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sind. Zwar waren Juden schon im moldauischen Czernowitz vertreten und durch gesetzliche Schikanen der österreichischen Verwaltung sogar immer wieder zurückgedrängt worden; dennoch zogen sie das durch Joseph II. Toleranzpatent etc. doch leichtere Leben hier der offenbar härteren Unterdrückung durch den polnischen Adel in Galizien oder gar den russischen Pogromen in der Ukraine vor. Und so stieg ihre Zahl von ca. 30 000 um 1850 auf gut 100 000 um 1900 und ihr Anteil an der Czernowitzer Bevölkerung betrug 1910 schließlich über 30 Prozent. Ihre völlige rechtliche Gleichstellung durch das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1867 setzte auch ungeheure wirtschaftliche Aktivitäten in dem bis dahin ländlichen, ja fast mittelalterlichen Wirtschaftssystem Ost- und Südosteuropas frei und führte bis 1914/18 gerade in Czernowitz zu einem recht begüterten jüdischen Großbürgertum. Juden konnten nicht nur im Holz- und Viehhandel sowie in der Industrie, sondern auch als Ärzte, Rechtsanwälte sowie als Großgrundbesitzer beträchtliche Vermögen erwerben und damit das deutsche Kulturleben, insbesondere das Theater- und Musikwesen, kräftig fördern. Da sie aufgrund der Nähe des von allen Ostjuden gesprochenen „Jiddisch“ zum (Hoch)deutschen auch einen leichten Zugang zur deutschen Amtssprache und Kultur hatten, ergriffen die meisten auch dies als Weg in die westliche Zivilisation und zum sozialen Aufstieg, der — wie etwa auch in Wien — meist über die mehr oder minder vollständige Assimilation ging. Aus Dankbarkeit für diese auf den Kaiser Franz Joseph zurückgeführten Chancen hielten diese assimilierten Czernowitzer Juden auch der „österreichischen Nation“ und der sie vertretenden deutschen Kultur die Treue — nicht nur während der Monarchie, sondern auch als sich Ende des 19. Jahrhunderts diese „K.u.k.-Nation“ in tschechische und polnische „Nationalitäten“ aufzulösen begann; ja sogar noch als in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts die einst liberalen „Deutsch(sprachig)en“ in „Zionisten“ und „Deutschnationale“ zerfielen. der Fall; hier wirkte sich die von dem anderen wohlbekannten Bukowiner, Gregor von Rezzori, als typisch bukowinisch diagnostizierte ,,Kulturverschleppung“ oder Verspätung aus, dank der auch der beginnende Nationalismus hier nie so extrem wie in anderen Teilen der Doppelmonarchie ausfiel. Diese Loyalität zur deutschen Kultur und Sprache hielt auch in der rumänischen Bucovina an, als die neuen rumänischen Herren — die nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung in der rumänischen Provinz ausmachten — von allen ,,Vorbiti romäneste“ (sprecht rumänisch) verlangten. Czernowitz blieb, wie Rose Ausländer es später rückblickend formulierte, „im Grund selbst nach zwei Jahrzehnten rumänischer Herrschaft eine im Geistigen österreichische Stadt,,. Nicht zuletzt deshalb waren neben den Deutschen auch die Juden das Hauptziel der vehement einsetzenden Romanisierung nach 1919. Diese richtete sich als erstes gegen die Universität, an der nur mehr vier von den einst 39 österreichischen Professoren im Amte blieben. Da an ihr die gut situierten Juden die überwiegende Zahl der deutsch(sprachig)en Studenten - und sehr zahlreichen Studentenkorporationen — ausmachten, wurden auch diese mehr oder minder gewaltsam zurückgedrängt, und sogar ein numerus iudaicus eingeführt, der die Chancen der ‚echten‘ oder „Blutsrumänen“ verbessern sollte. Das gemeinsame Minderheitenschicksal der Deutschsprecher hat die 1891 bzw. 1897 begonnene faktische Auswirkung der Aufspaltung in christliche (nationale) Deutsche und zionistisch orientierte Juden faktisch bis in die dreißiger Jahre hinausgezögert. Nach 1933 wurde auch die Bukowina — mit der üblichen Retardierung und Abschwächung — vom deutschen und rumänischen Faschismus und Antisemitismus ereilt, was dieses gute Verhältnis zwischen Deutschen und Juden zu beeinträchtigen begann, aber bis zum Ende der deutsch-jüdischen Nachbarschaft kaum zum Tragen kam. 21