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emigration, die sonst eher schwer zugängliches Wissen (zu EmigrantInnen, unselbständige Literatur) enthält, weiter fortgesetzt. Basierend auf der bereits erarbeiteten Grundstruktur wird insbesondere das Institutionen’Konzept erweitert, so daß - in Orientierung an der Informationsdichte des „Biographischen Handbuchs“ (BHB) — künftig eine detaillierte Dokumentation etwa zum akadamischen/beruflichen Werdegang, zum sozialen Umfeld (wie Mitgliedschaft in Vereinen) — jeweils mit zeitlichen Angaben — möglich ist. Von Beginn der Internet-Projekte an wurde versucht, bestehende Kooperationen des IWK zu intensivieren und die neu geschaffene Infrastruktur anderen Emigrationsforschungsstätten zur gemeinsamen Nutzung angeboten, mit der Perspektive, eine umfassende, von Experten getragene Datenbank zum österreichischen Exil zu schaffen. Entsprechend werden im laufenden Projekt die Daten von Dr. Fritz Hausjell (Institut für Publizistik, Univ. Wien) zum Exiljournalismus integriert, was nach einem Ausbau des Bereichs der Werkerfassung (insbes. zur detaillierten Erfassung von Zeitschriften) verlangt. Im Laufe dieses Projektes werden zudem weitere Vereinheitlichungen (insbes. bei den Institutionen) erarbeitet und Vereinfachungen (wie Wegfall der Anführungszeichen) geschaffen, um unnötige Fehlermeldungen bei der Suche zu minimieren. Auf bibliographischer Seite werden auch Überarbeitungen auf inhaltlicher Ebene vorbereitet. Aus der Verknüpfung der beiden Ursprungsdatenbanken, der sich abzeichnenden Beteiligung weiterer externer Forschungsstätten mit am „Biographischen Handbuch“ orientierten Datensätzen (zur Zeit insbesondere Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes und Exilbibliothek/Literaturhaus) bietet sich für das IWK an, auch verstärkt Angaben zu Werken der einzelnen EmigrantInnen (Werkauswahl) und zur Sekundärliteratur aufzunehmen. Ein entsprechendes Projekt wurde beim „Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Akademie der Wissenschaften“ eingereicht. In einem kleinen, zur Zeit laufenden und vom „Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank“ finanzierten Projekt wird schwerpunktmäßig aktuelle, auch internationale Forschungsliteratur zur Wissenschaftsemigration in die IWK-Datenbank systematisch eingearbeitet.Die so entstandene und sich schrittweise erweiternde Spezialdatenbank zur „Wissenschaftsemigration aus Österreich“ bzw. zum „Exil aus Österreich“ bildet die Wissensbasis des, im Rahmen des Förderprogramms „Multimediale Bildungsmaterialien“ von BMUK und bmw:v bereits genehmigten Projektes „Die österreichische Wissenschaftsemigration — ein fächerübergreifendes multimediales Bildungsmodul im Internet“. Mit der Integration in das Bildungsmodul soll diese Spezialdatenbank künftig in breiten Bereichen der Bildung (insbes. in der oberen Sekundarstufe, Zweitem Bildungsweg, Studieneingangsphase) Verwendung finden. Dr. Charlotte Zwiauer, Flemminggasse 12/4, A-1190 Wien, Tel./Fax: 440 39 82, e-mail: sido@adis.at Anmerkungen 1 Röder, Werner/Strauss, Herbert A. (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945/International Biographical Dictionary of Central European Emigres 19331945, 3 Bde. in 4. München - New York 1980, 1983. 2 Siehe: Stadler, Friedrich: Emigration der Wissenschaft — Wissenschaft von der Emigration. Ein ungeschriebenes Kapitel österreichischer Zeitgeschichte. In: Ders. (Hg.): Vertriebene Vernunft I. