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DR. ERNST PAPANEK 20.2.1900 + 5.8.1973 VOLKSBILDNER. MITGLIED DES WIENER GEMEINDERATES Gedenktafel im Ernst Papanek Hof, einem Gemeindebau in Wien-Rudolfsheim, Ölweingasse 21-23. Pädagogik im Exil (1983, 1990). Eine grundlegende Untersuchung der realisierten Konzeption und Wirkungsgeschichte der in den OSE-Kinderheimen praktizierten Pädagogik sowie des Lebenswerks Ernst Papaneks steht also noch aus und ist Gegenstand eines von mir geplanten Forschungsprojektes. Für mich ist seine beeindruckendste Leistung die Arbeit in den OSE-Heimen, in denen den asylsuchenden Kindern ein Leben mit ihren Leidenserfahrungen in einem offenen Milieu und in Gemeinschaft von Leidensgenossinnen und -genossen ermöglicht wurde. Er entwickelte ebenso wie Minna Specht, Anna Essinger u.a. eine Pädagogik, die — als Gegenmodell zur nationalsozialistischen Pädagogik der Ausgrenzung und Einpassung - die kindliche und jugendliche Persönlichkeit und ihre Bedürfnisse nach Orientierung, Gemeinschaft, Nähe und Distanz achtete und zur Entwicklung des Selbstvertrauens der Mädchen und Burschen beitrug. Die Kinder, die in den von Ernst Papanek geleiteten Kinderheimen unterkamen, gehörten sicher zu denen, die die besten Möglichkeiten des Überlebens „als ganze Menschen“ (Papanek 1980, S. 279) gehabt haben und ein neues Leben im Ausgleich zwischen Herkunft und Notwendigkeiten des Exils beginnen konnten. Literaturhinweise Achs, Oskar/Tesar, Eva (Hg.): Schule damals — Schule heute. Otto Glöckel und die Schulreform. Wien, München 1985. Adam, Erik (Hg.): Die österreichische Reformpädagogik 1918-1938. Symposiumsdokumentation. Wien, Köln, Graz 1981. Benz, Ute und Wolfgang (Hg.): Sozialisation und Traumatisierung. 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Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Osterreich. Wien 1975 Papanek, Ernst with Linn, Edward: Out of the Fire. New York 1975. Papanek, Ernst: Das Kinderheim, seine Theorie und Praxis im Lichte der Individualpsychologie. In: Acta Psychotherapeutica. Psychosomatica et Orthopaedagogica, Separatum Vol. IV, Fasc. 1, 1956, S. 53-72 Papanek, Ernst: Die Kinder von Montmorency. Frankfurt 1980. Papanek, Ernst: The Austrian Schulreform. Its Bases, Principles and Development — The 20 Years Between the Two World Wars. New York 1961. Papanek, Ernst: The Montmorency Period of the Child-Care Program of the OSE. In: Wulman, L. (Editor): Fifty Years of OSE. New York 1968, p. 116134. Papanek, Hanna: Exile or Emigration: What shall we tell the Children? Exil oder Auswanderung: Was sagen wir den Kindern? In: Hertling, Viktoria (Hg.): Mit den Augen eines Kindes. Children in the Holocaust, Children in Exile, Children under Fascism. Amsterdam, Atlanta 1998, S. 220-236. 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Weidenholzer, Josef: Auf dem Weg zum ‚Neuen Menschen‘. Bildungs- und Kulturarbeit der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik. Wien, München, Zürich 1981. Anmerkungen 1 Überarbeitete Fassung des Vortrag auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung in Wien am 25.3. 2000. 2 Die OSE wurde 1912 von einer Gruppe jüdischer Ärzte in St. Petersburg gegründet, als „Obschrestwo Sdrawochranenja Ewrejew“, auf deutsch. „Gesellschaft für die Gesundheit der jüdischen Bevölkerung“. Nach der Oktoberrevolution erfolgte das Verbot und die Umsiedelung der Organisation nach Berlin, nach 1933 dann der Umzug nach Paris und die Errichtung eines internationalen Büros mit Albert Einstein als Vorsitzendem und einem neuen Namen: „Organisation pour la Sante et Education“ (Gesellschaft für Gesundheit und Erziehung). 3 Siehe hierzu auch Oelkers 1992, S. 176-185. 4 Otto Glöckel, geb. 7.2. 1874 Pottendorf (Niederösterreich), nach Lagerhaft in Wöllersdorf (13.2.-29.10. 1934) am 23.7. 1935 gestorben. Er war Unterstaatssekretär für Unterricht im Staatsamt für Inneres und Unterricht, dann Leiter des Unterrichtsamtes, 1919/20, ab 13.3. 1922 bis Februar 1934 Geschäftsführender Vizepräsident des Stadtschulrats für Wien. 5 Siehe zum österreichischen Schulwesen im Kaiserreich und zur Schulreform Otto Glöckels den von Oskar Achs und Eva Tesar herausgegebenen Ausstellungskatalog (1985). 6 Alfred Adler, Dr. med., geb. 7.2. 1870 in Wien, emigriert 1934 in die USA, gest. 28.5. 1937 in Aberdeen, Schottland. Begründer der Individualpsychologie, ab 1920 Lehrtätigkeit am Pädagogischen Institut der Stadt Wien, Errichtung von 30 Erziehungsberatungsstellen. 7 Otto Felix Kanitz, geb. 1894, Pädagoge, ermordet im KZ Buchenwald (Klusacek 1966). 8 Siehe hierzu auch den jüngsten Beitrag von Hanna Papanek „Spiegel und Schattenspiel. Vom Wiedererleben des Erlebten‘ (2000). Inge Hansen-Schaberg, geb. 1954 in Flensburg, Dr. phil., Privatdozentin an der TU Berlin mit dem Lehrgebiet „Erziehungswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der Historischen Pädagogik“, Lehrbeauftragte an der Universität Bremen, Arbeitsschwerpunkte: Reformpädagogik, pädagogische Biographien, Mädchenbildung, Exilforschung.