Aus dem Italienischen übertragen von Roland
Walther
Dort
zwischen den Trümmern des Nests aus einer Zeit
auf dem schlammigen Boden des zerstörten Tempels
auf dem unter Brennesseln begrabenen Friedhof
noch einmal nackt
entkleidet jeglicher Würde im Schmerz
bin ich wiedergeboren
aus der Asche
wie der Vogel Phönix.
Ich betrachte das Bild
meiner verbrannten Mutter
ich leide nicht
auch die Gestalt
meines Vaters
an Hunger gestorben
tut mir nicht mehr weh,
nicht einmal die Erinnerung
sagt mir noch etwas.
Das Herz beschleunigt
nicht seinen Schlag
beim Anblick des Geliebten
in Erwartung einer anderen;
nichts, nichts
tut mir weh auf der Welt
als die Welt selbst.
Sag du mir
sagt mir
wer Freund ist
wer nicht
wer wen liebt
wenn Gold Gold
die Sonne Sonne
wenn Brot vom Mehl ist.
Wann und wer sagt das Wahre
wenn es eine Wahrheit gibt.
Sagt mir, welches der Unterschied
zwischen der Frau und dem Mann der Macht.
Das Gemüt ist nichts
als ein beladenes Dasein
warum so viele Mühen
Hiebe
Verrat?
Sagt mir den Unterschied
zwischen dem, der gebildet, und dem, der es nicht ist
alle bereit
zu lügen zu gehorchen
zu spielen um den Sieg.
Sagt mir
was das Böse
und was das Gute,
an wen sich wenden muß
der nicht betet
der ehrlich sein Brot ißt
der weder Väter noch Paten hat
nur Scham zu verkaufen.
Sagt mir, ob treu ist
der es nicht ist,
ob liebt, der nicht sagt zu lieben
oder ob keiner keinen liebt
und alles Angst ist.
Edith Bruck, geboren am 3.3. 1932 in Tiszabercel (Ungarn), enstammt einer vielköpfigen armen ungarisch-jüdischen Familie. Ihre
erste Reise trat sie, kaum mehr als ein Kind, 1944 ins Getto der Hauptstadt Budapest an; von dort wurde sie nach Auschwitz, Dachau,
Bergen-Belsen deportiert. Nach der Befreiung und einer mehrjährigen Irrfahrt durch Europa und Israel ließ sie sich 1954 in Italien
nieder und eignete sich die italienische Sprache an, in der sie schreibt.
Von ihr sind die Bücher erschienen: Chi ti ama cosi (Wer dich so sehr liebt, 1958 — eine Autobiographie ihrer Kindheit im ungarischen
Heimatdorf und den deutschen Lagern); Andremo in citta (Wir werden in die Stadt gehen, 1962 — Erzählungen); Le sacre nozze (Die
schreckliche Hochzeit, 1969 — Roman über die erste Nachkriegszeit in Israel, zur Zeit der Staatsgründung),; Due stanze vuote (Zwei
leere Zimmer, 1973 — drei Erzählungen); Il tatuaggio (Die Tätowierung, 1975 — Gedichte); Transit (Transit, 1978 — Roman); Mio
splendido disastro (Mein herrliches Scheitern, 1979 — Liebesroman); In difesa del padre (Zur Verteidigung des Vaters, 1980 —
Gedichte); Lettera alla madre (Brief an die Mutter, 1988 — Roman); Monologo (Monolog, 1990 — Gedichte); Nuda proprieta (Nacktes
Eigentum, 1993 — Roman); L’attrice (Die Schauspielerin, 1995 — Roman); Il silenzio degli amanti (Das Schweigen der Liebenden,
1997 - über die Ausgrenzung der Homosexualität).
Mit Ausnahme von ‚Mio splendido desastro“ und ‚‚Il silenzio degli amanti“ ist in allen Büchern Edith Brucks die Shoah der
Ausgangspunkt ihres Schreibens. Erst kürzlich hat sie ein Buch über die Problematik, zur Zeitzeugin verurteilt zu sein, verfaßt: Signora
Auschwitz (erscheint dieser Tage). In Vortbereitung ist auch ein Roman über Zwangsprostitution und Frauenraub in der NS-Zeit: La
notte del 30 marzo (Die Nacht des 30. März).
Edith Bruck hat außerdem journalistisch gearbeitet und drei Filme gemacht. 1983 wurde in Ungarn ein Film über ihr Leben gedreht.
Sie hat zahlreiche Literaturpreise erhalten. Ihre Bücher sind in mehrere Sprachen übersetzt.