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beiterschaft auf Kritik stoßen mußte. Denn bis 1935 hatte die
KPD diese immer noch als taktischen Rückzug dargestellt.

Auch Graf selbst kommentiert die Schwierigkeiten bei der
Publikation des Romans.

Du kannst Dir denken, was ich für eine Wut im Leibe habe:
a) weil ich mir von Subalternbeamten keine Vorschriften ma¬
chen lasse, b) weil sie mich so lange haben Hängen lassen, c)
weil ich überzeugt bin, daß der Abgrund gerade deswegen,
weil er mit der „Fehlerbekämpfung “, die der VII. Weltkongreß
so emphatisch gutgeheißen, ernst gemacht hat und wahr¬
scheinlich deswegen der Einheitsfront mehr nützt als so
schrecklich farblose linientreue Traktätchen! Ich sehe in die¬
ser Art von „Gleichschaltung“ eine schreckliche Ähnlichkeit
mit der deutschen und ich sehe, daß man auf all den Kongres¬
sen der linken Schriftsteller nur gelogen hat!*

Recknagel” betont allgemein Grafs politische Wende in
seiner Brünner Zeit (1934-38) nach seiner SU-Reise. Er kon¬
statiert einen verblüffenden Enthusiasmus des parteilosen Graf
für den sozialistischen Staat, der ihm politisch und künstle¬
risch Auftrieb verlieh. Auch in seinen Briefen ist dies festge¬
halten. So sieht Graf die Ursache für die Verzögerung bei der
Herausgabe des Abgrunds ausschließlich bei der deutschen
KP, während er für die SU voll des Lobes ist:

In allen Kreisen, die ich in der Sowjetunion kennenlernte, habe
ich einen sehr guten Namen und man hört auf mich ziemlich!?®

Ganz so unkritisch scheint diese Begeisterung für die SU
und den Sozialismus allerdings nicht lange gewesen zu sein.
Denn schon wenig später, Anfang 1935, macht sich Graf nur
noch wenig Illusionen über die politische und seine persönli¬
che Lage, was das Verhalten Rußlands betrifft. Auch die fol¬
gende Briefstelle unterstützt eher die von Bauer skizzierte In¬
terpretation des Romans:

Die Emigration wird sicher noch lange dauern - ich rechne
noch 2-3 Jahre — und da die Russen sich ja nicht allzu sehr küm¬
mern, was mit ihren westlichen Mitkämpfern geschieht, so sind
die Aussichten höchst trübe. Auch eine Einheitsfront wird so
schnell keine — sagen wir — wirksame Wirklichkeit werden.?’

Die Neuen Deutschen Blätter und der Februar¬
Aufstand

Ein anderes Kapitel ist Grafs Tätigkeit bei den Neuen Deut¬
schen Blättern. Monatsschrift für Literatur und Kritik (NDB),
einer monatlich in Prag erschienenen literarischen Exilzei¬
tung, als deren Herausgeber er mit Wieland Herzfelde und An¬
na Seghers zwei Jahre lang, 1933-35, figurierte.”®

Schon vor seinem Weggang aus Wien hatte Graf an die
Gründung einer Zeitung gedacht. Neben einem vorliegenden
Entwurf (siehe: OMG. Reden und Aufsätze aus dem Exil.) be¬
finden sich Bauer zufolge in seinem Nachlaß zwei weitere
Skizzen über eine Zeitschrift mit dem Titel Der literarische
Beobachter. Graf schreibt:

Sie betrachtet ihre Aufgabe darin, alle jene Schriftsteller
und Kritiker zu sammeln, die im gegenwärtigen Deutschland
mundtot gemacht worden sind.”

Der Grundgedanke beider Projekte war es, sich politisch und
literarisch gegen den Nationalsozialismus zu wenden. Das Mot¬
to, mit dem die erste Ausgabe der NDB ‘im September 1933
übertitelt ward, lautete demgemäß: Wer schreibt, handelt.

