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Richtig muß man den Urtext
lesen! - Harry Zohn auf einem
PEN-Abend im Jüdischen
Museum

Das Zutreffende des Goethe-Paradoxons
vom „Teil der Kraft, die stets das Böse will
und stets nur Gutes schafft“, hat sich auch an
Harry Zohn erwiesen: dem Wüten der euro¬
päischen Rassisten verdanken die USA einen
ihrer profiliertesten Übersetzer aus dem
Deutschen, verdanken diesem die Kenntnis
wichtigster österreichischer, deutsch-jüdi¬
scher Literaturdokumente von weitragender,
nicht nur akademischer Bedeutung. „Ich bin
kein Judaist geworden“, sagte Harry Zohn
am 10.6. 1999 bei seinem Vortrag im Wiener
jüdischen Museum (unterm Schirm des
österreichischen PEN-Club). „Dennoch habe
ich den Amerikanern Theodor Herzl, Martin
Buber, Karl Kraus nahebringen dürfen.“ Der
langen Liste sind Kurt Tucholsky, Walter
Benjamin, Arthur Schnitzler, Alfred Adler,
Stefan Zweig anzuhängen, wobei man noch
immer weit von der Vervollständigung ent¬
fernt ist. Dem Publikum — dem P.E.N.-Club¬
Präsident Dr. W. G. Fischer den Referenten
längst nicht mehr vorzustellen brauchte, hat
er doch über die Jahre seine Zuneigung zu
seiner Geburtsstadt Wien mit zahlreichen
Auftritten erwiesen - eröffnete sich der Blick
in die Werkstatt eines glücklich begabten
Doppelsprachlehrers. Der Vortrag zentrierte
um die Schriften Theodor Herzls. Zur Diffe¬
renzierung wurde S. Avigdors Ubersetzung
von ,,Der Judenstaat“ von 1897 herangezo¬
gen, wo dem Original mit Jiddisch-Kennt¬
nissen entgegengetreten wurde, was zu idea¬
listischen befeuerten Uber-Besser-Setzungen
führte. Derweil mußte sich Nachfahre Zohn
mit der adäquaten Wortfindung für „Kolo¬
nisationsbarone“ herumschlagen. „Mau¬
scheln“ mußte als unübersetzbar stehen blei¬
ben, während dem Herzl-Wort „Aus Juden¬
jungen sollen junge Juden werden“ amerika¬
nischer Glanz zu finden war. Half ihm dabei
die Tatsache, daß die Amerikaner eine ande¬
re Beziehung zu ihrer Sprache haben als die
„sprachsässigen“ Briten? Nach 15 Jahren
Wien studierte Zohn in England und hand¬
habt (auch als jetzt emeritierter Professor an
der Brandeis University, Boston) seit 60 Jah¬
ren das Englische. Was braucht‘s noch zu ei¬
nem Experten?! Auch die Probleme des
(Wiener) Dialekt-Rüberkriegens kamen zur
Sprache in einem das Publikum zur Teilnah¬
me einladenden Frage- und Antwortspiel.
Dem Diktum „Übersetzer sein ist das beste

cheln, derweil die Zohn‘sche Forderung,
„den Urtext richtig zu lesen“, man Hunderten
Übersetzern hinterherschmeißen möchte, be¬
sonders wenn man „Retourkutsche“ als
„Return Coach“ wiederfindet! -— Diesmal war
Zohns Besuch in Europa, der ihn auch nach
Prag führte, ein kurzer. Mögen noch viele
folgen.

Arno Reinfrank

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Anna Auer

Ausstellung
Wolf Suschitzky und
Edith Tudor Hart

In der Galerie Faber in Wien fand ab Mitte
Mai bis Anfang Juni eine vielbeachtete Foto¬
ausstellung zweier österreichischer Emigran¬
ten statt, die aufgrund ihrer Bildauswahl und
Präsentation sicher zu den wichtigsten Aus¬
stellungen dieses ersten Halbjahres zählte. Es
handelte sich hierbei um die Werke des Foto¬
grafen (und Kameramannes) Wolf Suschitz¬
ky und die seiner Schwester, Edith Tudor
Hart.

Wolf Suschitzky war bereits 1935 von Wien
nach London emigriert. Fasziniert vom ge¬
schäftigen Leben in der Buchhändlerstraße
der Charing Cross Road, begann er dort die
vielen Auslagen und Geschäfte zu fotografie¬
ren. Es sind Bilder Londons aus der Vor¬
kriegszeit, wie zum Beispiel jenes eleganten
Herrn mit Schirm und Melone, der eben aus
einer Buchhandlung herauskommend die
Straße überquert hat und sich nun in das Buch
vertieft, das er eben erst erstanden hat. Die
Tageszeitung hat er in der linken Seitenta¬
sche seines Mantels gesteckt. Ein anderer
Mann, der weniger begütert scheint, hat sein
Gesicht in die Buchauslage vertieft, fast sieht
er aus, als würde er bereits seit Stunden davor
stehen, unschlüssig, für welches Buch er sich
entscheiden sollte.

