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dann schon die entscheidenden Leute, die in den späteren Reichswerken die Führung übernehmen sollten: Paul Körner, Wilhelm Keppler, Fritz Loeb, Carl Krauch, Kurt Lange, Paul Pleiger, Hans Kehrl, Paul Rheinländer... Am 15. Juli 1937 kommt es dann zur Gründung der Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ mit Sitz in Berlin. Bereits vor der Annexion Österreichs hatten Hermann Abs von der Deutschen Bank und Dr. Rasche von der Dresdner Bank Interesse an den beiden damals führenden österreichischen Banken - maßgeblich auch für den Kapitalmarkt Südosteuropas —, CreditanstaltBankverein und Länderbank, angemeldet und Kontakte aufgenommen. (Eben, ich schreibe dies Anfang August 1999, wurde ein Vergleich zwischen der Bank Austria/ Creditanstalt und den Rechtsvertretern jüdischer NS-Opfer ausverhandelt. „Die deutschen Großbanken Deutsche Bank und Dresdner Bank zeigen sich von dem Vergleich unbeeindruckt“ — so Der Standard, - 7/8. August 1999. Mit dsterreichischen Betrieben, die Zwangsarbeiter beschäftigten, steht ein Vergleich noch aus.) In Anbetracht der Entwicklungen wurden Pläne gestrichen, die Hüttenwerke in der Oberpfalz und in Schwaben vorsahen, da ein größeres Hüttenwerk in Linz mit den österreichischen Erzlagerstätten die Lücke schließen sollte. Nach dem „Anschluß“ wurde den Reichswerken über ein Dutzend Unternehmen und die Alpine Montan AG einverleibt. Für Linz waren zur Errichtung vorgesehen: eine Kokerei, sechs Hochöfen für eine Million Tonnen Roheisen pro Jahr, Thomas-, SiemensMartin- und Elektrostahlwerke, Walz- und Kraftwerke. Tatsächlich wurde aufgrund geänderter Anforderungen und Kapazitäten der erste Hochofen erst am 15. Oktober 1941 angeblasen, beim Bau des Stahlwerks sind die Reichswerke hingegen nie über die Fundamentierungsarbeiten hinausgekommen, der Roheisenseite standen keine verarbeitenden Kapazitäten gegenüber: Das Werk Linz war eine betriebswirtschaftliche Unmöglichkeit, es war ein Torso. (S. 74) Die Situation in Linz (voller Name: Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“, Linz) war symptomatisch für die bald sich einstellende Krise der neuen Werke und ihr Versagen für die Rüstungswirtschaft. Vereinfacht ausgedrückt, geriet die Weiterverarbeitung von Roheisen und Rohstahl ins Hintertreffen, es mußte — mitten im Krieg! — gelagert werden. Spätestens mit der Zerschlagung der Tschechoslowakei (zu dieser Zeit eine Insel der Demokratie in Mitteleuropa) und der Okkupation der „Rest-Tschechei“ (man beachte die Wortwahl, die eine Gesinnung ausdrückt, die sich aktuell wieder im Begriff „RestJugoslawien“ manifestiert) „wurde der Nationalsozialismus zum Imperialismus“ (S. 117) -— so SS-Obergruppenführer Best nach dem verlorenen „Endsieg“. Autarkiepolitik hatte für Hitler die Bedeutung einer Autarkie in einem notwendigerweise erweiterten Lebensraum: Es ist unmöglich, alles, was uns fehlt, durch synthetische Verfahren oder sonstige Maßnahmen selbst herstellen zu wollen ... Man muß einen anderen Weg gehen und muß das, was man nicht hat, erobern. (S. 14) Das nationalsozialistische Wirtschaftssystem mit dem damals weltgrößten Konzern, den Reichswerken „Hermann Göring“, als Herzstück setzte ein privatwirtschaftliches System voraus. Die „Führer“ dieses Systems wurden geführt, um zu einer faschistischen Elite zu werden. Meyers Analysen zeigen deutlich, daß nicht „die Wirtschaft“ oder „das Großkapital“ die nationalsozialistische Wirtschaftspoltik bestimmte, allerdings profitierte sie davon. Und wie! Sie profitierte auf das Schändlichste durch den Einsatz billiger und billigster Arbeitskräfte: Nach der Ausdehnung der Reichswerke auf annektierte und besetzte Gebiete beschäftigten sie 1942-44 etwa 3,4 Millionen Arbeitskräfte, 1,58 Millionen davon - also rund die Hälfte — waren Zwangsarbeiter. Zuerst Tschechen und Polen, dann wurde auch in Frankreich, Belgien und Holland ,,rekrutiert“, mehr oder weniger