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Vielleicht hatte er vorher noch darauf hingewiesen, daß das Buch, aus dem er jetzt lese, der Wiener Globus-Verlag aufgelegt habe, vielleicht hatte er auch erwähnt, daß es zuerst nicht in einem österreichischen oder bundesdeutschen Verlag, sondern im Aufbau-Verlag der DDR erschienen sei, vielleicht hatte er auch Einleitendes der Geschichte, die er vorzulesen sich anschickte, vorangestellt - ich kann es nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Der Weg zum Ödensee. Schon der Titel hatte meinen Bruder und mich stutzig gemacht, kannten wir doch das Tote Gebirge dessen Ausläufer und Seen von unseren Schi- und Klettertouren, und so waren wir gespannt, was daLiterarisches kommen werde. Noch trägt der Schnee, aber nicht mehr lang. Bald wird er weich, und man versinkt darin, denn drüben im Südwesten werden die Felswände schon weiß mit einem rötlichen Schimmer. Die Lawinen am Steilhang sind noch eingefroren und festgekrallt, aber nicht mehr lang. Ja, beides kannten wir aus eigener Erfahrung; nämlich daß man im Frühjahr bei einer Schitour, um rasch an Höhe zu gewinnen, am besten vor Sonnenaufgang aufbricht, nicht nur um die Tragkraft des Firns zu nützen und Kräfte für die Abfahrt zu sparen, sondern auch um - ist der Schnee auf den Steilhängen und Leeseiten der Grate einmal aufgeweicht - nicht in eine Lawine zu kommen, und um die Schneeverhältnisse für die Abfahrt richtig zu „erwischen”: Harter, weil noch gefrorener Untergrund und obenauf zwei, drei Zentimeter aufgeweichter Firn, damit die Kanten greifen und es sich „gut schmiert“, wie wir sagten, wenn man rhythmisch einen Bogen nach dem anderen in den Hang setzt. Aber daß es nicht nur um eine Schitour ging, wurde bald klar: Nur die allererste Zeit ist verworren und zügellos, das weiß Ernst Kaltenbrunner, der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes des Deutschen Reiches, der jetzt ins Tote Gebirge geht. An diesem Maimorgen des Jahres 1945 erinnert er sich an den Herbst 1918. Es nahte also das Ende des „Tausendjährigen Reiches“, und ein höchstrangiger Nazi hoffte im Toten Gebirge, versteckt in einer Almhütte, jenen politischen Machtwechsel, den viele später euphemistisch „Umbruch“ nennen werden, nicht nur persönlich-existentiell, sondern auch politisch überstehen/durchstehen zu können. Uns, als Mitglieder der „Naturfreunde“ bereits bekannt — aber auch für einen Laien nachvollziehbar angelegt - der in Form eines tenbrunner über die — vereinfacht gesprochen — zwei Weltanschauungen, die sich, verkörpert in den beiden wesentlichen alpinen Vereinen Österreichs (Alpenverein/ÖAV und Touristenverein „Die Naturfreunde”/TVN), bis in die Gipfelregionen der Ostalpen hinauf widerspiegeln. Dr. Kaltenbrunner äußert sich aufgrund seiner Sozialisation und Zugehörigkeit zum Akademischen Bergsteigerverein nur verächtlich über die sogenannten Naturfreunde, die Wiener Hausmeister, Magistratssekretäre, Krankenkassenbeamten und Arbeiterkammerbürokraten, die ihr mangelndes Vertrautsein mit der Bergwelt hinter einem Vereinsnamen verstecken. Sie mochten in den faulen Wienerwald passen, mit Knoblauchschmalz und saurem Wein — das sind so ihre „Partien“ —, im Hochgebirge gaben sie nur komische Figuren ab, mit ihren schlotternden Hosen und Jacken von der Stange. Uns war längst aufgefallen, daß die Anzahl der Schutzhütten der Naturfreunde weitaus geringer, ihre Ausstattung meist bescheidener war als jene der diversen Alpenvereinssektionen. Nicht nur dies: Auch die — bergsteigerisch gesprochen — strategisch günstigeren Hütten gehörten meist dem Alpenverein, die Naturfreundehütten lagen (da — historisch gesehen, die besten Standorte schon „vergeben“ waren) etwas im Abseits, waren meist kleiner und konnten so nur mit einer geringeren Anzahl von Betten und Matratzenlagern aufwarten. Kaltenbrunner räsoniert aber nicht nur über zweitklassige Bergbesucher: Die Theodor Kramer Gesellschaft versteht sich als eine internationale kulturelle Vereinigung von Menschen, die die Ignoranz und das Unverständnis für die Literatur und Kultur des Exils durch geduldige Arbeit zu überwinden suchen. Sie veranstaltet daher Lesungen, Ausstellungen, Symposien. Im Auftrag der Theodor Kramer Gesellschaft erscheint seit 1984 Mit der Ziehharmonika. Zeitschrift für Literatur des Exils und des Widerstands. Seit 1995 ist die Gesellschaft auch als Buchverlag tätig. Seit 1990 erscheint auch das Jahrbuch Zwischenwelt. Mit der Ziehharmonika. Zeitschrift fur Literatur des Exils und des Widerstands. Jahresabonnement (4 Hefte, ca. 220 S.) im Inland: 6S 220,im Ausland: öS 250,-/DM 35,-/SFr 32,... eine moderne Ausgrabungsfabrik mit Gegenwart und Zukunft ... Viktor Matejka Erwin Chvojka / Konstantin Kaiser: Theodor Kramer 1897-1958. Eine Lebenschronik. 40 Abb. 6S 180,-/DM 26,-/SFr 24,Peter Heller: Der junge Kanitz und andere Geschichten. Nachw. B. Müller-Kampel. 119 S. 6S 180,-/DM 26,-/SFr 24,Herbert Kuhner: Minki die Nazi Katze und die menschliche Seite. Prosa. 137 S. 6S 200,-/DM 29,-/SFr 27,Stella Rotenberg: Ungewissen Ursprungs. Gesammelte Prosa. Hg. S. Bolbecher. 93 S. 6S 150,-/DM 21,50/SFr 19,— Zwischenwelt - Jahrbücher für antifaschistische Literatur und Exilliteratur. Sechs Bände erschienen. IX