Humorlose Komödien?
Rechtsextremismus in
Berlin
Wenn sich zwei junge Deutsche, B. Holthu¬
sen und M. Jänecke, wissenschaftlich mit
dem Thema des Rechtsextremismus in ihrer
Hauptstadt befassen, darf man mit Tabellen
und Schautafeln rechnen (insgesamt 24). Das
beruhigt den Auftraggeber, das Sozialwis¬
senschaftliche Forschungsinstitut der FÜ
Berlin. Was darüberhinaus in Prosa an Fak¬
ten zusammengetragen wurde, hat sich gewa¬
schen.
Sie fangen mit der Feststellung an, daß mit
dem Zusammenbruch der DDR auch in
Ost-Berlin ein breites rechtsextremes Poten¬
tial sichtbar wurde, „mit dem zuvor kaum je¬
mand gerechnet hatte“. Es geht nicht um
Grabstein-Umwerfer und Mauer-Verschmie¬
rer. Es handelt sich um Individuen mit schar¬
fen Waffen im Kofferraum und Internet¬
Seiten, bislang als „Rowdies“ verharmlost.
In den Altersstufen von 17 bis zum grei¬
sen Hitlerjugend-Führer. Von wegen biolo¬
gisch überlebt. Europas „Neue Rechte“ ist
mit der FPÖ-ÖVP-Koalition in Wien im Hö¬
henflug.
Als autoritär, nationalistisch, ausländerfeind¬
lich, antisemitisch und pronazistisch lassen
sie sich alle einstufen (noch nicht als gang¬
sterfähig). Die Autoren bringen Beispiel über
Beispiel, wie Psychologen und Politiker sich
dies zu erklären versuchen. Sie registrieren,
daß das 1956 gegen die KPD ausgesprochene
Verbot immer noch in Kraft ist, derweil radi¬
kale Rechts-Organisationen als „dem Be¬
stand der Verfassung ungefährlich“ ständig
operative Neugründungen betreiben. „Um
auch nur halbwegs erträgliche Zustände in
der (deutschen) Bundesrepublik aufrechtzu¬
erhalten, ist eine erfolgreiche Arbeit gegen
Rechts notwendig“, lautet der Schlußsatz ih¬
res Buches. Es enthält konkrete Warnungen,
zeichnet Fehlverhalten auf, ist all denen nütz¬
lich, die sich bereits vor Jahren übers Zusam¬
menglucken des ehemaligen CSU-Vor¬
sitzenden mit dem Republikanerführer em¬
pörten, der Vorläuferschaft zur Haider/
Schüssel-Entente in Österreich. Und die
nicht die Kurzsichtigkeit jener Konservati¬
ven verstehen, die nicht wahrhaben wollen,
daß sie allein nicht den Zirkelschluß der „de¬
mokratischen Rechten“ mit den Skinheads
als deren Exekutive verhindern können, mit
der Macht in die Tagesrealität geprügelt wer¬
den soll. Wiederholt sich die Geschichte tat¬
sächlich immer nur als Komödie? Zeigte sie
doch nur ihre lachhafte Seite bald.
Arno Reinfrank
Bernd Holthusen, Michael Jänecke: Rechts¬
extremismus in Berlin. Aktuelle Erschei¬
nungsformen, Ursachen, Gegenmaßnahmen.
Marburg: Schüren Verlag 2000. 326 S.
DM 36,¬
Der Preis
Zur Erinnerung an den ehemaligen Kom¬
mandanten der Kantonspolizei St. Gallen und
Flüchtlingsretter Paul Grüninger (1891¬
1972) verleiht die Paul Grüninger Stiftung,
St. Gallen, einen Preis für besondere
Menschlichkeit und besonderen Mut in der
Höhe von 50.000 Schweizer Franken.
Wer war Paul Grüninger?
Der St. Galler Polizeikommandant Haupt¬
mann Paul Grüninger rettete in den Jahren
1938/39 mehrere hundert jüdische und ande¬
re Flüchtlinge vor der nationalsozialistischen
Verfolgung und Vernichtung. Trotz schwei¬
zerischer Grenzsperre nahm er sie in St. Gal¬
len auf, missachtete die Weisungen des Bun¬
des und übertrat auch Gesetze, um die
Flüchtlinge zu schützen.
1939 wurde Paul Grüninger von der St. Gal¬
ler Regierung fristlos entlassen. 1940 wurde
er vom Bezirksgericht St. Gallen wegen
Amtspflichtverletzung und Urkundenfal¬
schung verurteilt. Er wurde verfemt und spä¬
ter vergessen. Bis zu seinem Tod lebte er in
Armut.
1993 ist Paul Grüninger durch die St. Galler
Regierung politisch rehabilitiert worden.
1994 hat der Schweizer Bundesrat eine Eh¬
renerklärung für Paul Grüninger veröffent¬
licht.