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930-1940. Wien, München 1987. S 18f. Ernest Manheim Von Budapest nach Kansas City An den Veränderungen seines Vornamens kann man bereits den Lebensweg, den der 1900 in Budapest geborene Soziologe Ernest Manheim gegangen ist, erahnen. Es ist ein Weg, der gekennzeichnet ist von wiederholter Emigration: 1920 bereits mußte Manheim, der im Jahr zuvor als Freiwilliger in die Armee Bela Kuhns eingetreten war, vor den Schergen des Horthy-Regimes aus seiner ungarischen Heimat flüchten. Er hielt sich in der Folge eine Zeit lang in Wien auf, das er dann aber wenig später verließ, um zunächst in Kiel bei Ferdinand Tönnies und später in Leipzig bei Hans Freyer Philosophie und Soziologie zu studieren. In Leipzig nahm Manheim Ende der 1920er Jahre schließlich seine Lehrtätigkeit als Soziologe auf und entwickelte bereits zu dieser Zeit seinen zentralen theoretischen Ansatz, welcher im wesentlichen auf der Verbindung von Kommunikations- und Wissenssoziologie beruht. 1933 war Ernst Manheim gezwungen, gemeinsam mit seiner Frau und seinem damals dreijährigen Sohn aus Deutschland zu flüchten, nachdem er als „Jude“ und „Ausländer“ der Universität Leipzig verwiesen worden war. Bei seiner Flucht ließ Manheim sein theoretisches Hauptwerk, die lange vergessene Studie „Die Träger der öffentlichen Meinung“, welche noch im selben Jahr in einem Brünner Verlag erscheinen konnte, im faschistisch gewordenen Deutschland zurück: Das Buch ist nie in Englische übersetzt worden und erfuhr im deutschen Sprachraum bis zu seiner Neuausgabe Ende der 1970er Jahre kaum größere Beachtung. Manheim fand zunächst in Großbritannien Zuflucht. In London, wo zu dieser Zeit auch sein Vetter Karl Mannheim an der LSE tätig war, gelang es ihm in der Folge, seine soziologische Ausbildung durch ethnologische Studien bei Bronislaw Malinowski zu ergänzen und zu erweitern. 1937 schloß er diese schließlich mit seiner zweiten Dissertation, der Arbeit „Risk, Security, and Authority“ ab. Im selben Jahr noch ging Manheim mit seiner Familie in die USA, nach Chicago, wo er ein für seine gesamte spätere Arbeit prägendes Forschungsjahr verbrachte: Am Sociological Department der dortigen Universität wurde er mit einer für ihn völlig neuen Art und Weise, Soziologie zu betreiben, nämlich der angewandten empirischen Sozialforschung der „Ecology“-Schule, konfrontiert. 1938 schließlich übersiedelte Manheim nach Kansas City, wo er ein halbes Jahrhundert lang lehrte und heute noch lebt. Die soziologischen Arbeiten, die er dort in der Folgezeit betrieb, waren sehr stark an praktischen Gesichtspunkten orientiert: Seine Studien zur Stadtsoziologie etwa flossen in Planungen über die Stadtentwicklung von Kansas City ein, seine Jugendsoziologie in die Jugendfürsorge der Stadt. Größere theoretische Publikationen hat Manheim in den USA nicht mehr in Angriff genommen, sondern sich in erster Linie auf die Lehre konzentriert. Er hat - nach eigener Aussage - angesichts des Nationalsozialismus, der Aufgabe alles Geistigen ausgerechnet in Deutschland, dem Land der Denksysteme, die Notwendigkeit, theoretisch-synthetisch zu arbeiten, immer weniger gesehen. Den hier knapp skizzierten Lebensweg dokumentiert eine von Reinhard Müller gestaltete Ausstellung in der Universitätsbibliothek Graz, welche am 3. März 2000 im Beisein Ernst Manheims eröffnet wurde und bis zum 14. April zu sehen war. Die Ausstellung, welche zahlreiche Dokumente, Briefe und Materialien aus dem (im Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich) aufbewahrten Nachlaß zu Lebzeiten Manheims umfaßt, zeigt dessen Persönlichkeit in ihren unterschiedlichsten Facetten: den innovativen und unorthodoxen Wissenschafter, den Komponisten, aber auch den politisch engagierten Menschen. Nachvollziehbar wird anhand dieser Ausstellung eine Biographie, in der sich das ganze Jahrhundert — mit all seinen Brüchen und Kontinuitäten — widerspiegelt, eine Biographie, die vor allem aber geprägt ist von transnationalem Geist und weltbürgerlicher Haltung. Christian Teissl Reinhard Müller (Hg.): Ernö — Ernst — Ernest Manheim. Soziologe, Anthropologe, Komponist. Katalog zur Ausstellung anläßlich des 100. Geburtstages an der Universitätsbibliothek Graz vom 3. März bis 14. April 2000. Graz: Universitätsbibliothek Graz/Archiv für Geschichte der Soziologie in Österreich 2000. 132 S. 39