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1899-1999: 100 Jahre

Von langer Hand vorbereitet, unter Über¬
windung verschiedenster Hürden zustande
gekommen, hat sie nun doch stattgefunden
und nach Absolvierung eines dreitägigen,
anspruchsvollen Vortragsprogramms sowie
intensiven, bisweilen auch hitzigen Diskus¬
sionen, bei denen nicht alle Angemeldeten
aus Zeitmangel zu Worte kommen konnten,
nun endgültig ihre Tore geschlossen:

Die Rede ist von der vom 22. bis 24. Sep¬
tember 1999 in der Fakultät für Wirtschaft
und Verwaltung der Masaryk-Universität
Brünn unter dem Titel Die Aktualität des
zentraleuropäischen Gedankens abgehal¬
tenen wissenschaftlichen Konferenz. Ver¬
anstalter waren Masaryk-Akademie/Prag,
Seliger-Gemeinde/München, Dr. Karl
Renner-Institut/Wien, Friedrich
Ebert-Stiftung/Prag, Helsinki-Bürger-Ko¬
mitee/Brünn, in Zusammenarbeit mit dem
Tschecho-Slowakischen Ausschuß und
dem Deutschen Kulturverband Brünn. Die
Schirmherrschaft hatte der Senatorenklub
der tschechischen Sozialdemokraten über¬
nommen. Neben tschechischen Teilneh¬
mern aus Politik und Wissenschaft, seien
kurz die ausländischen genannt. Von der
Seliger-Gemeinde Deutschlands war eine
größere Delegation mit Volkmar Gabert
und Peter Becher an der Spitze angereist.
Österreich war nicht nur durch Ren¬
ner-Institut, Seliger-Gemeinde und SPO,
sondern auch durch Repräsentanten der
SLO, Felix-Ermacora-Institut u.a. vertre¬
ten. Zahlenmäßig groß war die Gruppe aus
der Slowakischen Republik. Darunter auch
mehrere Ruthenen, die immer wieder auf
ihre verzweifelte Lage in ihrer karpatho¬
russischen, heute zur Ukraine gehörigen
Heimat aufmerksam machten. Aus Ungarn
war ein einziger Gast gekommen. Diskus¬
sionssprachen waren Tschechisch und
Deutsch. Gerne hätten wir auch Gäste aus
den anderen einst zur Monarchie gehöri¬
gen Ländern, die vor 100 Jahren in Brünn
vertreten waren, begrüßt. Das Ren¬
ner-Institut war darum bemüht, konnte je¬
doch keine einer der beiden Sprachen
mächtigen Vertreter gewinnen.

Anlaß der Konferenz war das hundertste Ju¬
biläum des historischen Gesamtparteitags
der österreichischen Sozialdemokratie zu
Brünn, der sich in einem eigenen Punkt der
Tagesordnung mit der Nationalitätenfrage
beschäftigte und einstimmig das sogenann¬
te Brünner Nationalitätenprogramm verab¬
schiedete. Referent über diese Frage war
damals der 29jährige ehemalige Textilar¬
beiter und Redakteur der Teplitzer „Frei¬
heit“, Josef Seliger. Das Programm spielte
übrigens sechs Jahre später, ebenfalls in
Brünn, eine wesentliche Rolle bei der For¬
mulierung des „Mährischen Ausgleichs“.

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Kurz zum Verlauf der Konferenz!

Nach Eröffnung durch den Vorsitzenden
des Vorbereitungsausschusses Mag. Jan
Sabata und Begrüßungen durch den Vorsit¬
zenden des Senatorenklubs der CSSD, Ing.
Jan Vojir, sowie der Repräsentanten der
veranstaltenden Organisationen begann so¬
gleich das eigentliche Programm.

Prof. Helmut Konrad (Graz) sprach über
„l00 Jahre Umgang mit der nationalen Fra¬
ge. Vom Brünner Programm bis zu den Lö¬
sungsvorschlägen am Balkan von heute“.
Vortragender am Vormittag des zweiten
Konferenztages war Prof. Dr. Zdenek
Karnik (Prag), der das Thema aus histori¬
scher Sicht behandelte, Koreferenten waren
Doz. Dr. Roman Holec (Bratislava) und Dr.
Hannes Swoboda (Wien), Moderator Dr.
Peter Becher. Am Nachmittag sprach Prof.
Dr. Peter Glotz (Erfurt), nach einigen per¬
sönlichen Angaben über seine Herkunft aus
gemischtsprachiger Egerer Familie, zu dem
gegebenen Thema aus aktueller Sicht. Ko¬
referent war PhDr. Jaromir Prochäzka, Mo¬
derator Dr. Milos Bärta.