Die Arbeit an den NDB nahm für Graf viel Zeit in An¬
spruch, da eine große Anzahl exilierter AutorInnen Texte zu¬
sandte, die durchgesehen werden mußten. Graf selbst war Re¬

dakteur für Österreich, Ungarn und die Schweiz. An einen
Freund schreibt er im November 1933 über die NDB:

Die Zeitschrift geht zu unserem Erstaunen gut, Auflage
6600 erstes Heft, es kamen 60 zurück, die Hefte 2 und 3 mußten
mit einer Auflage von 7500 rausgebracht werden. Die Zeit¬
schrift ist ja auch gut und solid in jeder Hinsicht, sie zahlt gut
und pünktlich, sie sortiert außerordentlich sorgfältig und ist
nicht langweilig.*°

Johannes R. Becher*! zufolge kamen Graf und den NDB in
der Wiener ExilantInnenszene eine zentrale Bedeutung zu. Bei
einem Besuch Bechers bei Graf hatten sie vereinbart, daß Graf
einen SchriftstellerInnenzirkel um sich bilden sollte, der einer¬
seits als Quelle für die NDB dienen, zum anderen aber Kontak¬
te mit EmigrantInnengruppen in anderen Ländern halten soll¬
te, um zur Organisation einer antifaschistischen Kampffront
beizutragen.

In den in den NDB veröffentlichten Texten schlägt Graf so
auch ganz andere Töne an, als in späteren literarischen Wer¬
ken, wie z. B. seinen zwar politischen, aber eher realistisch ge¬
haltenen „Milieu“-Romanen (Autobiographien, Anton Sittin¬
ger, Das Leben meiner Mutter). Sie erinnern neben den ange¬
sprochenen politischen Texten des Wiener Exils noch am ehe¬
sten an seine Schriften aus der Revolutionszeit in Bayern. Graf
ist hier wesentlich hoffnungsvoller und käpferischer in Ton
und Inhalt. Hier soll das Wort, die Literatur wieder zur Waffe
gegen die Reaktion werden, wie schon einmal in der Münchner
Räterepublik.* So wurden hier in erster Linie Grafs politische
Texte und nicht die bekannten Schnurren abgedruckt.

In der zweiten Ausgabe dieser Blätter erschien z. B. Grafs
Brief an den P.E.N.-Club in einem Zweitabdruck. Auch der
Brief an die Reichsstelle für das deutsche Schrifttum wurde
hier publiziert, ebenso sein Text über die österreichische
Sozialdemokratie, der hier in einer kürzeren Fassung unter
dem Titel Am Vorabend! Innsbrucker Eindrücke erschienen
1st.

In Wien schrieb Graf, wie schon in seiner expressionisti¬
schen Phase, zahlreiche Gedichte. Vergleichbar mit seiner frii¬
heren Lyrik sind diese natürlich nicht, denn aufgrund einer
völlig anderen Situation nimmt er in ihnen politisch Stellung.*?
Graf, der selbst nicht an den Aufständen teilnahm, hält in die¬
sen Gedichten die Hoffnungen fest, die er in die Februarkämp¬
fe setzte. Die oft stark emotionalisierte und militante Stim¬
mung der Gedichte ist nicht nur auf die unmittelbare politische
Situation in Wien bezogen, sondern darin spiegelt sich Grafs
Deutschland Erfahrung wider: die Spaltung der Arbeiterschaft
in das sozialdemokratische und das kommunistische Lager,
die damit einhergehende bescheidenere Organisation, Stim¬
mung und Bereitschaft zum Kampf, sowie die rasche Niederla¬
ge der Münchner Arbeiterschaft, die er selbst erlebt hatte.

Einige wenige von ihnen wurden in den NDB oder der Ar¬
beiter-Zeitung veröffentlicht, andere erschienen erst in den
letzten Jahren oder sind noch unveröffentlicht. Für Graf dien¬
ten diese Texte häufig als Medium der Selbstbefragung, Erin¬
nerung und Reflexion. Sie haben daher oft einen fast tagebuch¬
artigen Charakter.”* So heißt es in dem Gedicht Verbrüde¬
rung” (24.4. 1933, in der ersten Ausgabe der NDB veröffent¬
licht), das unter dem Titel Zuversicht im gleichen Jahr den
Weihnachtspaketen vom Matteotti-Fonds Paris für politische
Verfolgte beigelegt wurde:

Gib mir, Genosse, deine schwere Hand,lin deren Zittern
noch die Arbeit bebt./Uns eint ein unsichtbares Band,/das nur
der Gleiche gleich erlebt./Wir sind vielleicht vom Kämpfen

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