spielte. Er bot der Autorin eine gewisse Rückendeckung. Aber
Ariadne sprengte auch die Schranken seiner Welt. Ähnlich wie
Else Lasker-Schüler scheute sie sich nicht vor Provokation,
wollte ihre Mitmenschen schockieren und aufrütteln. Es war
nicht allein die Art, wie sie sich kleidete und gebärdete, son¬
dern auch die Themenwahl ihrer Gedichte, die damals scho¬
ckierend wirkte. Denn ihre Verse sprachen nicht nur von der
Unterdrückung der Frau, sondern auch von ihrer Intimsphäre
sowie von anderen brisanten Problemen wie die Umweltzer¬
störung. Die Gesellschaft reagierte mit Ablehnung auf die Kri¬
tik, stempelte die Autorin als exzentrisch ab.
Sozialkritik und Problematik der modernen, nach Gleichbe¬
rechtigung strebenden Frau sind häufig im Werke deutsch-jü¬
discher Autorinnen der Bukowina mit der Darstellung eines,
für ihre Heimat charakteristischen multikulturellen Kontextes
verknüpft. Für manche von ihnen war die Bukowina ein Sym¬
bol der Völkerkoexistenz, ein Topos der Literatur. Voller No¬
stalgie besangen einige ihre friedliche Vielvölkerwelt, die sie
idealisierten: „Vier Sprachen verständigten sich / Viele Dich¬
ter blühten dort auf“, heißt es in einem Gedicht Rose Auslän¬
ders. Andere bewahrten indes eine kritisch distanzierte Hal¬
tung. „Die Judengasse ist mein Ahnenschoß, /mein Vaterland
ein bunter Völkertroß,/ Der rastlos wilde Eigensinn mein Er¬
be,“ heißt es in Clara Blums „Grimmigem Lebensbericht“.
Das Multikulturelle war indes nicht nur Leitmotiv, sondern
auch Strukturprinzip der jüdischen Frauendichtung der Buko¬
wina und manifestierte sich in der Aufgeschlossenheit jüdi¬
scher Autorinnen für fremdsprachiges Kulturgut, ihrer Ten¬
denz Fremdes mit Eigenem zusammenzufügen, ihrem Reich¬
tum an Übersetzungen aus einer Sprache in die andere, der
Mehrsprachigkeit ihrer Einsprachigkeit. In ihrem Lyrik- und
Prosawerk hatten die meisten jüdischen Autorinnen wie ihre
männlichen Zeitgenossen ihre deutsche Muttersprache durch
fremdsprachige Ausdrücke sowie Anspielungen auf andere Li¬
teraturen, wie der rumänischen, ukrainischen, russischen,
deutschen, polnischen, jiddischen, aber auch französischen,
englischen, amerikanischen bereichert und sie zur Allegorie
ihres multikulturellen Kontextes gestaltet. Diese Autorinnen
waren eine Art Chamisso- oder Canetti-Generation. Sie waren
polyglott, wie die heute in der Bundesrepublik lebenden türki¬
schen, italienischen, japanischen, arabischen, russischen Au¬
toren. Ariadne Löwendals Muttersprache war Russisch, sie
schrieb indes alle ihre Gedichte auf Deutsch. Rose Ausländer
hatte nicht nur deutsche, sondern auch einige englische Ge¬
dichte verfaßt. Clara Blum ist vermutlich die einzige jüdische
Lyrikerin, die auf Deutsch, Chinesisch und Russisch geschrie¬
ben hat; sie sprach indes auch Rumänisch und Jiddisch.