Der dritte Tag war einer von Dr. Jaroslav
Sabata geleiteten Paneldiskussion vorbe¬
halten, an der sich mit überaus interessan¬
ten Beiträgen der Politologe György Mar¬
cus (Budapest), Peter Becher und Volkmar
Gabert von der Seliger-Gemeinde Mün¬
chen, Lubos Zaorälek, Vorsitzender der
Auslandskommission des tschechischen
Parlaments, Peter Glotz (Erfurt), Peter
Weiss, Vorsitzender der Auslandskom¬
mission des Nationalrates der Slowaki¬
schen Republik, Harald Troch (Politologe
Wien), Vertreter der SLÖ und der Ermaco¬
ra-Stiftung und viele andere beteiligten.
Als Beitrag des Deutschen Kulturverban¬
des war eine kleine Ausstellung zu dem ge¬

len und räumlichen Problemen mußte sie
unterbleiben. Aber eine als Begleitschrift
zu der geplanten Ausstellung gedachte
zweisprachige, reich bebilderte Publika¬
tion von Dora Müller: Die Nationalitäten¬
frage nach hundert Jahren, mit dem Un¬
tertitel Reflexionen in Großvaters Studier¬
zimmer konnte erscheinen und befand sich
in den allen Konferenzteilnehmern über¬
reichten Schriftenmappen.

Nach Beendigung der Konferenz fand
noch für einige Interessierte eine kleine Er¬
kundungsfahrt durch Brünns einstiges Ar¬
beiterviertel in die vormals Marxova und
zu Zeiten des 7. Gesamtparteitags Jusova
genannte heutige Spolkova statt. Sie bot
einen desolaten Anblick. Wir betraten das
ebenso wie viele andere Häuser der Straße
völlig leere Haus Nummer 8. In dem ver¬
fallenen, aber dennoch einstige Pracht ver¬
ratende Stiegenhaus entdeckten wir eine

unauffällige Gedenktafel mit der Auf¬
schrift, daß das hiesige Arbeiterheim im
Jahre 1897 erbaut worden sei.

Der Sekretär der Fachkommissionen im
ZK der CSD Partei für Kultur, Menschen¬
rechte, Minoritäten usw., PhDr. Jifi Ma¬
linsky, erwog die Instandsetzung des ge¬
schichtsträchtigen Gebäudes. Eine Idee,
die von einigen Konferenzteilnehmern, na¬

meinde, mit Zustimmung aufgenommen
wurde. Dora Müller

Fensterlgucken?
Begegnungsort?
Manifest?

Besuch im Jüdischen Museum
Wien

— Wie haben Sie den Weg zum Jüdischen
Museum gefunden?

— Ja, da weist doch da vorne ein Schild
drauf hin!

— Und was führt Sie herein?

— Wir haben uns zuerst mal im Buchladen
umgeschaut. Das macht neugierig.

— Neugierig auf was?

— Die Juden. Die haben unter den Nazis so
viel mitmachen müssen. (Es folgt eine
grammatikschwache, jedoch anständig
klingende Empörungsdeklaration.)

— Hier kriegt man gezeigt, was gewesen ist.
Die Publikumsbeziehungen zum Jüdi¬
schen Museum Wien sind damit natürlich
nicht ausschöpfend umrissen. Sechzig Pro¬
zent der Besucher kommen nicht aus
Österreich, sind deutsche Touristen, Fran¬
zosen, Italiener — nichtjüdische Leute. Ge¬
meindemitglieder zeigen sich selten, wo¬
bei sich in Wien Aschkenasim und Sephar¬
dim nach außen vereinigt vertreten; intern
schlagen bei Vorstandswahlen zehn Frak¬
tionen Kandidaten vor. Gelebte Jüdisch¬
keit paßt nicht so recht fürs Ausgestellt¬
werden. Die Chassiden in der Leopold¬
stadt, schöne Menschen im Sabbathge¬
wand, täten des Guten bereits genug.
Bisweilen ist Gemurmel vor den Glasvitri¬
nen zu hören, doch hauptsächlich liegt
Schweigen über den Besuchern. Es gibt
keine Vorleser und viel zu lesen. Und zu
sehen. Was immer die Motivationen derer
sind, die in das in den 1980er Jahren vom
damaligen Wiener Bürgermeister Helmut
Zilk zur Veränderung freigegebene Palais
Eskeles in der Dorotheergasse eintreten —
Neugier ist eine.

Das Museum ist überhaupt nicht neu. 1893
gründeten jüdische Bürger bereits das al¬
lererste, um es auf den Berg- und Talweg