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Ich glaube, „Mit der Ziehharmonika“ ist eine der wichtigsten
Zeitschriften, jedenfalls eine, die wir brauchen, und das kann
man nur von wenigen sagen. Die Schrift ist friedlich, und gera¬
de deshalb ist sie so bedeutsam als Instrument gegen das im
Prinzip immer Wesensfeindliche, Menschenfeindliche der
Macht, die alles plattwalzen möchte, was sich ihr in den Weg
stellt. Es gibt auch Vorstufen zur Machtaneignung, und wir er¬
leben sie jetzt gerade. Die Macht übt schon wieder, sie probiert
es hier und dort, sich gegen uns zu kehren, indem sie behaup¬
tet, von uns so gewünscht zu sein. Diesmal tritt die Macht in
Gestalt von Machern auf, die nicht denken, sondern eben: ma¬
chen wollen. Wenn Verhältnisse entstehen, die dieses Machen
zulassen und das Denken ausschalten, dann fängt es wieder an,
denn die Macht braucht nur sich selbst als Ziel, alles andere ist
ihr egal. Sie will und muß sich zur Geltung bringen, und dazu
benützt sie alles und jeden, auch alle Medien, durch die sie sich
vermitteln lassen möchte wie eine gute Hausangestellte, die,
kaum hat sie das Haus betreten, schon anfängt, alles in Klum¬
pen zu hauen. Dann ist es zu spät, dann wird das Einschreiten
schwierig. Die Zeitschrift der Theodor Kramer Gesellschaft ist
eine leise Stimme, aber sie behauptet sich, und sie behauptet
sich anders als die Macht es tut, denn sie behauptet nicht sich
und nicht etwas, sie spricht einfach nur, indem sie über das
Fremdsein spricht, das erzwungene wie das freiwillige. Und
nur diejenigen, die freiwillig auf Macht verzichten, und dieje¬
nigen, die machtlos sind, können die Macht und ihre Aus¬
wüchse auch wirklich präzise analysieren und beschreiben. Es
werden „entmachtete“, vertriebene, verschwundene Stimmen
hier zum Sprechen gebracht, und gerade in der leisen Art, mit
der sie sich hier behaupten, erzeugen sie unsere Bestürzung
und Trauer und unser Nachdenken, und gerade damit wird die¬
se aufdringliche neue Macht, die von vielen ermächtigt wurde,
sich jetzt aber schon immer wieder, immer öfter, selbst er¬
mächtigt, bloßgestellt und damit bereits: geschwächt. Mehr
kann man nicht tun, glaube ich.

Elfriede Jelinek

Beginnend mit dieser Nr. 1/2000 trägt „Mit der Ziehharmoni¬
ka“ (MdZ) den neuen Namen „Zwischenwelt. Zeitschrift für
Kultur des Exils und des Widerstands“ (hinkünftig abgekürzt
mit ZW). „Zwischenwelt“ heißt bereits das Jahrbuch der
Theodor Kramer Gesellschaft. Von der Namensänderung er¬
hoffen wir uns nicht nur den letzten Platz im Alphabet, sondern
auch leichteren Zugang zu neuen LeserInnen und Lesern. Er¬
klärungsbedürftig ist wahrscheinlich auch der neue Titel.

Der legendäre Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka hat
MdZ einmal eine „moderne Ausgrabungsfabrik mit Gegen¬
wart und Zukunft“ genannt. Das wollen wir auch bleiben. Aus
Anlaß der Namensänderung haben wir zwei unserer Leserin¬
nen, Elfriede Jelinek und Ruth Klüger, beide einer breiteren
Öffentlichkeit bekannt, um ihre Meinung zu MdZ und ZW ge¬
fragt. Hier ihre Antworten. — Die Red.

Österreich von seiner besten Seite

Auslandsgermanisten wie ich sind immer auf der Suche nach
Publikationen, die die heutige Kultur und Literatur in den
deutschsprachigen Ländern sowohl interessant wie repräsenta¬
tiv darstellen. Dabei stoße ich wieder und wieder mit Dankbar¬
keit auf Ihre im Ausland viel zu wenig bekannte, aber unter
Kennern um so mehr geschätzte Zeitschrift „Mit der Ziehhar¬
monika“. Neue Leser, denen ich ein Heft zum ersten Mal mit
einer Empfehlung in die Hände lege, reagieren meist mit ei¬
nem spontanen: „Warum lerne ich das erst jetzt kennen?“

Man lernt beim Lesen von „Mit der Ziehharmonika‘“ viel
über die Geschichte und die Gegenwart der Juden in Wien, mit
Nachdruck auf ihre kulturellen Beiträge zu Stadt und Land,
Themen, die gerade in Amerika von Interesse sind; man findet
Gedichte der besten heutigen Lyriker Österreichs aber auch
Dichter anderer Länder, die so weit auseinander liegen mögen
wie Kroatien und Israel; man findet feinsinnige Rezensionen
neuer Bücher, die eigentlich schon Analysen dieser Werke
sind; man kann sich über Sozialgeschichtliches und Kunstge¬
schichtliches auf dem Laufenden halten; und vor allem findet
man hier ein Österreich wieder, das teilweise verschüttet war,
teilweise aber das Rückgrat der heutigen Kulturszene aus¬
macht. Und das meiste in einem Stil geschrieben, den man
nicht nur Studenten, sondern auch Kollegen als vorbildlich an¬
bieten möchte.

Das alles, einschließlich der vielen anschaulichen Bildbei¬
träge, für wenig Geld zu haben und immer mit derselben nicht
versiegenden Intelligenz und Energie zusammengestellt. Die
Herausgeber haben offensichtlich ein Konzept, aber kein so fe¬
stes, daß man es ihnen von einem Heft zum anderen anlasten
könnte, denn jedes Heft bietet unerwartet Neues. In „Mit der
Ziehharmonika“ stellt sich Österreich von seiner besten Seite
vor, mit Humor und kritischem Verstand. Ich wünsche mir und
anderen Fans noch viele Lesejahre mit diesem literarischen
Musikinstrument und der Zeitschrift selbst ein sich verdienter¬
maßen erweiterndes Publikum.

Ruth Klüger