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Denkmäler zu Ehren von Francisco Villa im
Südwesten der Vereinigten Staaten gibt.
Aber mit seiner Legende bleibt für immer
verbunden die Hoffnung des anderen Mexi¬
ko, des zweiten Landes, der zurückgelasse¬
nen Nation, die weiterhin zu ihm singt: „Hör
mal du, Francisco Villa, was sagt dein Herz?“
Sorgfältig, äußerst gut dokumentiert, immer
flüssig und elegant, konfrontiert Friedrich
Katz uns Lebendige mit unseren Geistern.
Carlos Fuentes

Aus dem mexikanischen Spanisch übersetzt
von Renato Vecellio.

Friedrich Katz: The Life and Time of Pancho
Villa. Stanford (California): Stanford Uni¬
versity Press 1998. 985 S. (Ca. USD 30,-, bei
Erwerb in den USA.)

Friedrich Katz, geboren 1927 in Wien als
Sohn von Bronia und Leo Katz, kam mit sei¬
nen Eltern über Berlin, Paris und New York
1940 nach Ciudad de Mexico, wo er 1945 die
Jranzösische Schule abschloß. Katz studierte
in New York, Ciudad de Mexico, Wien (wo er
1954 promovierte) und ist seit 1971 Profes¬
sor für lateinamerikanische Geschichte an
der Universität Chicago. (Vgl. auch MdZ
Nr. 1/1998, S. 28-32.)

Carlos Fuentes, geboren 1928 in Ciudad de
Mexico, Diplomat, der 1968 wegen des Ge¬
metzels an protestierenden Studenten ins
französische Exil ging, um 1975 der Bot¬
schafter Mexikos in Paris zu werden, Journa¬
list, Herausgeber von Zeitschriften, ist einer
der bedeutendsten Autoren Lateinamerikas.

Mexiko als Fluchtpunkt
deutschsprachiger
Schriftsteller

Mexiko erwies sich unter seinem Präsidenten
Läzaro Cärdenas als eines der grosszügigsten
Aufnahmeländer für Hitlerflüchtlinge. Sein
Interesse galt aber auch, das von Emigranten
übermittelte wissenschaftliche und kulturelle
Kapital für seine Modernisierung fruchtbar
zu machen, die auch Bildungs- und Sozialpo¬
litik einschloss. Der lateinamerikanische
Staat wurde somit vielen namhaften deutsch¬
sprachigen Intellektuellen und Künstlern zur
Heimat, oder zumindest für einige Jahre zum
sicheren Fluchtort: für den Wissenschafter
Alfons Goldschmidt, die Schriftsteller Egon
Erwin Kisch, Leo und Otto Katz, Anna Seg¬
hers, Bodo Uhse, Gustav Regler, B. Traven,
den Fotografen Walter Reuter oder den Ma¬
ler Wolfgang Paalen. Marcus G. Patka por¬
trätiert sie, ohne der Gefahr einer blossen An¬
einanderreihung von Biographien zu erlie¬
gen. Er bietet eine detaillierte, gut recher¬
chierte Analyse, in der Lebensgeschichten et¬
wa auch Teile von Institutionengeschichte
sind. Im „Kulturbund“, im „Heinreich Heine
Club“, im Verlag „El Libro Libre“ und in den
Zeitschriften „Freies Deutschland“ und „Au¬
stria Libre“ fanden die EmigrantInnen Foren

kultureller Ausdrucksmöglichkeit und politi¬
scher Diskussion (wie etwa über Faschis¬
mus- und Nationsdefinitionen). Als Akteure
auf literarischem und politischem Parkett
prägten sie Mexikos Position als bedeutendes
Zentrum deutschsprachiger Exilliteratur und
-politik. Patkas Buch macht auch den Trans¬
fer und die Transformation politischer Kon¬
zepte durch die Emigration deutlich, der
Konflikte inhärent sind. Sie ergeben sich aus
dem Aufeinanderprallen divergierender Vor¬
stellungen sowie aus „revolutionärem Opti¬
mismus“, „Realitätsverdrängung“, aus der
„Flucht in Orthodoxien“, genährt durch Exi¬
stenzdruck und Profilierungswillen. Ande¬
rerseits förderten Mehrfachidentitäten Kon¬
sensbereitschaft; so näherten sich unter
dem Eindruck der Shoa beispielsweise
deutschsprachige Kommunisten an das Ju¬
dentum an.
Emigranten und Mexikos Intellektuelle (Fri¬
da Kahlo, Diego Rivera, Tina Modotti, José
Vasconcelos) profitierten gegenseitig von
der kulturellen Vielfalt des jeweiligen „An¬
deren“. So erklärte Andre Breton das Land
zum „surealistischen Ort par excellence“.
Fluchterfahrung, Internationalität, Interesse
am „Fremden“, Zivilisationskritik und Exo¬
tik waren Inspiration für zahlreiche literari¬
sche Texte wie jene des mythenumwobenen
und -webenden B. Traven („Der Schatz der
Sierra Madre“), eines Egon Erwin Kisch
(„Entdeckungen in Mexiko“), sowie für wis¬
senschaftliche Publikationen (so der Schwei¬
zerin Gertrude Düby über die indigene Be¬
völkerung). Dass Mexiko für zahlreiche Emi¬
grantInnen nur vorläufiger Ruhepol einer
Diäspora war, dokumentiert Patka, indem er
frühere Fluchtorte und Endstationen themati¬
siert. Allerdings wird Frankreich - für einen
Mexiko-Band — etwas zu viel Platz einge¬
räumt. Schockierend ist es, wie sich die
Riickkehr in die vermeintliche Heimat der
DDR etwa fiir Walter Janka und Paul Merker
auswirkte. Sie bezahlten ihre Mehrfachiden¬
tität (Juden und Kommunisten) mit Gefäng¬
nis, Verfemung oder — im Falle von Otto
Katz alias André Simone im antisemitischen
Slansky-Prozess — mit dem Tod.
Zu nahe der Sonne bietet ein wichtiges Bei¬
spiel fiir die Vielschichtigkeit einer Exilsi¬
tuation, da es Marcus G. Patka gelingt, Bio¬
graphie- und Institutionengeschichte zu ver¬
weben, Ideentransfer zu analysieren, sowie
Entstehungsbedingungen, Motivwahl und
Rezeption von literarischen und wissen¬
schaftlichen Werken vor dem Hintergrund
der historischen Gegebenheiten in Mexiko
herauszuarbeiten und gut lesbar aufzuberei¬
ten. Miss- und unverständlich — gerade für
die österreichische Rezeption des Bandes —
ist jedoch, dass der Verlag sich nicht durch¬
ringen konnte, „deutsch“ durch „deutsch¬
sprachig“ zu ersetzen.

