gelebt als die Verbrecher, aber trotzdem... nach soviel Jahren
in einer abgeschlossen Welt ohne Fortschritt wollte ich
nicht sofort nach Wien. Meine Frau lebte damals ja schon in
Wien.
Was mit meiner Frau und meinem Kind geschah
Meine Frau wurde von mir getrennt, als ich 1941 zum Militär
eingezogen worden war. Sie ist nach Transnistrien ins Lager
gekommen mit unserer Tochter. Das Kind wurde ermordet.
Meine Frau konnte nach Bukarest flüchten. Sie hatte einen
Bruder in Wien, und der hat sie dann 1945 nach Wien geholt.
Ich hatte während meiner Zeit in Sibirien keine Ahnung, wo
meine Frau war. Ich hatte sie jain Czernowitz zurückgelassen.
Als ich meine Frau zum ersten Mal wiedersah
Im Jahre 1961 fand in Moskau ein Fußballmatch zwischen
Österreich und Rußland statt und meiner Frau war es gelungen,
ein Einreisevisum nach Moskau zu bekommen. Ich bin auch
nach Moskau gefahren. So haben wir uns nach so langer Zeit
wieder zum ersten Mal gesehen. Diese Sache war in allen Zei¬
tungen. Ich war zu dieser Zeit allerdings in Czernowitz und
mußte daher von Czernowitz nach Moskau fahren. Ich bin so¬
fort losgefahren, als ich ihr Telegramm erhalten hatte, daß sie
nach Moskau kommt. Ich habe sie auf dem Flugplatz erwartet.
Wir hatten vereinbart, ich solle auf den Flughafen kommen,
und sie wird mir im Vorbeigehen den Namen des Hotels nen¬
nen. Offiziell durfte sie sich ja mit keinem Russen unterhalten.
Sie hat ein Zimmer mit einer alten Gräfin geteilt. Ein enges
Zimmer mit nur zwei Betten. Ich habe dann auch dort über¬
nachtet und wir haben besprochen, daß ich um die Ausreise an¬
suchen werde. Ich war ja Russe. Und ich mußte in Österreich
eine Arbeit haben. Meine Frau kannte eine Familie, die Fami¬
lie Schapiro. Sie hatten ein großes Elektrogeschäft an der
Westbahn. Und er hatte sich verpflichtet, mich aufzunehmen.
Aber was passierte? Sie machten einen Ausflug an einem
Sonntag auf den Semmering, hatten einen Autounfall und bei¬
de waren tot.
Ich war der letzte Heimkehrer
Also, ich komme nach Wien, die Schapiros waren tot, mein
Schwager Moritz Fels-Margulies war auch schon gestorben.
Ich war der letzte Heimkehrer am 4. Oktober 1964. Fernsehen,
Zeitungen, alles war dabei. Es hatte drei Jahre gedauert, bis sie
mich aus Rußland rausgelassen hatten. Drei Jahre mußte ich
um die Heimreise kämpfen, da ich im Goldbergwerk gearbei¬
tet hatte und somit Geheimnisträger war.Im Goldbergwerk
hatten wir noch kaum einen maschinellen Abbau. Das meiste
mußte manuell gemacht werden.
Vier Tage vor der Erteilung der Bewilligung hatte ich noch
einen negativen Bescheid bekommen. Plötzlich kam aber der
Auftrag aus Moskau: Innerhalb von zwei Wochen muß ich aus
dem Land sein.
Stellen Sie sich vor: Es war Oktober, Schnee bis zum Bauch
und die Flugzeuge fliegen nicht. Viele Leute wollten nach
Moskau fliegen. Mir lief die Zeit davon, ich mußte auch noch
meinen russischen Paß gegen einen Ausländerpaß tauschen.
Was war der Grund meiner Verurteilung?
Ich muß vielleicht noch erklären, was zu meiner Verurteilung
geführt hat. Ich hatte ja im Ural einen wichtigen Posten.