1995 hat das Bezirksgericht St. Gallen
Hauptmann Paul Grüninger mit der Wieder¬
aufnahme seines Prozesses und mit einem
Freispruch juristisch rehabilitiert.
1998 stimmte der Grosse Rat des Kantons St.
Gallen einer materiellen Wiedergutmachung
zu und entschädigte die Nachkommen Paul
Grüningers für die durch die fristlose Entlas¬
sung entstandenen Lohn- und Pensionsein¬
bussen des Hauptmanns. Der ganze Betrag
wurde von den Nachkommen des Haupt¬
manns in die Paul Grüninger Stiftung einge¬
bracht. Aus dieser Zahlung wird auch der
Paul Grüninger Preis gespeist.
Die Kriterien des Preises
Der Paul Grüninger Preis kann an Personen
und Organisationen verliehen werden, die
sich durch besondere Menschlichkeit, beson¬
deren Mut und besondere Unvoreingenom¬
menheit auszeichnen.
Menschlichkeit heisst sowohl Einsatz für
Menschenrechte im Allgemeinen als auch
Einsatz für bedrohte oder verfolgte Men¬
schen im Einzelnen.
Mut heisst sowohl Zivilcourage in der Öf¬
fentlichkeit als auch uneigennützige Hilfelei¬
stung im Geheimen.
Unvoreingenommenheit heisst sowohl gei¬
stige Unabhängigkeit von staatlichen, reli¬
giösen, ökonomischen und politischen
Mächten als auch praktizierte Unabhängig¬
keit von Vorurteilen im Alltag.
Der Paul Grüninger Preis soll an Personen
oder Organisationen verliehen werden, die
einen bedeutenden und für sich selber viel¬
leicht riskanten Beitrag geleistet haben oder
leisten, dass Menschen in der Welt frei und in
Würde leben können.
Nicht zu den Paul Grüninger Preisträgern ge¬
hören Personen und Organisationen, die le¬
diglich die ihnen von der Gesellschaft oder
vom Staat zugewiesenen Aufgaben erfüllen,
es sei denn, sie müssten diese gesellschaftli¬
chen oder staatlichen Aufgaben gegen den
Widerstand der Gesellschaft oder des Staates
erfüllen.
Die Verleihung des Paul Grüninger Preises
soll stets eine praktische Intervention und ein
deutliches Signal sein. Der Paul Grüninger
Preis soll die Empfängerinnen und Empfän¬
ger über die materielle Zuwendung hinaus in
ihrem Engagement unterstützen, und falls sie
durch dieses Engagement gelitten haben, soll
der Paul Grüninger Preis auch einen Beitrag
leisten zur öffentlichen Rehabilitation der
Preisträgerinnen und Preisträger.
Die Jury
Der Paul Grüninger Preis wird vom Stif¬
tungsrat der Paul Grüninger Stiftung auf Vor¬
schlag einer vom Stiftungsrat ernannten
Preiskommission oder in direkter Wahl ver¬
liehen. Dem Stiftungsrat gehören derzeit an:
Ruth Roduner-Grüninger, Tochter von Paul
Grüninger, Stifterin und Präsidentin des Stif¬
tungsrates, Heerbrugg
Dieter Roduner, Sekundarlehrer, Enkel von
Paul Grüninger und Stifter, Wagen bei Jona
Dr. Stefan Keller, Journalist und Vizepräsi¬
dent der Paul Grüninger Stiftung, Zürich
Lothar Baier, Schriftsteller, Frankfurt/M.
Erich Billig, von Paul Grüninger geretteter
ehemaliger Flüchtling, Corseaux
Prof. Dr. Jean Jacques Dreifuss, Professor
der Medizin, Tartegnin
Madeleine Dreyfus, Psychoanalytikerin, Zii¬
rich
Erich Hackl, Schriftsteller, Wien
Otmar Hersche, Journalist, Bern
Dr. Jacques Picard, Historiker, Mitglied der
Unabhängigen Expertenkommission Schweiz
— Zweiter Weltkrieg, Bern und Zürich
Paul Rechsteiner, Rechtsanwalt, Präsident
des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes,
St. Gallen
Dr. Ernst Ziegler, Historiker, Stadtarchivar,
St. Gallen
Begründete und dokumentierte Vorschläge
für die Preisvergabe des Jahres 2001 sind so
bald als möglich, spätestens jedoch bis zum
31. August 2000 an das Sekretariat der Paul
Grüninger Stiftung in St. Gallen zu richten.
Paul Grüninger Stiftung — Paul Rechsteiner
Oberer Graben 44, CH-9000 St. Gallen
paul.grueninger.stiftung@bluemail.ch
Vorschlagsberechtigt sind Einzelpersonen
und Organisationen.