Allein diese beiden Beispiele lassen das so¬
zialkritische Auge des damals erst fünfund¬
zwanzigjährigen Fotografen erkennen, der
seine neue Umgebung mit großer Wachsam¬
keit wahrnimmt. Sein Vater besaß die erste
sozialistische Buchhandlung in Wien. Si¬
cherlich wurde in der Familie viel über De¬
mokratie und Sozialismus geredet, was die
persönliche Einstellung von Edith und Wolf
Suschitzky mitgeprägt hat. In London wird
Suschitzky als Kameramann eingeladen, un¬
ter Leitung des Biologen Julian Huxley (der
Bruder des Schriftstellers Aldous Huxley) an
einer Reihe von Dokumentarfilmen über
englische Zoos mitzuwirken. Es sollte der
Beginn seiner weltweiten Karriere als Kame¬
ramann sein.

Doch immer war der Fotoapparat mit dabei.
Bestimmend wird für ihn die Nahaufnahme,
welche die Schönheit dieser sogenannten
wilden Wesen auf seinen Bildern erstaunlich
sanft erscheinen läßt. Die Großaufnahme und
das Ausschnitthafte überwiegen, lassen den
Betrachter ganz nahe an die Tiere heran. Die
von Suschitzky auf diese Weise geschaffe¬
nen Tierporträts setzten in der Tierfotografie
neue Maßstäbe, wurden bald imitiert und
schufen einen Standard, der bis in unsere Zeit
gültig ist. Verhältnismäßig rasch werden sei¬
ne Fotografien in so wichtigen Zeitschriften
veröffentlicht, wie The Animal, Zoo Magazi¬
ne, The Picture Post und Geografical Maga¬
zin. Doch erst relativ spät wurden diese Tier¬

porträts auch geschlossen veröffentlicht. Un¬
ter dem Titel The Kingdom of Beasts erschie¬
nen diese 1956 in London, während Charing
Cross Road, erst 1988 in Berlin publiziert
wurden.

Die Bilder von Edith Tudor Hart sind eben¬
falls von einer starken sozialkritischen Prä¬
senz durchdrungen. Ihre fotografische
Grundausbildung hatte Edith Tudor Hart be¬
reits 1929 am Bauhaus unter Walter Peter¬
hans erhalten. In Wien lernte sie den Beruf
der Kindergärtnerin und arbeitete später als
Sozialpädagogin nach der Maria Montessori¬
Methode in Wien und London.

In Wien herrschte in den 20er und 30er Jah¬
ren eine große Arbeitslosigkeit. Unter den
Arbeitern war die Not groß. Kinderreiche Fa¬
milien mußten in Elendsquartieren am Rande
der Gesellschaft vegetierten. Oft mußten Ge¬
miisesteigen die Wiege ersetzen; die Säuglin¬
ge, in den dunklen Hinterhöfen abgestellt, la¬
gen neben der zum Trocknen aufgehängten
Wäsche. Edith Tudor Harts Bildern erschüt¬
tern durch ihre Direktheit, beschönigen
nichts, weisen auf die unsagbare Not dieser
Menschen hin.

Als die Fotografin 1932 nach London emi¬
grierte, sucht sie auch dort die Ausgestoße¬
nen der Gesellschaft mit der Kamera auf.
Dennoch war sie immer bestrebt, ihnen in ih¬
ren Bildern menschliche Würde zu verleihen.
Viele ihrer Reportagen scheinen die sozial¬
kritische Dokumentation der FSA (Farm Se¬
curity Administration) in den USA vorweg¬
zunehmen. Die USA hatte in der Zeit der gro¬
ßen Depression ein ähnlich gravierendes Pro¬
blem. Aus diesem Grunde engagierte die
FSA zwischen 1935 und 1943 etwa 30 Foto¬
grafen, die eine flächendeckende Dokumen¬
tation über die Armut der Landbevölkerung
zusammenstellen sollten. Aufgrund der eini¬
ge hunderttausend Bilder umfassenden Foto¬
dokumentation konnte schließlich im Kon¬
greß ein Hilfsprogramm für die notleidende
Landbevölkerung Amerikas durchgesetzt
werden.

Als große Einzelkämpferin hatte sich E. Tu¬
dor Hart mit ihrer Fotodokumentation in den
Elendsquartieren Londons und später auch
im Bergarbeitergebiet von Wales ebenfalls
gegen die soziale Ungerechtigkeit und für die
Menschen eingesetzt. Fast alle Gesichter der
von ihr abgebildeten Menschen zeigen die
generelle Grundstimmung von Trauer und
Verzweiflung. Selbst die Kinder scheinen
nicht davon ausgeschlossen, denn der Ernst
ihrer Augen läßt den Hunger nach Brot erah¬
nen, der nicht gestillt werden kann.

Die fotografische Arbeit von Edith Tudor
hart ist sehr komplex und umfaßt auch die
Stadtarchitektur von Wien, Paris und Lon¬
don. Sie folgte dabei dem Trend der Zeit und
nahm das Gesehene oft von der Vogelper¬
spektive auf, wo die Gebäude schrumpfen,
sich in spielzeugähnliche Gebilde verwan¬
deln und Autos und Menschen kaum noch
wahrnehmbar nur mehr Zusammenballungen
von dunklen Flächen bilden. Auch die
Durchsicht auf die Stadtlandschaft wie die