Wien 1920 - Williams¬
ville, N.Y. 1998). Leben, Literatur und Wissenschaft eines
Inbetweeners S.21

Karl Kröhnke: Vom Lutetia-Kreis (Paris) zum Heinrich-Hei¬
ne-Klub (Mexiko). Heine und das deutscheExil - ein gewagtes
Patronat S.30

Vladimir Vertlib: ,, Vergangenheitsbewdaltigung ‘‘ auf belgisch
5.34

Holger Gehle: Jean Amery heute. Ein Brüsseler Kolloquium
zum 20. Todestag 8.35

Richard Wall: Nicht sah man sie fortgehn, einzeln, und ihre
Heimkehr vollzog sich in ähnlicher Stille. Beobachtungen beim
Betrachten der und Reflexionen über die Ausstellung SCHIESS
GUT, ABER FREU DICH NICHT S.36

Hajo Jahn: Ein neues Centrum für verbrannte Literatur und .
verfemte Kunst? S.39

Gedichte von Arno Reinfrank (S.8), Konstantin Kaiser (S.17),
Erwin Chvojka (S.18) und Tuvia Riibner (S.19),

Notiz über ein F' rang Kain-Kolloquium iiber Möglichkeiten und
Grenzen des Schreibens gegen den Faschismus einst und heute
(S.20)

Zeichnungen von Horst Janssen (S.31) und Joze Boschitz
(S.17)

Rezensionen über die Briefwechsel Hannah Arendts mit Mar¬
tin Heidegger (R. Göllner, S.42) und Hermann Broch (E.A.,
5.43), sowie über "Literatur der ’Inneren Emigration‘ aus
Österreich" von Johann Holzner und Karl Müller und Roman
Roceks Lernet-Holenia Biographie (D. Strigl, S. 40), Bücher
von Arnold Zweig (S. Schlenstedt, S. 44), Michael A. Kater (G.
Scheit, 8.45), Klaus Pringsheim und Erika Mann (E.A., S.47),
Artur Landsberger (M. Chobot, S.47), Brigitte Dalinger (E.A.,
5.48) und Florian Kalbeck (M. Chobot, S.48)

Buchzugänge S.49

Berichtigung S.51

Briefe, Rückspiegel S.52

Impressum S.52