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te er mit seiner Mutter Martha und seiner Verlobten Dora An¬
gel-Soyka und machte in verdeckten Andeutungen darauf auf¬
merksam, daß er der Internierung im KZ Dachau nicht lange
würde standhalten können. Für die getarnten Signale bediente
er sich zweier Hauptfiguren aus seinen Romanen „Der Grin¬
zinger Taugenichts“ (die des Malers Quidenus) und dem stark
autobiographisch gefärbten „Zwanzigjährigen“ (die des Ed¬
gar). So schrieb er beispielsweise: „Kümmere Dich bitte um
meinen alten Freund, den Maler Quidenus. In seinem Arbeits¬
eifer malt er schon morgens um 4 Uhr stehend bis in den späten
Nachmittag, was für seine zwei Leistenbrüche nicht günstig
ist. Er sollte das Atelier wechseln; a Wie er sich die Lei¬
stenbrüche zugezogen hatte, konnte Jacob seinen Angehörigen
nicht mitteilen, nämlich durch das Schleppen von Steinen und
Tragen von Eisenbahnschienen. Seine Bitte um Zuteilung ei¬
ner leichteren Arbeit wurde abgelehnt. „Bei dieser Gelegen¬
heit wurden ihm von S.S.-Leuten die meisten Zähne des Ober¬
kiefers ausgeschlagen.“”°

Schon am 26. März 1938, also unmittelbar nach Jacobs Ver¬
haftung, wandte sich seine Mutter an Rudolf Olden (1885¬
1940), um über ihn den PEN-Club auf das Schicksal ihres Soh¬
nes aufmerksam zu machen und Freunde wie Emil Ludwig
(1881-1948), Robert Neumann (1897-1975), Arnold Zweig
(1887-1968) und Stefan Zweig (1881-1942) zu alarmieren.”!
Olden sah sich jedoch außer Stande zu helfen, da die Reaktion
der Welt zu gering sei, auf die „österreichischen Greuel“. An
eine Bekannte von Martha Jacob schrieb Olden: ,,Was aber das
besondere betrifft, so ist es, wenigstens für mich, unmöglich,
etwas für den bedauernswerten H.E. Jacob zu unternehmen. Es
sind mehrere in Österreich verhaftet, die mir näher stehen und
deren Fälle nicht so kompliziert sind, und ich weiß auch nicht,
wie ich dazu beitragen könnte, Ihnen zu helfen.“”? Dennoch
hielten die Mutter und die Schwester Alice Lampl weiterhin
Kontakt zu Olden. Gerade Alice war, bedingt durch die seeli¬
sche Bedrückung, daß sie es war, die ihren Bruder in diese Ma¬
laise gebracht hatte, besonders bemüht, aktiv zu sein. So fuhr
sie nach Prag, um die Mitglieder des dort vom 26. bis 30. Juni
1938 tagenden Internationalen PEN-Kongresses für ihren Bru¬
der zu gewinnen. Ihr Prager-Auftritt blieb jedoch erfolglos,
und sie schrieb an Olden: „Ich konnte aber, wie ich Ihnen dies
ehrlich und zu meiner tiefsten Beschämung und Kummer ein¬
gestehen muß, für H. dort nichts erreichen, da ich die Vorurtei¬
le gegen meine Person aus diesem Prozesse nicht besiegen
konnte, die die deutsche Delegation, Oscar [!] Maria Graf und
Wieland Herzfelde, bei den Franzosen und den hilfsbereiten
Tschechen entfacht hatte. Sie sehen also, verehrter Herr Dok¬
tor, Tatkraft, Energie und guter Wille allein nützen nichts,
wenn die, bei denen sie eingesetzt werden sollen, nicht IHRE
BESONDERE GROSSZÜGIGKEIT haben.“ In der Tat
zeigte weder Oskar Maria Graf (1894-1967) noch Wieland
Herzfelde (1896-1988) menschliche Größe und Format.
Selbst Olden, der Jacob nicht besonders verbunden, aber gut
über den Prozeß informiert war, notierte: „Was immer sich für
Argumente aus diesen Umständen ergeben, so bleibt bestehen,
daß er [Jacob] ein weitbekannter und geschätzter deutscher
Schriftsteller, ein altes Pen-Mitglied und jetzt in Dachau ist.
Das sind zwingende Tatsachen, die Verpflichtungen zur Folge
haben. Ich vermute, wenn sich die immens tüchtige Schwester
nicht um ihn kümmerte, würde es niemand, gewiß niemand
mit der gleichen Energie tun.“* Zuvor schrieb Alice an Olden
„[...] ich kann nicht demissionieren, weil Oscar [!] Maria Graf
offensichtlich die Meinung des Staatsanwaltes aus unserem