Es ist gerade das Werk Clara Blums, das auf eindrucksvoll¬
ste Weise, Sozialkritik, Frauenproblematik und Multikultura¬
lität verbindet. In ihren Gedichten webte sie Grundmotive der
chinesischen Literatur und Philosophie ein, verknüpfte diese
mit russischen, deutschen und jüdischen Motiven. Manche ih¬
rer Gedichte wie „Das nationale Lied‘ ziehen Vergleiche zwi¬
schen Juden und Chinesen, weisen aber auch auf die Unter¬
schiede zwischen den Völkern hin. Das Gedicht „Mutter
Dshao“ übt scharfe Kritik an der japanischen Besetzung Chi¬
nas, während das Gedicht „Pflaumenblüte“” die deutsche
Liedform mit dem Chinesischen Shih, europäische und chine¬
sische literarische Motive verknüpft, um Grundgedanken aus
Laotses Taoteking wiederzugeben. Es ist ein Gedanke, den
Bertold Brecht ebenfalls um die gleiche Zeit in der „Legende
von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des
Laotse in die Emigration“ aufgegriffen hatte: „Daß das weiche
Wasser in Bewegung/ mit der Zeit den mächtigen Stein be¬
siegt./ Du verstehst, das harte unterliegt.“ Dieses Existenzprin¬
zip wird in Clara Blums Dichtung indes nicht allein auf das
chinesische, sondern auch auf das jüdische Volk bezogen, das
die Nazibarbarei überstehen werde. Im Roman Der Hirte und
die Weberin® wird die Exilerfahrung einer deutsch-jiidischen
Kommunistin aus der Bukowina geschildert, die vor dem auf¬
flammenden Faschismus in Stalins Sowjetunion flüchtet. Aus
der Sicht der staatenlosen Jüdin und Frau, die zugleich eine
überzeugte Kommunistin ist, schildert Klara Blum das Leben
im stalinistischen „Paradies“, in dem sich die Protagonistin ih¬
res Romans natürlich nicht als Kommunistin, aber als Frau
Vorurteilen ausgesetzt sieht. Zugleich wird sie mit der Schwie¬
rigkeit konfrontiert, ihr politisches Engagement mit ihrer Lie¬
be zu einem chinesischen Maoisten in Einklang zu bringen.
Das politische Engagement fordert seine Opfer: Eine geheime
Mission zwingt den Maoisten, nach China zu fahren, um Mao
in seinem Kampf gegen die Kuomintang zur Seite zu stehen.
Der Versuch der Protagonistin, ebenfalls nach China auszu¬
wandern, ist zunächst zum Scheitern verurteilt. Ein wesentli¬
cher Teil des Romans schildert die Jahre des Wartens und die
unermüdlichen Versuche der Protagonistin, eine chinesische
Botschaft zu finden, die ihr eine Auswanderung nach China er¬
möglichen soll. Auf der Suche nach einer solchen Botschaft
zieht sie nach dem Krieg als displaced person von Land zu
Land. Die Kritik an der von Geld besessenen Gesellschaft ist
ein Leitmotiv dieser Schilderung. Erst in China gelingt es der
Protagonistin sich selbst zu verwirklichen, jenen Kreis von
Menschen zu finden, den sie jahrzehntelang gesucht hatte.
Aber das Ende des Romans meldet Zweifel am eigenen ideolo¬
gischen Bekenntnis. Denn als sie endlich den gesuchten Ge¬
liebten wiederfindet, muß dieser noch einmal in geheimer Mis¬
sion fort. Wohl vergleicht der Roman die Liebe dieser beiden
Gestalten einer chinesischen Legende entsprechend mit der
schicksalhaften Beziehung zweier Gestirne, die sich nur ein¬
mal nach jahrzehntelangem Warten treffen, aber Clara Blum
meldet leise Zweifel an, ob solche menschliche Opfer das Ziel
rechtfertigen.
Der Roman trägt autobiographische Züge, gestaltet ihren ei¬
genen ungewöhnlichen Lebensweg in plastischen Bildern und
ist zugleich Dokument ihrer schicksalhaften Liebe, ihres uner¬
schütterlichen Glaubens an einen Menschen und an eine politi¬
sche Idee. Clara Blums Leben war eine Odyssee. Sie ent¬
stammte einer wohlhabenden Czernowitzer Familie, hatte sich
jedoch von ihrem Vater, einem jüdischen Bankier und Gutsbe¬
sitzer, losgesagt, da er sie mit einem ihr unerwünschten Mann
verheiraten wollte. Bereits 1915 war sie mit ihrer Mutter nach
Wien gezogen, hatte dort das Abitur gemacht und Individual¬
psychologie bei Alfred Adler studiert (1924-38). Gemeinsam
mit Manes Sperber gab sie die Individualpsychologischen
Hefte heraus. Da sie eine überzeugte Sozialdemokratin war,
trat sie in die SPÖ ein und wirkte als Journalistin für die sozial¬
demokratische Zeitung in Wien, zeitweilig auch in Berlin. In
den folgenden Jahren — nach ihrem Besuch in Israel 1928/29 —
schloß sie sich der kommunistischen Partei an. 1934 gewann
sie den Preis des sowjetischen Schriftstellerverbandes für das
beste antifaschistische Gedicht — eine Auszeichnung, die mit
einer Einladung in die Sowjetunion verbunden war. Zwei Wo¬