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Eine der wenigen Spuren des Arbeitslagers Puch, Winter 1999 Ich habe als Referentin an der „Ersten Pucher Geschichtswerkstatt‘‘ teilgenommen, wo mir wieder einmal bewußt wurde, wie schwer es noch immer fällt, mit unserer jüngeren Vergangenheit umzugehen, und wie wenig Distanz nach wie vor weite Teile der Bevölkerung zum Nationalsozialismus gewonnen haben. Als der ÖVP-Bürgermeister die Tagung mit den Worten eröffnete, er wünsche uns gutes Gelingen, möchte sich selbst aber entschuldigen, da er am Abend zum Ball des Kameradschaftsbundes gehen müsse, glaubte ich im ersten Moment, falsch gehört zu haben. Wie kann man den Kameradschaftsbund ungeniert in einem Atemzug nennen mit Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Juden, die mit knapper Not dem Vernichtungslager entkommen sind und im Nachkriegseuropa von Lager zu Lager geschoben wurden? Hat die Deutsche Wehrmacht nicht dazu beigetragen, daß Frankreich überfallen wurde und gefangene Franzosen nach Puch zur Zwangsarbeit geschickt wurden und daß die Ermordung von Menschen in den Vernichtungslagern im Osten funktionierte? Immerhin dominierte der Kameradschaftsbund seit den 50er Jahren auch die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, indem alle Soldaten der Deutschen Wehrmacht — mittlerweile auch der Waffen-SS — zu Helden oder Opfern stilisiert wurden, die lediglich einen Verteidigungskrieg gegen Stalin geführt und somit Europa vor dem Kommunismus gerettet hätten.' Andererseits weiß ich natürlich auch, daß der Kameradschaftsbund vor allem am Land als harmloser Geselligkeitsverein betrachtet wird, dem ein Großteil der jungen Männer, die vom Bundesheer abrüsten, bedenkenlos beitritt, und der bei Beerdigungen von verstorbenen Soldaten eine prominente Rolle spielt. Wie aus der Pucher Gemeindechronik hervorgeht, garantiert auch der Pucher Kameradschadftsbund jedem Vereinsmitglied Totenehrung mit Musik und Böllerschüssen am offenen Grab.? Interessant fand ich das Panel mit den Zeitzeugen, drei Männern und einer Frau, die vom bekannten Journalisten Clemens Hutter interviewt wurden, den allerdings weniger an den Erinnerungen der Zeitzeugen gelegen war, als daran, daß diese seine Annahme bestätigten, daß im Pucher Lager letztendlich nichts Schlimmes passiert sei und es sich um ein „ganz norma les“ Arbeitslager gehandelt habe. Einer der Zeitzeugen mußte sich leider bald verabschieden, allerdings nicht, weil er zum Kameradschaftsbundball wollte, sondern weil er nach Hause mußte, die Kühe zu melken. Viel zu wenig Raum für ihre berührende Geschichte erhielt bedauerlicherweise die einzige Zeitzeugin. Sie hatte durch ihre Arbeit bei den Grillwerken jenen französischen Kriegsgefangenen, der als Lagervertrauensmann nach der Befreiung auf die ehemaligen Häftlinge beruhigend einwirkte und sie von Racheakten abgehalten hat, kennen und lieben gelernt; nach dem Krieg folgte sie ihm nach Frankreich. Wie sie anklingen ließ, war sie durch diese Beziehungen im Dorf großen Gefahren ausgesetzt. In diesem Zusammenhang erinnerte sie sich auch, daß einer Pucherin für das selbe „Vergehen“ die Haare geschoren wurden und sie ins Gefängnis mußte. Leider ist Hutter auch dieser Geschichte nicht genauer nachgegangen. Besser in sein Konzept paßte offensichtlich die Aussage eines Zeitzeugen, der meinte, „arbeiten haben wir ja alle müssen, von früh bis-spät“. Der Interviewer griff auch nicht ein, als ein anderer Zeitzeuge meinte, „wia de Judn kommen sind, die haben es sich wieder richten können“. Es folgten interessante Geschichten vom Schwarzmarkt zwischen jüdischen Flüchtlingen und einheimischen Bauern, von Kinobesuchen junger Burschen im DP-Lager, wo begehrte USamerikanische Filme gezeigt wurden. Entsetzt zeigten sich die Zeitzeugen über das verschwenderische Verhalten der überlebenden Juden, vor allem darüber, daß sie „einen ganzen Haufen von Konserven mit Schweinefleisch weggeworfen haben, wo im Ort noch jeder hungern mußte“. Diese Erzählungen der Dorfbewohner verdeutlichten für mich die Probleme, die sich in einem kleinen, von Flüchtlingen überfüllten Dorf auftaten. Berührungsängste und wohl auch nicht zugegebene Schuldgefühle erschwerten die Annäherung zwischen Österreichern und überlebenden Juden und riefen auch immer wieder Mißverständnisse hervor. Betrachteten die Dorfbewohner die Juden als Gäste, so sahen viele überlebende Juden in den Österreichern Täter und Mittäter und keineswegs Opfer, auf die man Rücksicht nehmen sollte, wie es sich die Pucher erwartet haben. Interessant war für mich auch die Erkenntnis, daß das Lager-Kino mit den amerikanischen Filmen den einzigen Ort bildete, wo man sich zumindest nebeneinander sitzend akzeptierte. Am Abend wurden die Referenten zum Kirchenwirt eingeladen. Während wir in einem Extrazimmer unser Abendessen genossen, hätte im Saal des Wirtshauses der Ball des Kameradschaftsbundes bereits voll in Schwung kommen sollen. Dort wollte aber keine rechte Stimmung aufkommen, denn die Gäste waren dieses Mal ausgeblieben. Lediglich ein kleines Häuflein, einige von ihnen hochdekoriert, der offensichtlich verwegensten Mitglieder hatte sich eingefunden. Wie mir von den deprimierten Veranstaltern erklärt wurde, hatten sie übersehen, daß an diesem Abend im Fernsehen Musikantenstadl, der dieses Mal mit Moik in China stattfand, gezeigt wurde und die Pucher deshalb offensichtlich vor dem Fernseher geblieben sind. Ich habe allerdings vergessen nachzusehen, ob der Bürgermeister zu den verwegenen Gästen zählte. 29