mal den anderen Emigranten vor, forschen und
archivieren. Ihre (wichtigen) Ergebnisse blei¬
ben der breiten Öffentlichkeit verborgen. Und
kommen dann doch einmal Themen wie Exil
oder Zensur in populäre Ausstellungen, dann
sind nicht selten ausländische, zumal amerika¬
nische Institutionen die Veranstalter. Beispiele
dafür sind Buchkatalog und Ausstellungen des
Los Angeles County Museum of Art: ,,Entar¬
tete Kunst — Das Schicksal der Avantgarde in
Deutschland“ (1991), „Exil — Flucht und Emi¬
gration europäischer Künstler“ (1997/98). Die
damit korrespondierende Stiftungs- und Cen¬
trumsidee sehen der Londoner „Exil-P.E.N.“
und die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft im
Sinne von Lessing: Die Geschichte soll nicht
das Gedächtnis beschweren, sondern den Ver¬
stand erleuchten.
Unter Bürgern, Politikern und Unternehmern
muß sich diese Erkenntnis erst durchgesetzen.
Noch ist den meisten nicht bewußt, daß das
vorgeblich negative Thema ,, Vergangenheits¬
bewältigung‘ mit dieser Idee positiv besetzt ist:
Es waren die Besten und Kreativsten, die ver¬
folgt und unterdriickt wurden. Sie haben in
Literatur, Film, Musik und bildender Kunst
iiberliefert, wie und was geschehen ist: ,, Wir
sind die Letzten, fragt uns aus“, so Hans Sahl,
emigrierter Journalist und Dichter. Und Fritz
Beer, in England lebender Präsident des , ,Exil¬
P.E.N.“ sagt: „Wer über die Vergangenheit
lügt oder schweigt, vergiftet den Brunnen, der
die Zukunft speist. Unsere Freiheit wurde in der
Vergangenheit von rechts ebenso wie von links
bedroht. Das Wort der aus der DDR herausgee¬
kelten und geflohenen, in ihrer Existenz be¬
drohten Autoren war ebenso gegen den Mi߬
brauch der Macht und gegen Tyrannei gerichtet
wie das der im Dritten Reich verbannten und
verbrannten. Es kann in der Beziehung von
Schriftstellern zur Macht, auch der Macht, die
sie gutheißen, immer nureinehonorige Haltung
geben: ihr auf die Finger zu sehen. Das muß
immer wieder gesagt werden, damit niemand
vergißt, daß der Preis der Freiheit ewige Wach¬
samkeit ist.“
Hier geht es nicht um die Konservierung der
Vergangenheit, sondern um die Darstellung des
literarischen und künstlerischen Widerstands in
zwei deutschen Diktaturen — so verschieden sie
auch waren! —, vor allem aber um die Einlésung
vergangener Hoffnungen, damit sich die Ge¬
schichte nicht wiederholt. Eine Einrichtung wie
das Centrum fiir die verfolgten Dichter und
Kiinstler, das sich damit implizit auch dem
Vergangenen widmet, ist nicht rückwärts ge¬
wandt wie ein (Holocaust-)Denkmal. Die Fä¬
higkeit, uns in der Zukunft zu bewegen, hängt
entscheidend davon ab, wie wir im Gefolge der
Vergangenheit zu handeln vermögen. In die¬
sem Zusammenhang ist das Erinnern überle¬
benswichtig.
Hajo Jahn ist Vorsitzender der Else-Lasker¬
Schüler-Gesellschaft, Kolpingstr.8., D-42103
Wuppertal. Die Gesellschaft hat über 1.500
Mitglieder; ihre Ziele werden von vielen be¬
kannten deutschsprachigen Exilschriftstelle¬
rInnen unterstützt. 1999 veranstaltet sie vom
11.-14. November das bereits VII. Else-Lasker¬
Schüler-Forum mit einer Ausstellung der Ge¬
mälde und Zeichnungen Peter Kiens, mit Lyrik¬
und Prosalesungen, u.a. von Pavel Kohout,
Arnost Lustiger, Greta Klingsberg... Die Ge¬
sellschaft hat auch eine Informationsseite im
Inernet: http:www.rickshaw.org.
Auf Initiative der Gesellschaft istzuletzt das von
Hajo Jahn herausgegebene Buch ‚Zwischen
Theben und Shanghai. Jüdische Exilanten in
China — Chinesische Exilanten in Europa. Al¬
manach zum V. Else-Lasker-Schüler-Forum
Flucht in die Freiheit’ (siehe Buchzugänge)
erschienen.
Wer dabei gewesen ist und 1945 nicht dabeige¬
wesen sein wollte, der tat gut daran, wenigstens
seine innere Beteiligung in Abrede zu stellen.
Im Falle des Franz Resl besorgte die Fürsprache
beim Bundespräsidenten das Innenministeri¬
um: „Da er über wiederholte Einladung bei
Kameradschaftsabenden heitere Vorträge hielt,
wurde er zum Danke ehrenhalber zum SA¬
Obersturmführer ernannt. Seine ganze Tätig¬
keit bei der NSDAP sowie bei der SA bestand
lediglich in der Abhaltung von heiteren Vorträ¬
gen.“ Die Abhaltung von heiteren Vorträgen
vor SA-Leuten empfiehlt sich nicht wirklich als
Beweis einer Inneren Emigration. Der volks¬
tümliche Humorist mußte das, wie Murray G.
