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Dann, im September 1942, der mißglückte Versuch, in die Schweiz zu entkommen, aber die Schweizer Polizei lieferte viele jüdische Flüchtlinge an die Deutschen aus. Ich wurde brutal in eine Zelle geworfen, wo schon sechs andere Kandidaten auf dem nackten Steinboden hockten. Am nächsten Tag wurden wir wie Verbrecher mit Ketten an den Händen zur französischen Grenze gebracht und der Vichy-Polizei übergeben. Es gab also auch in der Schweiz eine beträchtliche faschistische Abteilung! So Fred Wander in seinem Erinnerungsbuch „Das gute Leben“ (München, Wien 1996, S. 75) über einen der bittersten Momente dieses „guten“, von Verfolgung und Leid zernarbten Lebens. Der weitere Weg ging über die Sammellager Rivesaltes und Drancy nach Auschwitz; Wander hat als einer von wenigen zufällig überlebt. Das Bild der „guten Schweiz“, das „kleine saubere Schweizerhaus auf der umbrandeten Insel im Weltmeer“, „von einer liebenswürdigen Familie bewohnt, die konfliktfrei zusammenlebt“, so Peter von Matt (vgl. K. Kaiser, „Schweiz, Österreich, Literatur“, in MdZ Nr. 3/1998, S. 4-6), wurde durch die neu aufgerollte Affäre um das von der Schweiz verwahrte und weiterverteilte deutsche Raubgold und das Unbehagen über den Umgang mit nachrichtenlosen Konten jüdischer Inhaber erschüttert. Viel fragwiirdiger noch war das Verhalten der offiziellen Schweiz dort, wo es nicht ums Geld, sondern ums Leben ging, bei der Abweisung von Flüchtlingen an den Schweizer Grenzen. MdZ hat darüber sowohl im Zusammenhang mit der nun endlich erfolgten Rehabilierung des St. Galler Polizeihauptmanns Paul Grüninger als auch im Schwerpunktheft „Exil in der Schweiz“ (vor allem im Beitrag von Claudia Hoerschelmann, Nr. 1/1997) ausführlich berichtet. Uns hat, was den Lebenden angetan ward, stets mehr berührt. Zwar verbirgt sich auch hinter jedem Konto, dessen Inhaber sich nicht mehr melden kann, ein Schicksal, aber dieses Schicksal hat sich nicht in diesem Konto erfüllt. Die Abweisung an der Schweizer Grenze indes bedeutete für viele Flüchtlinge den Tod oder großes Leid in jahrelanger Konzentrationslagerhaft. Welches Ausmaß hatte diese Tragödie? Wie viele waren es, die an der Grenze abgewiesen oder gar gleich wieder den deutschen Behörden übergeben wurden? Die Schweizer Filmemacherin und Fernsehjournalistin Irene Loebell wußte zunächst nur eins: daß man die Akten über Abweisungen und „Ausschaffungen“ in den 1950er Jahren in voller Absicht vernichtet hatte. (In ähnlicher Weise sollen übrigens in Österreich die Gerichtsakten über Wiedergutmachungsangelegenheiten in der Amtszeit des freiheitlichen Ministers Harald Ofner 1984-86 großenteils verschwunden sein; wenn‘s stimmt, ist’s ein kleiner Vorgeschmack auf Kommendes.) Nur in einem Kanton der Schweiz war man jeder auch nur scheinbaren Schlamperei abhold: Etwa 20.000 Dossiers von Flüchtlingen, abgewiesenen und aufgenommenen, finden sich im Genfer Staatsarchiv. Irene Loebell hatte nicht die Absicht, die 20.000 Dossiers zu bearbeiten — das werden andere noch tun, und Loebells Film wird ihre Arbeit sicher fördern. Sie wollte eigentlich nur eine Stichprobe machen, einen Namen angeben, den sie aus der Literatur kannte: Fritz Rosenblatt, wie Fred Wander bis 1947 hieß. Und säuberlich verwahrt fand sie all die Gegenstände und Dokumente, die Wander im September 1942 von der Schweizer Polizei abgenommen wurden, Fotos seiner Eltern und Geschwister, Fotos aus glücklicheren Zeiten, deren Verlust Wander lange Jahre geschmerzt hat. Die Beamten, die Wander damals nur angeschaut und kein Wort mit