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heitenposition geschrumpft. Selbst die FPÖ als die Partei des
Dritten Lagers, des Deutschnationalismus, ist zumindest nach
außen hin auf Distanz zur sogenannten Deutschtümelei gegan¬
gen. Der von manchen wie Günther Nenning erwartete Auf¬
schwung des Deutschnationalismus in Österreich nach der
Vereinigung von BRD und DDR ist völlig ausgeblieben.
Ebenso haben die im Zuge des Niedergangs der kommunisti¬
schen Regime aufkommenden Mitteleuropa-Konzepte, die ei¬
ne stärkere Hinwendung Österreichs zu den östlichen Nach¬
barn und ehemaligen Kronländern der Monarchie anstrebten,
keinen Anklang gefunden; im Gegenteil: Österreich hat sich in
den neunziger Jahren eindeutig dem westlichen Europa, der
EU, zugewandt, woran auch die Regierungsbeiligung der An¬
ti-Europa-Partei FPÖ und die damit verbundenen Boykott¬
maßnahmen noch nichts geändert haben. Einen hohen Stellen¬
wert hat in der Bevölkerung freilich noch immer die Neutrali¬
tät, nicht mehr im Sinne eines dritten Weges zwischen Ost und
West sondern als Sich-Heraushalten aus Konflikten und mili¬
tärischen Verpflichtungen.

Zur heutigen österreichischen Identität gehört die bis in die
vierziger Jahre nicht vorhandene breite Akzeptanz der Demo¬
kratie, die freilich durch Mangel an ziviler Gesellschaft und
Dominanz der politischen Parteien und Verbände, durch große
Koalition und Sozialpartnerschaft, eine besondere österreichi¬
sche Ausprägung erfuhr. Angesichts der aktuellen Entwick¬
lung in Österreich kann man nicht darüber hinwegsehen, daß
die österreichischen Identität auch gravierende negative Seiten
aufweist: vor allem das Weiterleben rassistischer, antisemiti¬
scher, fremdenfeindlicher Vorurteile, die als Erbschaft des Na¬
tionalsozialismus und dessen langer Verdrängung zu schen
sind. Schließlich ist der in den letzten eineinhalb Jahrzehnten
vor sich gehende Erkenntnisprozeß anzuführen, daß die Öster¬
reicher nicht das erste Opfer des NS-Regimes, sondern in nicht
geringem Maße Täter, Mittäter, Mitläufer und Nutznießer wa¬
ren. Diese Einsicht in Mitschuld und Mitverantwortung ist
freilich auf die politische und intellektuelle Elite beschränkt,
während in weiten Bevölkerungskreisen nach wie vor die
Mentalität der „Pflichterfüllung“ vorherrscht und die für Hit¬
lerdeutschland Gefallenen auf Denkmälern und beim Totenge¬
denken als Helden gefeiert werden.

Bevor wir uns mit Überlegungen, Vorstellungen, Program¬
men und Politik des bzw. im österreichischen Exil beschäfti¬
gen, muß zuerst festgestellt werden, daß nur ein Teil der ins
Ausland gefüchteten Menschen in österreichischen Exilorga¬
nisationen erfaßt und aktiv waren und sich mit Österreich wei¬
ter beschäftigten und identifizierten. Die meisten Emigranten,
v.a. die aus rassistischen Gründen vertriebenen, wandten sich
aus durchaus verständlichen Gründen von Österreich ab, inte¬
grierten sich in die neue Heimat und kehrten nach der Befrei¬
ung nicht nach Österreich zurück. „Viele von ihnen, vor allem
die Jüngeren (mich eingeschlossen)“, schreibt Henry Grun¬
wald im Vorwort zu Österreicher im Exil - USA, betrachteten
sich eigentlich nicht als Exilierte, sondern vielmehr als stolze
neue Bürger einer neuen Heimat.“ Schätzungen gehen dahin,
daß von den rund 130.000 Geflüchteten nur 8.000 bis 1959 zu¬
rückkamen. In diesem Milieu des Exils, speziell in den USA,
in Großbritannien und Israel, besteht eher eine kritische Sicht
auf das Nachkriegs- und heutige Österreich; insbesondere die
Rolle der Österreicher im NS-System wird realistischer gese¬
hen als bei den nach Österreich zurückgekehrten Exilanten.

