Die beiden Fürstentümer, Walachei und Moldau, standen hun¬
dert Jahre unter türkischer Lehnsherrschaft.
Als das am nördlichen Hang der Waldkarpaten gelegene,
etwa 10.000 km? große, dicht mit Buchen bewachsene und da¬
her Bukowina genannte Gebiet (buk, slawisch = Buche) nach
dem russisch-türkischen Krieg von 1766-74 von Sultan Abdul
Hamid im Zuge der Friedensverhandlungen Joseph II., dem
Mitregenten Maria Theresias abgetreten wurde, lebten in die¬
sem noch unwirtlichen, wilden Landstrich kaum mehr als
500 streng orthodoxe Juden, deren Kleidung und Aussehen das
Misstrauen der neuen Verwaltung erregte, so dass sie zunächst
allen Drangsalen ausgesetzt waren.
Allmählich erkannte jedoch das Haus Habsburg die wach¬
sende Zahl der Judenheit der Bukowina, die den Großteil der
städtischen Bevölkerung bildete, als geeignetes Element für
die Ausbreitung der deutschen Kultur in diesem von der Ver¬
einnahmung durch das vordringende Slawentum bedrohten
Gebiet und ließ ihr größere Förderung und Bevorzugung als in
den anderen Kronländern der Monarchie angedeihen.
Nach dem Judenedikt von 1782, das Joseph I. erließ, um
die Juden zu schützen, wurde ihre Germanisierung mit Härte
vorangetrieben. Sie wurden verpflichtet, Deutsch zu lernen,
genossen allmählich die gleichen Rechte wie alle anderen Bür¬
ger und wurden später die treuesten Untertanen von Kaiser
Franz Joseph I.
Als die Bukowina 1848 von Galizien getrennt und ein ei¬
genständiges Kronland wurde, besonders aber durch die allge¬
meine Gleichstellung auch der Juden durch das Staatsgrundge¬
setz 1867 verbesserte sich ihre Situation grundlegend, und
auch ihre Zahl wuchs ständig.
Juden besuchten die 1875 gegründete Czernowitzer Univer¬
sität, ergriffen akademische Berufe, wurden Magistratsbeamte
und sogar Landtagsabgeordnete, und ihre Assimilation nahm
stetig zu. Die Mutter- und Kultursprache der meisten Bukowi¬
ner Juden war, zumal in der Hauptstadt Czernowitz, aber auch in
kleineren Marktflecken wie Radautz, Sereth oder Suczawa
Deutsch. Dies änderte sich auch nicht, als nach 1919 Rumänisch
als Landessprache eingeführt wurde. Das von den Wienern ver¬
spottete Bukowiner Deutsch war, wie Rose Ausländer in ihren
Erinnerungen erwähnt, in Vokabular und Tonfall nicht frei von
anderen sprachlichen Einflüssen, dem Slawischen, Rumäni¬
schen und besonders dem immer noch von einem Drittel der jü¬
dischen Bevölkerung gesprochenen Jiddischen, aber das gebil¬
dete Bürgertum achtete sehr genau, dass die Kinder nicht ‚‚jid¬
delten“, sondern korrektes Hochdeutsch sprachen.
Dies änderte sich auch nicht, als 1919 nach dem Vertrag
von Saint-Germain die Bukowina dem neu entstandenen Kö¬
nigreich Rumänien zugesprochen wurde. Die zentralistische
Verfassung des rumänischen Königreiches traf die bis dahin
autonom verwaltete Bukowina besonders hart. Als Folge wur¬
den z. B. die Bukowiner Juden systematisch aus dem Staats¬
dienst entfernt, unter anderem weil sie nicht gut genug Rumä¬
nisch sprachen. Vor die Wahl der Staatsbürgerschaft gestellt,
entschieden sich manche, die österreichische zu behalten, was
ihnen mehr als zwanzig Jahre später zum Verhängnis werden
sollte. Sie wurden nämlich 1940/41, nachdem die Nordbuko¬
wina der Sowjetunion zugesprochen worden war, als Staats¬
feinde nach Sibirien deportiert, zusammen mit anderen Glau¬
bensgenossen, die als Kapitalisten abgestempelt wurden, wenn
sie als Geschäfts- oder Fabrikbesitzer mehr als zwei Angestell¬
te hatten.
