Sonnenuntergang in Koktebel
Im Westen langsam untergehend
schmachtet die Sonne im Himmel.
Und bevor sie sich müde
hinter den Rücken des Usun-Ssyrt
zum Schlafen senkt,
kämmt sie mit dem steinernen Kamm
von Ssüru-Kaja
ihre goldenen Haare.
Verlieren den Glanz
flimmernde Wellen.
Über die Strände ziehen
unaufhaltsam Schatten.
Verblassen die Farben.
Nur Chamäleon
brennt noch
mit dem Mondschein im Osten.
Rauscht, als flüstere sie,
Tamarinde,
die Kühle nahender Nacht
im voraus genießend.
Zum Abendkonzert vorbereitet
stimmen Zikaden die Instrumente
im Ginster.
Es dämmert.
Chamäleons Messingfarbe
hat sich schon zum Kupferrot verändert.
In die Höhe schwingend
nach der Fischjagd
hat die Möwe sich gerötet
in den glimmenden Strahlen.
Und es scheint:
Mit unsichtbarer Hand
malt lilafarbene Schatten
auf des Kara-Dag Berghang,
auf die Bucht,
auf die umwucherten Häuschen im Tal,
auf die Weinberge
ein von Lasurblau berauschter Maler.
Der Tag verscheidet,
löscht sich aus,
schweigt still.
Ununterbrochen rauscht nur das Meer ¬
der Himmelsruhe eine unruhige Gestalt.
Koktebel — Stadt auf der Krim, Künstler-Mekka; Usun-Ssyrt,
Ssürü-Kaja, Kara-Dag - Gebirge auf der Krim; Chamäleon —
auch Eigenname einer Gebirgskette.
Vom Autor übersetzt; Bearbeitung: Konstantin Kaiser
Wie viele Jahre
ist er in der Erdrinde
gelegen,
wie viele Jahre
meißelten ihn Dunst und Feuchtigkeit.
Und da auf dem Tisch
ist er vor mir —
Kind des Vulkans,
Stein von Kara-Dag.
In einer Gegend, wo es weder
Automobile noch Asphalt gibt,
hat er den Sack meines Regenmantels
für sich auserwählt.
Bruchstück dunklen Basalts
wie die Nacht der Krim,
was willst du mir erzählen,
Talisman aus grauer Vorzeit?
Über das Land,
wo mit der Musik die Liebe sich zeigt
in der offenen Blume
und im offenen Blick.
Über das Meer, unruhig
wie das Blut
des Südländers.
Oder über das schlafende Meer.
Über die erstgeschaffene
wilde Schönheit,
die uns die Natur schenkt,
ohne Entgelt zu fordern.
Über jenen Fels ¬
Lebenslinie,
wo ich gehangen bin
über blauem Abgrund.
Die Menora erinnert mich an einen Baum:
Stamm, Zweige, Kerzen wie Blumen.
Doch ohne Wurzeln ist auch der Baum — nicht Baum,
sondern nur Strunk gestorbenen Traums.
Und auch der Baum ohne Friichte ist kein Baum,
er ist eine sandverschiittete Quelle,
und das Gefühl der Ewigkeit in ihm ist für immer verloren,
und sein Leben ist — ein einziger lautloser Schrei.
— Wo sind deine Wurzeln, helle Menora?
— Verwurzelt sitzen die Alten der Bibel.
Durch den Wust der Jahre dringen ihre Blicke,
die Propheten sprechen mit ihren Lippen.
Da kommt der Abend vor dem Samstag.
Der Knabe, in den Talmud vertieft,
das Madchen, das die Kerzen anziindet:
Sie sind meine Friichte. Sie wachsen.
Aus dem Russischen von Vladimir Vertlib