Die politischen Positionen und programmatischen Vorstel¬
lungen der einzelnen Exilgruppen sind zumindest für die wich¬

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tigsten Länder, insbesondere Großbritannien, durch wissen¬
schaftliche Arbeiten herausgearbeitet. Angesichts der poli¬
tisch-ideologischen, organisatorischen, auch räumlich-geo¬
grafischen Zersplitterung/Fragmentierung des österreichi¬
schen Exils kamen weder eine Exilregierung noch gemeinsa¬
me programmatische Grundvorstellungen zustande. Insbeson¬
dere die Frage der Unabhängigkeit Österreichs bzw. Existenz
einer Österreichischen Nation entzweite das Exil: Kommuni¬
sten, Konservative und Legitimisten traten dafür ein, während
die Sozalisten lange Zeit in verschiedenen Formen am Gedan¬
ken des Anschlusses an Deutschland festhielten. Erst die Mos¬
kauer Deklaration vom 1. November 1943, in der die Wieder¬
errichtung Österreichs zum alliierten Kriegsziel erklärt wurde,
beendete diese exilpolitische Diskussion.

Die aktivste, bestorganisierte und dadurch effektivste Grup¬
pe waren die Kommunisten. Entsprechend der Parteilinie seit
1937 forderte die KPÖ nach der Annexion im März 1938 die
Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Österreich
und bemühte sich im Sinne der Volksfronttaktik um breite
Bündnisse bzw. um die Schaffung von vorgeblich überparteili¬
chen Exilorganisationen wie Free Austrian Movement. Trotz
der kommunistischen Steuerung konnten diese Exilorganisa¬
tionen aufgrund der organisatorischen und ideologischen Ab¬
geschlossenheit sozialistischer Organisationen Zulauf finden
und mit ihrer österreichisch-patriotischen Ausrichtung be¬
trächtlichen Einfluß ausüben. Die von Dimitroff geprägte Vor¬
stellung vom Faschismus als der Herrschaft einer kleinen
Gruppe im Interesse des Monopolkapitals und die Sichtweise
von Österreich als Opfer des deutschen faschistischen Impe¬
rialismus erwiesen sich ebenso wie die damit zusammenhän¬
gende Erwartung eines breiten nationalen Freiheitskampfes
gegen den deutschen Faschismus als ideologisch-propagandi¬
stisches Wunschdenken des kommunistischen Exils, das an
der Realität, der Durchdringung weiter Teile der deutschen
und österreichischen Bevölkerung mit NS-Gedankengut und
der Involvierung von Österreichern in den Nationalsozialis¬
mus und dessen Verbrechen, vorbeiging. Diese schmerzliche
Erfahrung mußten z. B. jene mutigen Exilanten machen, die
mit Fallschirmen zum Widerstands- und Partisanenkampf ins
Land zurückkehrten.

Diese politische Linie der kommunistisch dominierten
Exilorganisationen wurde von kulturellen Akvititäten beglei¬
tet, die die Tradition und Eigenständigkeit der österreichischen
Kultur zum Ausdruck bringen sollten, deren Bedeutung aber
letztlich weit über diese Instrumentalisierung hinausging. Os¬
kar Kokoschka, Erich Fried, Egon Wellesz, Hilde Spiel, Theo¬
dor Kramer, Elias Canetti, Robert Neumann — um nur einige zu
nennen — kénnen nicht als , niitzliche Idioten“ oder ,,fellow tra¬
veller“ abqualifiziert werden, sie repräsentierten in der Tat ein
„anderes“ Österreich als das nazistisch dominierte und ver¬
seuchte, und der Wert dieser österreichischen Exilkultur ist un¬
bestritten.

Der Österreich-Patriotismus der Bürgerlich-Konservativen
und Legitimisten unterschied sich von dem der Kommunisten
durch die Orientierung am größeren Österreich der Habsbur¬
germonarchie und am Österreich-Mythos des Ständestaates.
Die politischen Pläne hatten meist die Wiederherstellung der
Monarchie, eine habsburgische Mitteleuropa- oder Donauf¬
öderation zum Inhalt, wodurch sich Konflikte mit den politi¬
schen Exilgruppen der davon betroffenen Länder ergaben.
Auch die Legitimisten konnten in ihren Organisationen und
Publikationen namhafte Repräsentanten des kulturellen Öster¬