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klingen, während Hörner und Blech, aber auch die Holzbläser im Waldgespräch des Scherzos Härten und ungelöste, schwere Massigkeit aufweisen.‘“*' Der Kritiker argumentiert ungebrochen mit traditionellen Kategorien — und kommt so nicht auf den Gedanken, daß es eben durchaus beabsichtigt gewesen sein könnte, in Aufbau, Klang und Beseelung keine „letzte Vollendung“ zu imaginieren - dem Gedanken Eduard Steuermanns von der „Barbarei der Vollendung“ folgend*? -, daß die Blechbläser im deutschen Märchenwald plötzlich Härten zeigen und ungelöste, schwere Massigkeit auf die romantische Stimmung drückt. Scherchen und das Musica Viva-Orchester brachten nach der Neunten und der Dritten noch die Erste Symphonie, das Adagio aus der Zehnten und die Rückert-Lieder zur Aufführung. Bereits die für den 24. Februar im Musikverein geplante Aufführung der Zweiten hat nach den Aufzeichnungen der Programm-Indizes des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde nicht mehr stattgefunden. Vermutlich hatten bereits zu viele Orchestermusiker in weiser Voraussicht das Land verlassen: so wissen wir von Eric Simon, der wesentlich am Aufbau dieses Orchesters beteiligt war und bei der Zweiten die Klarinette spielen sollte, daß er bereits vor der geplanten Aufführung emigrierte.”? Fix geplant waren für das Jahr 1938 — so zeigt es ein eindrucksvoller Prospekt des Orchesters — weitere Mahler-Konzerte am 24.3, 28.4. und 12.5., die alle nicht mehr stattfinden konnten, da eintraf, was Eric Simon vorausgesehen hatte. Scherchen und nicht wenige Musiker des Orchesters wurden zusammen mit der Musik Mahlers nun auch aus Österreich vertrieben. Möglicherweise fühlte sich Bruno Walter durch Scherchens Mahler-Zyklus herausgefordert, selbst wieder weniger beliebte Mahler-Symphonien aufs Programm zu setzen: so dirigierte er noch im Dezember 1937 die Fünfte und im Jänner 1938 die Neunte — beide mit den Wiener Philharmonikern. Letztere wurde als Konzertmitschnitt auf Schallplatte gepreßt und erlangte große Berühmtheit.** Kurt Blaukopf etwa erinnert sich, daß man in Palästina in den Jahren des Exils am Versöhnungstag die Neunte unter Bruno Walter im Rundfunk spielte, und vermutlich handelte es sich um diesen Konzertmitschnitt.® Während diese Aufnahme also alljährlich in Palästina erklang, wirkten die Wiener Philharmoniker bereits als willfähriges Instrument des Dritten Reichs und spielten etwa zu dem Propagandastreifen Heimkehr (mit Paula Wessely und Attila Hörbiger) auf. Wer im Lande blieb, konnte in Hinkunft trotz Ariernachweis allein durch die Nähe zu Gustav Mahler und seiner Musik belastet werden. Freilich war die Frage der jüdischen Herkunft auch hier das Entscheidende. Guido Adler, der emeritierte Ordinarius des Wiener musikwissenschaftlichen Instituts Freund und Förderer Mahlers, der viel zur Erforschung seines Werks beigetragen hatte - erhielt 1938 Publikationsverbot und starb, kurz bevor er wahrscheinlich deportiert worden wäre, 1941 in Wien; seine Bibliothek wurde ohne Entschädigung beschlagnahmt und dem von ihm selbst einst gegründeten, nunmehr ‚arisierten‘ musikhistorischen Institut zugewiesen. Einige jener früheren Freunde oder Anhänger Mahlers, die von den Nürnberger Gesetzen nicht betroffen waren, hatten demgegenüber nichts einzuwenden, von jenen geehrt zu werden, die Mahler, hätte er länger gelebt, ebenfalls vertrieben oder ermordet hätten. So hatte Alfred Roller, einst Mahlers