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Hier, scheint mir, haben wir es mit einer geballten Ladung diffuser Ängste, Projektionen und Sinnumkehrungen zu tun. Wenn israelische Politiker Österreich angreifen, könne man damit in Österreich nicht ruhi g und emotionslos umgehen, weil die Kritik ja von Juden komme. Wenn dies stimmte, bestätigt es den Vorwurf, den Barazon in seinem Artikel eigentlich zu entkräften vorgibt, nämlich daß Österreich ein antisemitisches Land sei. Und die Konsequenz, die man daraus zu ziehen hat, ist nicht die Bekämpfung des Antisemitismus: Vielmehr sollten sich gerade Juden mit Kritik zurückhalten, weil dadurch die FPÖ ins rechtsradikale Eck gedrängt werde (und nicht etwa durch ihr eigenes Verhalten). Dies habe vor allem damit zu tun, daß die zahlreichen Verteidiger von „Österreichs Ehre“, insbesondere wenn sie aus den Reihen der Haider-Partei kommen, als Antisemiten, ja gar als Judenmörder angesehen werden könnten. — Wieso ist dies für Barazon so schlüssig? Voreilig und unzulässiger Weise werden von Barazon Pauschalurteile unterstellt. Jene, die „Pauschalurteile noch strenger vermeiden müßten“ sind dazu, Barazons zufolge, ohnehin unfähig. Schließlich versteigt sich der Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“ sogar zu folgender Äußerung: „Antisemitismus muß man mit aller Konsequenz dort bekämpfen, wo er sich zeigt. In den dreißiger Jahren wurde dieser Grundsatz sträflich vernachlässigt: In der Regel nahmen Juden den Antisemitismus als gegeben hin und erleichterten so den Nazi-Horden den Aufstieg. Heute wird ganz offen‘sichtlich das Gegenteil betrieben und der Antisemitismus überall dort bekämpft, wo man ihn auch nur befürchtet.“ In Strafprozessen gegen Vergewaltiger war es früher (und es passiert auch heute noch) üblich, der vergewaltigten Frau zu unterstellen, sie habe durch ihr Verhalten den Täter herausgefordert. Hatte sie sich nicht bis zur Bewußtlosigkeit gewehrt, sah man darin ebenfalls eine Ermunterung zur Tat. Und entsprach der Lebenswandel der Frau nicht den sittlichen Vorstellungen der Zeit, wurde die Vergewaltigung als weniger schwerwiegend eingestuft. Analogien zu Barazons Denkweise drängen sich auf. Es erübrigt sich, auf die Behauptung, Juden hätten den Antisemitismus hingenommen, näher einzugehen. Jüdischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus (ob im politischen, militärischen oder kulturellen Bereich) ist historisch vielfach belegt. Im übrigen ist es bezeichnend, daß Barazon „den Nichtjuden“ keine diesbezüglichen Vorwürfe macht, sondern ein jüdisches „schlechtes Gewissen“ konstruiert, aus dem heraus heute Antisemitismus bekämpft werde, „wo man ihn nur befürchtet“ (offenbar ist für Barazon der Antisemitismus in Österreich kein reales Phänomen). Immerhin möge man, heißt es weiter, den israelischen Politikern „eine hohe Sensibilität zugestehen“, da Haider aus einer Nazi-Familie komme und die FPÖ eine starke Verankerung im nationalen Lager habe. Auch stelle „die unappetitliche Ausländerhetze auf jeden Fall ein bedenkliches Signal dar, selbst (sic!) wenn sie sich nicht auf Juden bezieht“. Allerdings sei Österreich eine funktionierende Demokratie, in der 73% der Wähler die FPÖ nicht gewählt haben. Vor allem aber treffe man in Österreich „weitum auf eine große Begeisterung für Israel und einen hohen Respekt für die Leistungen von Juden in der Geschichte. Statt überall Antisemiten zu wittern, sollte (Israel) diese positive Einstellung durch eine entsprechende Politik verstärken“. Abgesehen davon, daß „weitum‘ die angesprochene Begeisterung längst abgeflaut ist und der „hohe Respekt für die Leistungen von Juden in der Geschichte“ oft keinen Widerspruch zum Antisemitismus der Gegenwart darstellt (von dem dann, ganz egal ob sie große Leistungen erbringen oder nicht, Zeitgenossen betroffen sind), gehört die Aufforderung zum Liebsein, Bravsein und vor allem Stillsein natürlich zum Standardrepertoire jener, die im Wegschieben und Verdrängen die beste Methode sehen, mit unangenehmen gesellschaftlichen Phänomenen umzugehen. Positives soll verstärkt, Negatives ausgeblendet werden. Und Israel soll eine Politik machen, die seinen Freunden in Österreich gefällt (sonst könnten die ja sehr schnell zu Antisemiten werden!) und alle anderen (zum Beispiel Haider-Wähler) zu Philosemiten und Menschenfreunden bekehrt. Es ist jedoch längst widerlegt, daß man bei jenen, die einem ins Gesicht schlagen, Sympathiewerte sammelt, indem man sich sympathisch gibt. Man läuft Gefahr, nur allzu rasch einen zweiten Schlag zu bekommen. Vladimir Vertlib SPANIEN PORTUGAL Neus Catala: „In Ravensbrück ging meine Jugend zu Ende“ Spanische Frauen über ihre Tätigkeit in der Resistance und ihre Deportation in deutsche KZ 178 S., 29,80 DM, ISBN 3-925867-11-2 Richard Faber: Erinnern und Darstellen des Unauslöschlichen Über Jorge Semprüns KZ-Literatur 135 S., 28,- DM, ISBN 3-925867-14-7 Norbert Rehrmann: „Ein sagenhafter Ort der Begegnung“ Lion Feuchtwangers Roman „Die Jüdin von Toledo" im Spiegel von Kulturgeschichte und Literaturwissenschaft 108 S., 24,- DM, ISBN 3-925867-18-X Adriana Nunes: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten Werk und Person der in Portugal lebenden, 1933 emigrierten deutschjüdischen Schriftstellerin Ilse Losa 131 S., 28,- DM, ISBN 3-925867-37-6 Spanier und Spanierinnen in den Konzentrationslagern der Nazis Themenschwerpunkt von Tranvia Nr. 28 68 Seiten (DIN A 4), mit Abb., 8,- DM Walter Frey (Hg.): Das Buch zum Film „Land and Freedom“ Ken Loachs „Geschichte aus der Spanischen Revolution“: Film, Diskussion, Geschichte, Regisseur 214 S., 29,80 DM, ISBN 3-925867-20-1 TRANVIA Revue der Iberischen Halbinsel Tranvia erscheint seit 1986 und bringt alle drei Monate Aktuelles aus Spanien und Portugal, Kultur und Literatur, Politik und Geschichte, Hintergrundinformationen und Diskussionsbeiträge. 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