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Prozeß gegen mich teilt.‘”° Der Hilflosigkeit, der Alice sich
ausgesetzt fühlte, war sie nicht mehr gewachsen. Als am 6. Juli
1938 die Mutter wegen eines Devisenvergehens ihrer Tochter
aus dem Jahre 1932 erneut verhaftet wurde und sich im Spät¬
sommer 1938 auch noch die Hoffnung auf ein unbeschränktes
Affidavit of Support - ein in Chicago lebender Bruder Martha
Jacobs hatte es für Heinrich Eduard Jacob zur Verfügung ge¬
stellt — vorerst zerschlug, war sie mit ihren Kräften am Ende
und nahm sich am 21. September 1938 das Leben. Zwei Tage
später, am 23. September 1938, wurde Jacob zusammen mit
1200 weiteren Häftlingen von Dachau in das KZ Weimar¬
Buchenwald überstellt.

Daß sich Alice Lampl — wie Olden feststellte — und ihre
Mutter als einzige um den Bruder bzw. Sohn kümmerten, war
nicht richtig. Mit sicherlich noch größerer Energie bemühte
sich Jacobs Verlobte Dora Angel-Soyka und deren Familie um
den Inhaftierten. Leider war es aber so, daß Martha Jacob die
so wichtige Zusammenarbeit mit der Verlobten ihres Sohnes
nicht wahrnahm, ja sie behinderte deren Aktivitäten sogar, was
Jacob zu seinem tiefen Kummer nicht verborgen blieb. Dar¬
über, weshalb sich die Mutter so kontraproduktiv verhielt, läßt
sich lediglich spekulieren. Die Vermutung, daß sie vom Ge¬
fühl beherrscht war, Dora könne ihr den Sohn wegnehmen,
liegt nahe. Martha Jacob war jedoch durch ihre neuerliche Ver¬
haftung extrem eingeschränkt, weiteres für den Sohn zu unter¬
nehmen, so daß die Bemühungen, ihn aus Buchenwald zu be¬
freien, nunmehr allein auf den Schultern von Dora lasteten.

Wie desolat die Situation Jacobs in Buchenwald war, läßt
sich einer Beschreibung Bruno Heiligs entnehmen: „Auf dem
Appellplatz brach Heinrich Eduard Jacob plötzlich zusammen.
Er war bewußtlos und seine Hosenbeine waren von innen blut¬
gefärbt. Seit einigen Tagen waren Gerüchte im Lager aufge¬
kommen, daß Dysenterie ausgebrochen war. Die Bewa¬
chungsmannschaften aus den Nachbarbaracken liefen zusam¬
men, machten höhnische Bemerkungen und traktierten den be¬
wußtlos liegenden Jacob mit heftigen Fußtritten. Er hatte im
Schmutz zu liegen, bis zum Schluß des Namenaufrufs, der an
jenem Tag anderthalb Stunden dauerte. (Dann erst wurde er
weggetragen.) Wir zweifelten, ob wir Jacob jemals wiederse¬
hen würden.“ Nicht nur Doras Bemühungen, sondern auch
Jacobs Talent, Geschichten zu erzählen, ließen ihn Buchen¬
wald überleben. ‚In der eisigen Januarluft von 1939 saß - in
gestreifter Zuchthauskleidung, ohne Mäntel, Wollwäsche,
Handschuhe - eine Belegschaft von Konzentrationshäftlingen
im Freien und klopfte Ziegel. Ihr Erfrierungstod war wahr¬
scheinlich. Aber die Kameraden hatten einen ‚Fabulierer‘ bei
sich, der sie bei rhythmischem Gehämmer mit südlichen Ge¬
schichten erwärmte. Sie gaben ihm dafür Rosinen, Schokola¬
destückchen, Bonbons — heimlich erschmuggelte Kostbarkei¬
ten, die seine Phantasie warmhielten, so daß er immer weiter¬
erzählte. Die Kameraden überlebten. Der Erzähler überlebte.
Daß all dies wahr ist, kann ich bezeugen — denn ich selbst bin
jener Erzähler!“?’ Nicht nur seiner Erzählkunst, sondern auch
seiner Phantasie und der Erinnerung verdankt er sein Überle¬
ben: „In der eisigen Winternacht von Buchenwald standen wir,
mit dünnen Leinenjacken bekleidet, zum Strafappell angetre¬
ten. Wir standen zwei Stunden; wir standen vier Stunden; wir
standen sechs und acht Stunden, ein schweigender Block, bis
in die Morgendämmerung hinein. Kamerad an Kamerad. Von
Zeit zu Zeit gab es einen Laut, wenn einer auf die gefrorene Er¬
de stürzte. Viele starben in dieser Nacht. Aber der Schriftstel¬
ler, der dies erzählt, starb nicht. Er konnte sich helfen, indem