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Haringer selbst ist kein politisch-aktiver NS-Gegner. Der Ansatzpunkt seiner Kritik ist der fast körperliche und stark emotionale Widerwille gegen alles Spießbürgertum. „Der Spießer tötet alle Menschen, die keine Tiere sind“, schreibt er schon 1925 in seinem Räubermärchen. Die Nationalsozialisten sind für ihn die Verkörperung alles Spießbürgerlichen, in ihrer willigen Vereinheitlichung verachtenswerte Masse, die keinen Freiraum mehr beansprucht für Phantasie und Individualität. Nur in wenigen Passagen äußert sich Haringer unmißverständlich über seine Einstellung zu den neuen Machthabern. Wichtigstes und in seinem fast beispiellosen Mut viel zu wenig gewürdigtes Dokument in diesem Zusammenhang ist zweifellos seine Deutschland-Ode von 1934, erstmals publiziert in der Exilzeitschrift „Das Neue Tagebuch“. Deutschland-Ode O Herrgott! Dank! Ihr Schufte! Es gewittert! Ihr habt euch viel zu lang mit Dreck zersplittert — Mein armes Land! Mit brauner Pest wardst todwiist du umnebelt, Sie haben feige dich zum Lump geknebelt — Mein schénstes Land! Kein Volk läßt ewig sich mit Knüppeln morden, Ihr seid am Ende schwarze Mörderhorden! Geduld mein Land! Durch all dies Leid wirst du in Freiheit strahlen, Aus Liebe sandte Gott dir diese Qualen Mein armes Land! Du bist nicht so mein Land, ich glaub an deine Verborgnen Himmel noch — was kümmern mich die Schweine! Du liebes Land... Es hocken Mücken wohl am schönsten Spiegel, Das Glück verbirgt sich hinter schwarze Sigel — Mein deutsches Land! Ich fleh zu Gott mit all den Millionen, Herr! Mach uns frei von diesen feigen Drohnen! Geduld mein Land! Es blitzt... es stürzen balde deine Mauern, Vorbei der braune Mord, das finstre Trauern, Geduld mein Land! Du wirst bald wieder goldne Sonne schauen, Verreckt die Mörder und ihr eisern Grauen, Mein armes Land... Sie haben dich mit lauter Mord zersplittert... O Herrgott! Dank! Ihr Schufte! es gewittert... Wach auf! Mein schénstes Land! Der Schriftsteller und Literarhistoriker Wulf Kirsten, der Jakob Haringers Werk noch in der früheren DDR förderte und im Aufbau Verlag eine Gedichtauswahl publizierte, schreibt: „Mit dieser Absage, in ihrer Klarheit ein Einzelbeispiel seiner Lyrik, reihte sich Haringer in die Front der antifaschistischen Exilschriftsteller ein.“!! Vorerst konnte Haringer in Osterreich bleiben. 1935 erscheint noch, über Vermittlung seines Freundes Georg Rendl, sein umfangreicher Band Vermischte Schriften (Gedichte und Nachdichtungen) beim Salzburger Pustet Verlag.'? Als die Wiener katholische „Monatsschrift für Kultur und Politik“ die Vermischten Schriften und ihren Dichter würdigt, treten im Oktober 1936 die „Nationalsozialistischen Monatshefte“ auf den Plan und beschimpfen Haringer: Der Dichter Jakob Haringer ... gehört zu jenen üblen Vertretern des jüdischen Kulturbolschewismus, die in der vergangenen Systemzeit es sich zur Aufgabe gesetzt hatten, das ganze deutsche Schrifttum systematisch zu verseuchen und fiir den Bolschewismus reif zu machen, indem sie hemmungslos alle religidsen und kulturellen Werte des deutschen Menschen begeiferten und lächerlich machten ... Und dieser Dichter, Jakob Haringer, ein Schänder unserer deutschen Sprache, einer der übelsten Vertreter literarischen Unrats —- macht heute in katholischer Frömmigkeit... Nach den Auffassungen und Grundsätzen, welche wir heute im nationalsozialistischen Deutschland vom Dichterberuf haben, ist es ein Verbrechen am deutschen Gedanken, einen Dichter zu propagieren, der so maßlos am deutschen Schrifttum sich versündigt hat, ein Verbrechen am deutschen Volkstum, einen Dichter zu propagieren, der in zahllosen Werken in unglaublichen Schamlosigkeiten und Gotteslästerungen sich ergangen hat ..."? Am 25. Juli 1936 wird Jakob Haringer die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.'* Biographische Zeugnisse für die folgenden Monate sind spärlich, belegt sind Aufenthalte in und um Salzburg in wechselnden Untermietzimmern, immer in Angst und angewiesen auf die Hilfe von Freunden. Wahrscheinlich taucht er Februar/ März 1938 beim Maler Josef Schulz unter. Als Hitler am 12. März in Österreich einmarschiert, flieht er in die Tschechoslowakei. Am 26. März 1938 schreibt er an den engen Vertrauten der letzten Jahre, an Richard Doetsch-Benziger in Basel: ... ich bin den Henkern mit 1000 Todesnöten entkommen. Es geht grauenhaft zu: täglich ca. 150 Ermordungen und ca. 50 Selbstmorde. In allen Auslagen Karten, auf denen die Schweiz schon zu ‚Großdeutschland‘ gehört! Größenwahnsinnige Verbrecher! Gestern verbrachte ich ca. zehn Stunden im Wasser, um die tschechische Grenze zu erreichen, gehetzt und ‚preisgekrönt‘ von der Gestapo ... Wann endlich sieht die Welt ein, was ihr vom Hakenkreuz blüht?'> Von Prag aus flüchtet er über Straßburg in die Schweiz, in die er illegal einreist. Er wird verhaftet und interniert. Im Schweizer Exil ist er noch mehr als bisher auf die Hilfe von Freunden angewiesen und lebt im Grunde bis zum Ende von Almosen. Auch nach 1945 kehrt Haringer nicht mehr nach Österreich zurück: Er kann den Österreichern ihre profaschistische Haltung nicht verzeihen. Verbittert beobachtet er das Treiben von ehemaligen Nationalsozialisten in Österreich und sein Haß läßt ihn in seinen Vorschlägen maßlos sein. ... man schmeisse einen dieser Teutschen Nazibestien hinaus und gebe mir eine kleine Wohnung, schreibt Haringer dem befreundeten Salzburger Maler Josef Schulz im Sommer 1946, sorge, dass ich meine letzten Eigentumsreste wieder erhalte und ich will gern mit euch hungern ...'° Seine letzte Bleibe in der Schweiz sind zwei Dachkammern in einem Bauernhaus in Köniz bei Bern. 1946 erscheint als 43