In den Schulen wurde nach dem Ersten Weltkrieg in der Bu¬
kowina ausschließlich auf Rumänisch unterrichtet. Auch als
Fremdsprache wurde Deutsch erst im Obergymnasium, nach
Latein und Französisch, angeboten.
Die bis dahin unter den Lehrkräften stark vertretenen Juden
blieben kaum noch im Hochschulwesen tätig. Als 1937/38 die
faschistische Regierung Goga/Cusa an die Macht kam, wurde
das Hofmann-Gymnasium, das ich besuchte und dessen Besit¬
zer Jude war, in „Julia Hasdeu“ umbenannt, nach der schwind¬
süchtigen Tochter des Schriftstellers Petre Hasdeu, eines be¬
rüchtigten Antisemiten.
Direktor Hofmann wurde abgesetzt, und seines Amtes als
Geschichts- und Erdkundeprofessor enthoben. Statt seiner ka¬
men Rumänen aus dem ‚Altreich‘, die jüdischen Schülerinnen,
wo sie nur konnten, das Leben schwer machten. In der Öffent¬
lichkeit war es verboten, Deutsch zu sprechen. Tat man dies
trotzdem, so wurde man von Spitzeln angezeigt, mit Geldstra¬
fen belegt, mitunter sogar zur Polizeistation abgeführt. Natür¬
lich betrafen derlei Schikanen nur Juden. Schwaben aus der
Vorstadt Rosch oder z. B. Angehörige der Familie Rezzori
wurden kaum behelligt.
Dennoch konnte man Ende der dreißiger Jahre in den Czer¬
nowitzer Buchhandlungen, die übrigens ebenso wie die mei¬
sten deutschsprachigen Zeitungen in jüdischem Besitz waren,
jedes deutsche Buch kaufen oder bestellen, und das jüdische
Bürgertum machte davon natürlich reichlich Gebrauch. Auch
für uns Schüler war rumänische Literatur nur Pflichtlektüre.
In der Toynbee-Halle, einer von dem englischen Prediger in
vielen jüdischen Zentren, so auch in Czernowitz, gegründeten
und nach ihm benannten Volksbildungsstätte wurden Purim¬
und Chanukkafeiern von und für Kinder in deutscher Sprache
veranstaltet.
Der jüdische Gesangsverein „Hasomir“ brachte deutsche
Musik, und selbst bei den zionistischen Burschenschaften ,,Has¬
moneja“ oder ,,Hebronia“ war die Umgangssprache Deutsch.
Wie nachhaltig der Einfluss der österreichischen Kultur auf
die Juden der Bukowina war, geht vor allem aus der erstaunli¬
chen Tatsache hervor, dass zwischen den beiden Weltkriegen,
also bereits unter rumänischer Herrschaft, eine so reiche, viel¬
fältige deutschsprachige, hauptsächlich von Juden geschaffene
Literatur entstand, die leider im Westen erst ziemlich spät zur
Kenntnis genommen wurde. In einem rumänischen Gymnasium
drückten drei jüdische Schüler, die bedeutende deutschsprachi¬
ge Lyriker werden sollten, dieselbe Schulbank: Paul Antschel
(Celan), Immanuel Weißglas und Alfred Liquornik (Gong).
In der 1994 im Fink Verlag unter dem Titel „Versunkene
Dichtung der Bukowina“ erschienenen Anthologie sind 80 Ly¬
riker vertreten, die meisten von ihnen jüdischer Herkunft. Bu¬
kowiner Juden wie Robert Flinker, Klein Harparasch und Leo
Katz, in unseren Tagen Edgar Hilsenrath, haben aber auch be¬
achtliche Prosawerke geschrieben.