Bühnenbildner, bereits 1934 für Hitlers Bayreuth gearbeitet; so nahm Anna Bahr-Mildenburg, die bekannte Sängerin, einstmals enge Freundin Mahlers und später Gattin Hermann Bahrs, 1942 zu ihrem 70. Geburtstag die ‚Goethe-Medaille‘ aus den Händen der Nazi-Bürokratie entgegen. Baldur v. Schirach mußte dies erst durchsetzen, die Verleihung war umstritten, da die gefeierte Sängerin „enge persönliche Beziehungen zu Gustav Mahler“ gepflogen hatte: Nach Ansicht Schirachs aber „lagen diese Vorgänge weit zurück, und die Künstlerin sei durch ihren Empfang beim Führer voll rehabilitiert.‘“* Anmerkungen zu G. Scheit 1 Der vorliegende Aufsatz ist ein vom Autor gekürzter Vorabdruck aus dem Band Gerhard Scheit, Wilhelm Svoboda: Gustav Mahler und Österreich 1918-1990. Eine Studie über den Zusammenhang von Antisemitismus und Moderne-Rezeption. Hamburg: Von Bockel. Die Publikation, die 1999 erscheint, geht aus einem Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr unter der Leitung von Walter Pass hervor. 2 Neues Wiener Tagblatt, 19.5. 1936. 3 F.D. [Fritz Deutsch:] Bruno Walter spricht über Mahler. Neues Wiener Journal, 19.5. 1936; vgl. hierzu auch: Bruno Walter über Gustav Mahler, Neue Freie Presse, 19.5. 1936. Vgl. ebd. Neues Wiener Journal, 19.5. 1936. Vgl. hierzu: Volks-Zeitung, 19.4. 1936. Vgl. hierzu Mahler-Gedenkfeiern. Neue Freie Presse, 26.5. 1936. 8 Gustav-Mahler-Gedenkfeier in der Staatsoper. Neue Freie Presse, 15.6. 1936. 9 Kr.: Gustav-Mahler-Gedächtnisfeier. Neues Wiener Tagblatt, 28.4. 1936. 10 Fritz Deutsch: Bruno Walter dirigiert. Die große Aufführung der Achten Symphonie Mahlers. Neues Wiener Journal, 17.5. 1936. 11 Neues Wiener Journal, 17.5. 1936. 12 Joseph Marx: Was dünket Euch um Gustav Mahler? Neues Wiener Journal, 16.5. 1936. 13 Ebd. 14 Brief vom 27.3. 1935. Theodor W. Adorno — Ernst Kfenek. Briefwechsel. Frankfurt am Main 1974 S. 75. 15 Neues Wiener Journal, 15.5. 1936. 16 Deutsches Volksblatt, 21.3. 1936. 17 Deutsches Volksblatt, 21.3. 1936. 18 Deutsches Volksblatt, 25.4. 1936. 19 M.S.: philharmonisches Konzert. Reichspost, 17.4. 1934. 20 Ebd. 21 Dr. F.B.: Schlesinger, Mahler und die „Reichspost“. Der Stürmer (Wien), 28.4. 1934; den Hinweis auf diesen Artikel verdanken wir Eckhart Früh. 22 Ebd. Dieser Polemik war im Wiener Stürmer bereits eine umfangreichere Attacke auf Mahler vorausgegangen. Am 24. Februar 1934 hatte Alois G. Topitz anläßlich einer Radiosendung des bekannten Komponisten (und früheren Mitherausgeber des „Anbruch“) Paul Amadeus Pisk, der wenig später ins amerikanische Exil ging, folgendes geschrieben: „Montag, den 12. Feber, sprach im Wiener Rundfunk ein Dr. Pisk - der Name dürfte eine Abkürzung des Namens Piskaty sein — über das Thema ‚Goethes Faust in der Musik‘. In diesem Vortrag wurde eine Anzahl jüdischer Tondichter erwähnt, indem sie in das Thema hineingesetzt wurden, im Schlußsatz auch Mahler, dessen ‚reines Herz‘ und ‚hohes Streben‘ die Vorlesung beschloß. (...) Da nun die Juden Mahler als den ihren bei jeder Gelegenheit würdigen, soll dies auch von seiten des Wirtsvolkes ein wenig versucht werden. (...) Mahler hatte es ja als Jude leicht, sich unter Aufgebot aller gleichrassischen Beziehungen ‚machen zu lassen‘.“ Hierzu brachte das Blatt eine Karikatur Mahlers, bei der sich der Zeichner in gewohnter Stürmer-Manier bemühte, als jüdisch definierte Züge im Gesicht Mahlers einzuzeichnen. Alois G. Topitz: Zur Würdigung Mahlers. Der Stürmer (Wien), 24.2. 1934. NAM 21