freiwillig; ab 1941 folgten zwangsweise Serben und sogenannte Ostarbeiter/,,Untermenschen“: Kriegsgefangene und in den besetzten Gebieten ausgehobene Kontingente — aber auch von der SS bereitgestellte Häftlinge aus den Konzentrationslagern. In diesem Kapitel, in dem Meyer versucht, der Anzahl der in den Reichswerken beschäftigten Kriegsgefangenen und Konzentrationslager-Häftlinge nachzuspüren, belegt er auch allgemein die Behandlung und das je nach „Rasse“ unterschiedliche Los der Kriegsgefangenen. Geht man davon aus, daß 5,163.381 russische Kriegsgefangene gemacht wurden (Stand 1. Mai 1944, OKH-Bericht), ist es erschütternd, wie wenige überlebt haben: Etwa zwei Millionen starben schon während der Transporte, weitere Hunderttausende in KZs, auf der Flucht etc. Nur etwa 800.000 überlebten vorerst, 724.309 wurden als Arbeitskräfte in der deutschen Wirtschaft eingesetzt. Aber auch von ihnen erlebten nur wenige das Kriegsende: „Die russischen Kriegsgefangenen waren durch vorhergegangene Lageraufenthalte, Hungerverpflegung und lange Transporte so geschwächt, daß sie beim Arbeitseinsatz eine überdurchschnittliche Todesrate aufwiesen.“ (S. 198) Das Schlagwort „Vernichtung durch Arbeit“ wurde geprägt „von nüchtern denkenden Wirtschaftsführern, nicht von Ideologen. Es war schlichtes Wirtschaftsdenken, das zu der Erkenntnis führte, daß man ‚zwei Fliegen mit einer Klappe‘ schlagen würde, wenn man die ohnehin zur Vernichtung bestimmten ‚Untermenschen‘ zunächst noch als Zwangsarbeiter in kriegswichtigen Betrieben einsetzte und sie erst dann zurück ins KZ und in den Tod schickte, sobald sie durch die ständige Überanstrengung, durch Mißhandlungen, Unterernährung und Krankheit nicht mehr zur Arbeit tauglich waren. Das geschah bei den Reichswerken im Durchschnitt schon nach drei bis fünf Monaten.“ (S. 212) Meyer meint, daß eine Million Menschenleben als Opfer für die Idee der wirtschaftlichen Autarkie in den Reichswerken nicht zu hoch gegriffen sei. Seitenlang sind auch die Listen der von den Reichswerken in Österreich, in der Tschechoslowakei, in Polen, Rumänien, der Sowjetunion und anderen Ländern „einverleibten“ und betriebenen Unternehmen im Kohle- und Erzbergbau, in der Erdölförderung, bei den Hütten- und Stahlwerken, in der Rüstung, bei den Chemischen Werken. Zudem beherrschten die Reichswerke fast die gesamte Binnenschiffahrt auf Elbe, Oder und Donau. Trotzdem, oder gerade deswegen, konnte die riesige Holding all die Erwartungen und Bedürfnisse des kriegführenden Reiches nicht erfüllen. Es kam immer wieder zu katastrophaler Desorganisation (vor allem bei der Zuteilung nach kriegswichtiger Dringlichkeit), zu Fehlplanungen und Engpässen in der Versorgung der Weiterverarbeitenden Industrie. Spätestens ab 1944 zeigten außerdem die alliierten Bombenangriffe zunehmende Wirkung. Im Anhang des Buches - reich ausgestattet mit Dokumenten bezüglich Aufbau, Gründer, Aufsichtsräte und Vorstände des Konzerns — vermitteln „ausgewählte Kurzbiographien“ auch Einblick in das Leben der „Wirtschaftsführer“ nach 1945. Sie wurden von den Alliierten im Nürnberger Prozeß weitestgehend geschont. Friedrich Flick wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, aber vorzeitig entlassen. Danach begann sein Wiederaufstieg. Lediglich Konzernchef Paul Pleiger saß bis 31. Jänner 1951, nachdem er zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Noch in Haft (!) nahm er Einfluß auf die Besetzung des Vorstandsvorsitzenden der Nachfolgegesellschaft der Reichswerke, der AG fir Bergbau- und Hiittenbetriebe; danach war er Leiter einer Firma und starb 1985 als Pensionist. Sein engster Mitarbeiter, Dr. Georg Strickrodt, wurde bereits 1946 Wirtschaftsminister in Niedersachsen: Aufschlußreich seine 1980 verfaßte „Vergangenheitsbewältigung“ mit dem Titel /dentitéitswahrung im Umbruch der Systeme... Richard Wall August Meyer: Hitlers Holding. Die Reichswerke „Hermann Göring“. München, Wien: Europa Verlag 1999. 509 S. ÖS 364,75