Hall in seinem süffisanten Überblick darlegt,
auch gar nicht behaupten, um von den ‚„Sühne¬
folgen“, nämlich Publikations- und Auftritts¬
verbot, ausgenommen zu werden. Andere, ‚,‚se¬
riösere“ Autoren waren beim Weißwaschen
und Persilscheinergattern weniger zimperlich —
und genauso erfolgreich. Friedrich Schreyvo¬
gel, Mirko Jelusich und Franz Spunda zum
Beispiel, allesamt illegale Nazis der ,,System¬
zeit“ und nach dem Anschluß prominente Re¬
präsentanten des braunen Literaturbetriebs,
wissen nicht, wie ihnen geschah: Ihre niedrige
NSDAP-Migliedsnummer muß fingiert gewe¬
sen sein, sie waren niemals illegal, später hat
man ihnen das Parteibuch aufgedrängt, ja förm¬
lich nachgeworfen, und überhaupt war ihre in¬
nere Gegnerschaft von Anfang an sehr stark.
Angesichts dieser Chuzpe schreit der Begriff
der Inneren Emigration nach einer schärferen
Abgrenzung: Ist ein Innerer Emigrant wirklich
schon ein jeder, der in sein Inneres emigriert?
Zu denken gibt, daß ausgerechnet Frank Thiess,
der die Erfindung des Terminus „Innere Emi¬
gration“ für sich reklamiert und sich quasi als
der bessere Emigrant mit Thomas Mann 1945
öffentlich angelegt hat, mit seinen Unterhal¬
tungsromanen bei höchsten NS-Stellen punk¬
ten wollte (Ulrike Knes). Genügte es, eine bal¬
dige innere Abkehr von den braunen Idealen
plausibel zu machen, um als Innerer Emigrant
zu gelten, dann wäre eigentlich Josef Weinhe¬
ber ein ernsthafter Kandidat für diesen Ehrenti¬
tel.
Eben diesen Spitzfindigkeiten geht der neue
Zwischenwelt-Band nach, und gerade die minu¬
ziösen Studien zu literarischen Einzelfällen
sind seine große Stärke: Es werden hier nicht
alle über einen Kamm geschoren, es wird nicht
schwarzweiß gemalt. Gleichwohl bemüht man
sich um einen Maßstab, an dem sich Begriff und
Begriffene messen lassen müssen. Der im dop¬
pelten Sinne gewichtige Band dokumentiert das
erste Symposion zum Thema Literatur der ,,In¬
neren Emigration“ aus Osterreich, das 1995 in
Salzburg stattfand und tief in eine Forschungs¬
lücke vorstieß. Der Buchtitel ist in mehrfacher
Hinsicht nicht wörtlich zu nehmen: Relativ viel
Raum beanspruchen zum einen Abhandlungen
zum ,,Altreich"; ein Aufsatz widmet sich gar
einem kubanischen Roman des Jahres 1974.
Außerdem beschränkt sich das Themenspek¬
trum nicht auf die Literatur — beleuchtet wird
etwa auch die ostmärkische Theaterpraxis, die
Germanistik (Hugo von Kleinmayr) oder die
Rolle des milde abstinenten Alfred Kubin. Und
zu guter Letzt befaßt sich ein Beitrag, eindeutig
das Thema verfehlend, mit der Sprachskepsis
der heimischen Nachkriegsliteratur. So ist es
wohl nicht kleinlich, auf Namen hinzuweisen,
die in diesem Band nicht oder eben nur erwähnt
werden: Otto Basil und Wilhelm Szabo jeden¬
falls, Rudolf Brunngraber (dessen Bücher
Goebbels schätzte) und, von katholischer Seite,
Rudolf Jeremias Kreutz, Heinrich Suso-Wald¬
eck und Rudolf Henz. Freilich: Irgendwo muß
man einmal anfangen, und ein Anfang ist nun
jedenfalls gemacht.
Am Beginn des Bandes stehen Erwin Roter¬
munds eher kursorische Anmerkungen zum
„Verdeckten Schreiben“, dessen Strategien er
mit den Begriffen der klassischen Rhetorik zu
beschreiben versucht. Nicht überzeugend ist in
diesem Zusammenhang das Beispiel der mas¬
senhaften Krebs-Wanderung aus Alexander
Lernet-Holenias Polenfeldzug-Roman Mars im
Widder: „In dem primär militärischen und psy¬
chologischen Kontext ist dies als ‘Verstoß’ ge¬
gen die Maxime, einen Beitrag nicht informati¬
ver als nötig zu machen, kaum zu übersehen;
zugleich wird die Forderung, nur Wesentliches
zu berichten, nicht beachtet.“ Abgesehen da¬
von, daß dieser Satz selbst einen Verstoß gegen
die Regeln der Rhetorik darstellt, findet sich in
Mars im Widder eine Fülle von erotischen Sze¬
nen, Träumen, Erscheinungen und anspie¬
lungsreichen Bildern, sodaß nicht eine einzelne
Passage, sondern der ganze Roman aus dem
Rahmen fällt. In ihrem ‘Korreferat’ bringt Hei¬
drun Ehrke-Rotermund pragmatische Aspekte
ein: Die offizielle Reaktion auf verdeckt Kriti¬
sches reichte von der Vereinnahmung bis zum