Haringer selbst ist kein politisch-aktiver NS-Gegner. Der
Ansatzpunkt seiner Kritik ist der fast körperliche und stark emo¬
tionale Widerwille gegen alles Spießbürgertum. „Der Spießer
tötet alle Menschen, die keine Tiere sind“, schreibt er schon
1925 in seinem Räubermärchen. Die Nationalsozialisten sind
für ihn die Verkörperung alles Spießbürgerlichen, in ihrer willi¬
gen Vereinheitlichung verachtenswerte Masse, die keinen Frei¬
raum mehr beansprucht für Phantasie und Individualität.
Nur in wenigen Passagen äußert sich Haringer unmißver¬
ständlich über seine Einstellung zu den neuen Machthabern.
Wichtigstes und in seinem fast beispiellosen Mut viel zu wenig
gewürdigtes Dokument in diesem Zusammenhang ist zweifel¬
los seine Deutschland-Ode von 1934, erstmals publiziert in der
Exilzeitschrift „Das Neue Tagebuch“.
Lyrik, reihte sich Haringer in die Front der antifaschistischen
Exilschriftsteller ein.“!!
Vorerst konnte Haringer in Osterreich bleiben. 1935 er¬
scheint noch, über Vermittlung seines Freundes Georg Rendl,
sein umfangreicher Band Vermischte Schriften (Gedichte und
Nachdichtungen) beim Salzburger Pustet Verlag.'?
Als die Wiener katholische „Monatsschrift für Kultur und
Politik“ die Vermischten Schriften und ihren Dichter würdigt,
treten im Oktober 1936 die „Nationalsozialistischen Monats¬
hefte“ auf den Plan und beschimpfen Haringer:
Der Dichter Jakob Haringer ... gehört zu jenen üblen Ver¬
tretern des jüdischen Kulturbolschewismus, die in der vergan¬
genen Systemzeit es sich zur Aufgabe gesetzt hatten, das ganze
deutsche Schrifttum systematisch zu verseuchen und fiir den
Bolschewismus reif zu machen, indem sie hemmungslos alle
religidsen und kulturellen Werte des deutschen Menschen be¬
geiferten und lächerlich machten ... Und dieser Dichter, Jakob
Haringer, ein Schänder unserer deutschen Sprache, einer der
übelsten Vertreter literarischen Unrats —- macht heute in ka¬
tholischer Frömmigkeit... Nach den Auffassungen und Grund¬
sätzen, welche wir heute im nationalsozialistischen Deutsch¬
land vom Dichterberuf haben, ist es ein Verbrechen am deut¬
schen Gedanken, einen Dichter zu propagieren, der so maßlos
am deutschen Schrifttum sich versündigt hat, ein Verbrechen
am deutschen Volkstum, einen Dichter zu propagieren, der in
zahllosen Werken in unglaublichen Schamlosigkeiten und
Gotteslästerungen sich ergangen hat ..."?
Am 25. Juli 1936 wird Jakob Haringer die deutsche Staats¬
bürgerschaft aberkannt.'*
Biographische Zeugnisse für die folgenden Monate sind
spärlich, belegt sind Aufenthalte in und um Salzburg in wech¬
selnden Untermietzimmern, immer in Angst und angewiesen
auf die Hilfe von Freunden. Wahrscheinlich taucht er Februar/
März 1938 beim Maler Josef Schulz unter. Als Hitler am
12. März in Österreich einmarschiert, flieht er in die Tschecho¬
slowakei.
Am 26. März 1938 schreibt er an den engen Vertrauten der
letzten Jahre, an Richard Doetsch-Benziger in Basel:
... ich bin den Henkern mit 1000 Todesnöten entkommen. Es
geht grauenhaft zu: täglich ca. 150 Ermordungen und ca.
50 Selbstmorde. In allen Auslagen Karten, auf denen die
Schweiz schon zu ‚Großdeutschland‘ gehört! Größenwahnsin¬
nige Verbrecher! Gestern verbrachte ich ca. zehn Stunden im
Wasser, um die tschechische Grenze zu erreichen, gehetzt und
‚preisgekrönt‘ von der Gestapo ... Wann endlich sieht die Welt
ein, was ihr vom Hakenkreuz blüht?'>
Von Prag aus flüchtet er über Straßburg in die Schweiz, in
die er illegal einreist. Er wird verhaftet und interniert. Im
Schweizer Exil ist er noch mehr als bisher auf die Hilfe von
Freunden angewiesen und lebt im Grunde bis zum Ende von
Almosen. Auch nach 1945 kehrt Haringer nicht mehr nach
Österreich zurück: Er kann den Österreichern ihre profaschi¬
stische Haltung nicht verzeihen. Verbittert beobachtet er das
Treiben von ehemaligen Nationalsozialisten in Österreich und
sein Haß läßt ihn in seinen Vorschlägen maßlos sein.
... man schmeisse einen dieser Teutschen Nazibestien hin¬
aus und gebe mir eine kleine Wohnung, schreibt Haringer dem
befreundeten Salzburger Maler Josef Schulz im Sommer 1946,
sorge, dass ich meine letzten Eigentumsreste wieder erhalte
und ich will gern mit euch hungern ...'°
Seine letzte Bleibe in der Schweiz sind zwei Dachkammern
in einem Bauernhaus in Köniz bei Bern. 1946 erscheint als