Ursula Prutsch

Marcus G. Patka: Zu nahe der Sonne. Deut¬
sche Schriftsteller im Exil in Mexico. Berlin:
Aufbau Taschenbuch Verlag 1999. 250 S.

Aus der Finsternis

geborgen
Erzählungen jiddischer
Autorinnen

Jiddische Literatur einem deutschsprachigen
Publikum näher zu bringen, hat sich Armin
Eidherr mit seiner „Jiddischen Bibliothek“
im Salzburger Otto Müller Verlag zum Ziel
gesetzt. Mit der Sammlung „Aus der Finster¬
nis geborgen“ ist ihm eindrucksvoll gelun¬
gen, erstmals Erzählungen, Romanausschnit¬
te und Memoiren weitgehend unbekannter
Autorinnen vorzustellen, deren Texte bis¬
lang, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
kaum übersetzt wurden.

Erwähnenswert die Entstehungsgeschichte
dieses Buches: Ein Arbeitskreis von Frauen
begann sich 1990 in Toronto mit den „Lost
Treasures“, den Werken jiddischer Schrift¬
stellerinnen zu beschäftigen. Sie übersetzten
deren Prosa ins Englische, um diese „Found
Treasures“ zu einer Anthologie zusammen¬
zufassen. 1994 erschienen, ist das Buch in¬
zwischen ein Bestseller geworden.

Zwanzig Erzählungen von achtzehn Autorin¬
nen wurden ausgewählt, geboren zwischen
1877 und 1923 im Osten Europas, in Polen,
Weißrußland, Litauen, miteinander verbun¬
den durch die jiddische Sprache und die Sho¬
ah. Abgesehen von drei Ausnahmen (Chavah
Ssluzki-Kesstin und Rikudah Potasch, die
nach Israel gingen und Lili Berger nach Pa¬
ris) emigrierten alle anderen in die USA oder
nach Kanada.

Die thematische Gliederung der englischen
Ausgabe in vier Kapitel wurde auch für die
deutsche Fassung beibehalten: 1. Die alte
Welt (Geschichten aus den Städtels der Her¬
kunftsländer Osteuropas); 2. Die neue Welt
(Erfahrungen der Emigration und des Lebens
in Amerika); 3. Jene, die überlebten, und je¬
ne, die umkamen (thematisiert die Schrecken
der Shoah); 4. Das verheißene Land (Israel
als Heimat und Land der Konflikte).
Stilistisch überaus vielfältig, dennoch dem
autobiographischen Erzählen verpflichtet,
kommen literarische Stimmen zu Wort, die
Zeugnis ablegen von früheren Zeiten, von
Sitten und Gebräuchen osteuropäischer Ge¬
meinden. Etwa in der Geschichte Die „Soge¬
rin“ von Rochl Broches. Die Sogerin, die
einst in den jüdischen Gemeinden Osteuro¬
pas eine wichtige Position einnahm, den
Frauen Gebete vorlas und sie durch den Got¬
tesdienst leitete, ist plötzlich mit ihrer Rolle
unzufrieden. Sie hadert darüber, daß sie für
alle anderen betet, jedoch niemand ein Gebet ¬
für sie spricht.

Sarah Hamer-Jacklyns Geschichte Der
Traum meiner Mutter erzählt von einer Frau,
die wieder schwanger ist. Sie fürchtet, diese
Geburt nicht zu überleben, also weist sie ihre
älteste Tochter in die Pflichten einer Haus¬
frau ein. Tatsächlich stirbt sie bei der Entbin¬
dung. Der Ehemann ist enttäuscht, daß es
„nur“ eine Tochter ist. Eine Prosa, überaus
sensibel vom Blickpunkt der Tochter erzählt.

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