ihm geredet hatten (als blickten sie auf einen Fisch im Aquarium), hatten immerhin ein Dossier angelegt; und niemand kam in den vielen Jahren seither auf die Idee, Wander die ihm polizeilich geraubten Dinge zurückzuerstatten. Jetzt erst bekam Wander dank Irene Loebell seine Sachen zurück. Das ist der Stoff, aus dem Loebells Film „Eine Reise nach Genf“ gemacht ist; die Vergegenwärtigung des einst Geschehenen erfolgt im Gespräch: Fred Wander selbst, ein beeindruckender Erzähler auch vor der Fernsehkamera; Catherine Santschi, die Leiterin des Archivs, die auf dem Standpunkt der „Legalität‘“ der „Ausschaffungen“ steht; Yvette Z’Graggen, eine französisch-schweizerische Schriftstellerin, die ihre Jugend in der Kriegszeit nach dem befragt, was sie nicht wahrhaben wollte; Roland Gretler, ein Züricher Zeitgeschichte-Archivar; der Historiker Jakob Tanner. Die Filmemacherin stellt sich nicht außerhalb des Films: Auch wenn ihr eine andere die Stimme leiht, ist doch sie es, die nach Antworten sucht, die sich gegen bequeme Verallgemeinerungen wendet und Wander und seine Familie in Wien kennenlernt. K.K. Eine Reise nach Genf. Vom Zurückkommen der Vergangenheit. Ein Film von Irene Loebell. Eine Produktion des Schweizer Fernsehens 1999, Ca. 61 Minuten. Die Erstausstrahlung auf 3sat wird am 24. Jänner 2000 um 22 Uhr 25 zu sehen sein. Am 9.11. 1999 wurde der Film übrigens im Wiener „Literaturhaus“ präsentiert. Es fiel einem dabei wieder auf, daß österreichische Zeitungen mittlerweile schon grundsätzlich kaum mehr über kulturelle Veranstaltungen, bei denen es um Fragen des Exils und der Verfolgung geht, berichten. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Bil Spira gestorben Wie wir erst jetzt erfahren, ist unser Freund und Mitarbeiter, der Journalist, Zeichner und Maler Bil Spira Mitte August 1999 in Paris gestorben. Von ihm ist noch 1997 die Autobiographie „Die Legende vom Zeichner“ erschienen. 1913 in Wien geboren, nach Frankreich geflohen und von den Nazischergen eingeholt, hat er die deutschen Konzentrationslager überlebt. Wir werden in Nr. 4/1999 über Bil schreiben; jetzt ist es zu spät. K.K./S.B. Hans Viertel gestorben Hans (John) Jacob Viertel, geboren 1919 in Wien, der älteste Sohn Berthold und Salka Viertels, istam 11. September 1999 in Hanover (New Hampshire/USA) an Lungenkrebs gestorben. Hans war zuletzt freischaffender Schriftsteller, und zusammen mit seiner Frau Violette publizierte er auch ein Kinderbuch. 1928 mit den Eltern in die USA, nach Kalifornien gekommen, schuf er sich in seiner Jugend viele Freunde in der Kolonie der Hitler-Flüchtlinge, lernte in Max Reinhardts „Workshop for Stage, Screen and Radio“, arbeitete eng mit Brecht zusammen, als der Dramatiker sich in Hollywood aufhielt. Hans, der in New York, London und Wien studierte, gehörte als Sprachwissenschaftler dem Lehrkörper des Massachusetts Institute of Technology (MIT) an. Er lehrte auch an der Brandeis University in Waltham (Massachusetts). Große Freude machte ihm, daß er 1993 die Einführung zum Berthold Viertel-Symposium in Wien halten konnte. Dies war für ihn ein bewegender Moment, und er dachte bis zu seinem Lebensende gerne daran zurück. Diese Veranstaltung zu Ehren unseres Vaters war für uns beide eine große Sache. Thomas Viertel, Los Angeles, 20.11. 1999 Hans Viertels Grußworte an das „Internationale Berthold Viertel-Symposium“, gesprochen am 24. September 1993 in Wien, sind in Zwischenwelt 5 — Traum von der Realität. Berthold Viertel nachzulesen. Auch Thomas, sein 1925 geborener jüngster Bruder, hatte an diesem Symposium teilgenommen. 27