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Mit der Verteidigung geht es abwärts. Der Kommis hat auf allen Linien gesiegt. Die gelblich grüne Fratze des Geschäftsverteidigers, beflissen und allgegenwärtig, hat hinter dem Angeklagten Platz genommen und mit „Bitte, ja“ und „Bitte gleich“ wird das gekränkte Recht zur Verzweiflung gebracht. Hinter den Kulissen wird um das Strafausmaß gefeilscht. Über einen der bekanntesten Wiener Strafrichter schrieb er: Nie ist unter einer gelungeneren Maske von Richterwürde und Unparteilichkeit die Wahrheit schändlicher geknebelt worden. Bald nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Rode als Landsturm-Oberleutnant-Auditor einem Militärgericht in Laibach/Ljubljana zugeteilt und mußte dort miterleben, wozu sich die Justiz in Kriegszeiten bereitwillig hergab: Es wurde verhaftet, was Menschenantlitz trug. Verhaftet wurden 15jährige Lyzealschülerinnen wegen des Inhaltes ihrer Schulaufgaben, harmlosen Rufern und Demonstranten wurde der Prozeß gemacht, sie wurden verurteilt ohne Tatbestand, ohne Beweise. [...] Der schwarz-gelbe Schrecken etablierte sich in Böhmen, Mähren, Krain, Südtirol, Triest, Dalmatien und der Bukowina. In Serbien, Bosnien, Galizien wurden die Männer zu Tausenden gehängt. Rode konnte als Verteidiger beim Militärgericht viele Bewohner Krains und Dalmatiens davor bewahren, Opfer jener „pseudopatriotischen Verblendung und gewalttätigen, bei den Haaren herbeigezogenen Gesetzesauslegung“ zu werden, die bei den Kriegsgerichten „im feindlichen Inland“, also den nicht deutschsprachigen Gebieten der Monarchie, Gang und Gäbe war. Doch es zog Rode zurück nach Wien und weg vom Militär, das er auf Grund seiner pazifistischen Grundhaltung haßte. Nach großen Schwierigkeiten gelang es ihm, aus Gesundheitsgründen aus dem Heeresdienst entlassen zu werden und er nahm in Wien sofort seine Arbeit als Advokat wieder auf. Als Mitglied der „Österreichischen Politischen Gesellschaft“, die von dem liberalen Wiener Großkaufmann Julius Meinl gegründet worden war, hatte er großen Anteil an den Friedensbemühungen der sogenannten „Meinlgruppe“, die in der Schweiz Verhandlungen wegen eines Verständigungsfrie dens führte. Als sich Kaiser Karl endlich am 25. Oktober 1918 entschloß, einen Repräsentanten der Gruppe, den Staats- und Völkerrechtler Heinrich Lammasch, zum österreichischen Ministerpräsidenten zu ernennen, war es längst zu spät, der Krieg war bereits verloren. V. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges entspann sich Rodes erster heftiger Kampf mit dem Obersten Gerichtshof, dem „Kassationshof“, Sinnbild der unmenschlichen und verknöcherten Justizmaschinerie. Einer von Rodes Klienten war, zu Unrecht, wie Rode überzeugt war, zu einer mehrmonatigen Kerkerstrafe verurteilt worden, der Kassationshof hatte Rodes wohlbegründete Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil mit recht fadenscheiniger Begründung verworfen. Rode richtete daraufhin ein Gnadengesuch an das Justizministerium, in dem er nicht nur um Gnade für seinen Klienten bat, sondern auch dem Kassationshof Willkür, Menschenverachtung und bewußte Gesetzesverletzung vorwarf. Eine Disziplinaranzeige an die Rechtsanwaltskammer war die Folge und Rode mußte sich vor seinen Kollegen als Disziplinarrichtern verantworten. Rode wies seinen Kollegen die Berechtigung seiner Schelte nach, sie 28 sprachen ihn frei und verurteilten damit den Obersten Gerichtshof. VI. Schon seit Anfang des Jahres 1918 arbeitete Rode an der Zeitschrift Der Friede mit, die der unabhängige Sozialist Benno Karpeles gegründet hatte, zu deren Mitarbeitern u. a. Hermann Broch, Max Brod, Albert Ehrenstein, Kurt Hiller, Siegfried Jacobsohn, Egon Erwin Kisch, Anton Kuh, Robert Musil, Ernst Weiss und Franz Werfel gehörten und deren literarischer Teil von Alfred Polgar geleitet wurde. Ab dem Anfang der zwanziger Jahre häuften sich Rodes publizistische Arbeiten, er schrieb für die linksliberalen Blätter Der Morgen und Der Tag, sowie für das Neue 8-Uhr-Blatt. Gelegentlich erschienen aber auch Beiträge in so gegensätzlichen Zeitungen wie der großbürgerlichen Neuen Freien Presse, der sozialistischen Arbeiter-Zeitung und in Emmerich Bekessys Boulevard- und Skandalblatt Die Stunde. Kritische Themen waren es, Mißstände in Justiz und Gesellschaft, die Rode anpackte. Gegen die von den Sozialisten vertretene Anschlußidee an das Deutsche Reich nahm Rode ebenso Stellung wie gegen die ersten Versuche deutscher Mediziner und Juristen, die sogenannte „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zu propagieren oder gegen die Unfähigkeit der österreichischen Justiz, die Kriegsverbrechen der österreichisch-ungarischen Armee während des Weltkrieges, besonders auf dem Balkan, zu ahnden. Besondere Zielscheibe seiner beißenden Pamphlete waren Bürokratie und Beamtenschaft, deren freche Einmischung in alle Lebensbereiche er scharf attackierte, die Verordnungsund Gesetzesflut, welche die Not- und Inflationszeit der ersten Nachkriegsjahre nur verwaltete, statt sie zu lindern und zahllose neue Ämter schuf, sowie die Kriegsgewinnler und Schieber, die schamlos das verarmte Land ausplünderten. VI. Im Jahr 1925 kreuzte Rode abermals die Klingen mit seinem Erzfeind, dem Obersten Gerichtshof. Anlaß war ein aufsehenerregender Mordprozeß, an dem Rode als Anwalt gar nicht beteiligt war. Er spielte im Milieu der kleinen Leute, eine alte Bedienerin sollte eine Nachbarin umgebracht haben. Es war ein Indizienprozeß, der durch schlampige Ermittlungen der Poli- zei und ein leichtfertiges Urteil charakterisiert war, nach Auffassung großer Teile der Öffentlichkeit ein krasses Fehlurteil. Zu fünfzehn Jahren schweren Kerkers war die Angeklagte Franziska Pruscha verurteilt wurden, was damals praktisch lebenslänglich bedeutete. Als der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde des Verteidigers verwarf und das Urteil bestätigte, schrieb Rode im Morgen einen Artikel, mit dem er dem Obersten Gerichtshof den Fehdehandschuh zuwarf: Ein Schiffbrüchiger strebt auf das vom Gesetz gedachte Rettungsschiff und an der Planke dieses Schiffes angekommen stellt sich ihm ein Gendarm entgegen, prüft, ob die Papiere des Ertrinkenden in Ordnung seien, um ihn in den verschlingenden Ozean zurückzustoßen, weil ein Wort im Passe verschrieben ist. Rode sparte nicht mit hohnvollen und beleidigenden Äußerungen über den Gerichtshof, dessen Hofräte daraufhin eine Anklage gegen ihn in die Wege leiteten, weil er zu Haß und Verachtung gegen den Obersten Gerichtshof aufgereizt habe.