Es gab in Swerdlowsk einen Sicherheitsbeamten, der darauf
angesetzt war, Verräter und Spione zu finden. Vor mir hatten
sie schon drei Leute aus Estland eingesperrt.
Nun hatte ich dort zwei Freunde, zwei jiidische Freunde.
Der eine, Kukelko, war aus Warschau, und Nadler war Russe
aus Litauen. Mit denen habe ich mich unterhalten über Krieg,
das Leben hier, die Lage im Krieg, daß die Russen sich zurück¬
ziehen müssen und die Deutschen vorwärts marschieren usw.,
eben über Politik. Es war dort auch noch eine deutsche Ärztin.
Ich habe eben ein großes Maul und habe die ganze Wirtschaft
dort kritisiert.
Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen, weswegen man mich
auch verhaftet hat: Ich habe auf einem Platz gearbeitet, wo un¬
gefährt 6.000 Arbeiter Erdarbeiten und Bauarbeiten durch¬
führten. Man bereitete dort die Übersiedlung vom Westen
Rußlands in den Ural vor. Man hatte ja befürchtet, daß die
Deutschen die Front durchbrechen würden. Und der Sicher¬
heitsbeamte, mit dem ich per Du war, hat mich so verschiedene
Dinge ausgefragt. Wie ich denn die Lage sehe und die Wirt¬
schaft finde, usw. Und eines nachts kamen sie mit vorgehalte¬
ner Pistole und haben mich verhaftet. Was ich gesagt habe und
was der Sicherheitsbeamte dann verraten hat, war ziemlich
verschieden, aber ich wurde verurteilt.
Mein Leben als Verurteilter
Ich wurde durch verschiedene Lager geschleust. Im vierten
Lager bin ich dann erkrankt und fast gestorben. Ich hatte Lun¬
genentzündung und hohes Fieber. Das war in Nishni-Tigil.
Dort waren zehn Lager. Aber die Ärztin sagte, sie dürfe nur so
und soviel Leute behandeln. Sie werde aber dem Brigadier sa¬
gen, er solle mich nicht zur Arbeit schicken. Man hat mich
dann gleich in ein Lazarett gebracht.
Jetzt war es so, daß gepreßte Sonnenblumenringe aus einer
Ölfabrik in dieses Lager als Nahrung gebracht wurden. Da war
noch sehr viel Öl drinnen. Die Lagerinsassen haben das geges¬
sen und haben Durchfall bekommen. Man hatte diese Ringe
einfach im Wasser gekocht als Kascha, und hat sie den Leuten
zu essen gegeben. Keiner war natürlich gewohnt, fett zu essen.
Das Fett war sicher auch ranzig. Es war ein ansteckender
Durchfall, den alle bekommen hatten, und die Lageraufsicht
hatte angenommen, ich hätte auch diesen Durchfall. Aber ich
hatte diese Kascha ja nicht gegessen, da ich schon krank war
und überhaupt nichts essen konnte. Aber man hatte mich auch
in diese Baracke, in der die Kranken untergebracht waren, ge¬
steckt. Nachdem ich aber rascher gesund war als die Durchfall¬
kranken, hat der Arzt gesagt, ich solle ihm helfen. Ich mußte
das Essen austragen, und da habe ich dann das Unterste aus
dem Kessel gefressen, was am Schluß übrig war. Und das war
das Dickste der dünnen Suppe. Ich war ja so ausgehungert.
Und so konnte ich mich doch erholen.
Danach hat man uns in ein Erholungslager gebracht. Im Er¬
holungslager hat man die Leute nicht zur Arbeit geschickt, nur
wenn man selbst wollte.
Wir haben ein Haus gebaut, wir haben Theater gespielt. Es
waren ein Regisseur und Schauspieler da. Ich habe damals
Geige gespielt. Man hat mir auch eine Geige gebracht. Wir
hatten ein richtiges Orchester eingerichtet mit den verschie¬