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Geist der Gesetze“ wird beschrieben, wie die
Juden sukzessive aus dem deutschen öffentli¬
chen Leben ausgeschlossen wurden. Über
den Begriff der „Rassenschande“ wurde der
Antisemitismus sexuell pervers aufgeladen
und 1935 kam es zu einer ersten Welle von
Gewalttätigkeiten gegenüber Juden. Die so¬
genannnten „Nürnberger Gesetze“ vom Sep¬
tember 1935 und nachfolgende Gesetze leg¬
ten ein rassistisches Raster über das Staats¬
volk und die Menschen mußten sich den anti¬
jüdischen Kriterien beugen: die staatsbürger¬
lichen Rechte der Juden wurden einge¬
schränkt, der Kontakt zwischen Juden und
„Ariern‘“ wurde verboten, was auf sexueller
Ebene zur massiven Projektion von patriar¬
chalen „Männerphantasien“ genutzt wurde,
und was die, die Gesellschaft zersetzende,
Denunziation enorm anfeuerte. „Die Juden
reagierten auf die zunehmende Verfolgung
und Absonderung, indem sie alle möglichen
Formen innerjüdischen Lebens intensivier¬
ten.“ (S. 183) Die Assimilation war nun ge¬
scheitert, die zionistische Option bekam Zu¬
lauf und der ultrareligiöse Teil der deutschen
Judenheit begrüßte sogar die neue eindeutige
Lage. Die Auswanderung aus Deutschland
wurde noch nicht besonders vorangetrieben.
Als Himmler 1936 zum „Reichsführer SS
und Chef der deutschen Polizei“ und die Poli¬
zei damit endgültig der Jurisdiktion entzogen
wurde, wurde für die sogenannte „Judenpoli¬
tik“ im Sicherheitsdienst eine eigene Abtei¬
lung gegründet. Im Kapitel „Kreuzzug und
Kartei“ des zweiten Teils des Buches zeigt
Friedländer, wie im SS- und Polizeiapparat
jene Stabsstelle formiert wurde, die die
Grundlagen für alle antijüdischen Maßnah¬
men der folgenden Jahre schaffte: Die Erstel¬
lung einer Judenkartei wurde begonnen und
die jüdischen Organisationen wurden obser¬
viert und analysiert. Mitarbeiter der Hauptab¬
teilung II des Sicherheitsdienstes, die sich
der „Judenpolitik“ widmeten und dann in der
Abteilung II 112 konzentriert wurden, for¬
mulierten in einer Denkschrift an ihren Vor¬
gesetzten, den Chef der Sicherheitsdienstes
Heydrich: „Das Ziel der Judenpolitik muß
die restlose Auswanderung der Juden sein.“
Schon in dieser frühen Denkschrift blitzt
recht deutlich das finite Ziel der nationalso¬
zialistischen „Judenpolitik“ auf: „Den Juden
sind die Lebensmöglichkeiten — nicht nur
wirtschaftlich genommen - einzuschränken.
(..) Abzulehnen sind die Mittel des Ra¬
dau-Antisemitismus. Gegen Ratten kämpft
man nicht mit dem Revolver, sondern mit
Gift und Gas.“ (S. 219)

Wer waren die politikbestimmenden Männer
um Heydrich? Selbst die Spitzenleute des Si¬
cherheitsdienstes waren jung, sie waren Ende
der 30er Jahre um die Dreißig und wurden in
ihrer Jugend von der Kriegsatmosphäre, den
Entbehrungen und der Niederlage geprägt.
„Sie waren erbarmungslos, praktisch und
stark durch die ideologischen Dogmen der
rechtsextremen Organisationen der frühen
zwanziger Jahre motiviert, in denen viele von
ihnen aktiv gewesen waren. Ihrer Weltan¬

schauung zugrunde lag ein intensiver Antise¬
mitismus (von der rationalen, nicht von der
emotionalen Art — aus ihrer Sicht).“ (S. 217)
Im folgenden Kapitel „Paris, Warschau, Ber¬
lin — und Wien“ versucht Friedlander die
Qualitäten der Antisemitismen in Deutsch¬
land, Polen und Frankreich auszuloten. Er
stellt klar, daß der Antisemitismus in Polen
aufgrund der Größe der dortigen Judenheit
und ihrer bedeutenden wirtschaftlichen Posi¬
tion eine zentrale Rolle einnahm. Der katho¬
lische Antisemitismus verschärfte sich in der
Mitte der 30er Jahre, es kam zu einer Welle
von Pogromen und das halbfaschistische Re¬
gime führte einen rigorosen wirtschaftlichen
Kampf gegen die Juden, „aber ohne Gewalt“,
wie der polnische Ministerpräsident dieser
Zeit betonte. Ein von Interessen geprägter
Antisemitismus durchsetzte die gesamte pol¬
nische Gesellschaft, aber die Polen entwi¬
ckelten nicht den Furor eines „Erlösungsanti¬
semitismus“.

Da Frankreich zu einem wichtigen Exilland
für Juden geworden war — die Rechte ver¬
suchte die Einwanderung komplett einzu¬
schränken - und da sich der politische Kampf
in Frankreich mit den Volksfrontregierungen
zugespitzt hatte, wurde die antisemitische
Karte verstärkt ausgespielt: Die Losung der
Rechten „Besser Hitler als Blum“ (den jüdi¬
schen und sozialistischen Premierminister
der Volksfront) sollte noch eine der harmlo¬
seren sein, aber sie zeigt einen Hintergrund
der französischen Beschwichtigungspolitik
gegenüber Nazideutschland. In Deutschland
wurde ab 1936 die Aussonderung der Juden
mit der Perspektive ihrer Auswanderung be¬
schleunigt, aber „der Antisemitismus in der
Gesamtbevölkerung (wurde) anscheinend
nicht zu einer aktiven Kraft“. (S. 257, kursiv
im Original.) Die Nazis hatten ihre „Juden¬
politik“ voller „Idealismus“ effektiv und
planmässig strukturiert, aber das Feuer des
Antisemitismus war von der Bevölkerung
noch nicht begeistert aufgenommen worden.
Die Vereinigung des nationalsozialistischen
„Erlösungsantisemitismus‘“ mit der antisemi¬
tischen Grundstimmung eines großen Bevöl¬
kerungssegments wäre in Wien nach dem
„Anschluß“ vonstatten gegangen, wird auch
in seriösen zeitgeschichtlichen Forschungen
immer wieder behauptet. Friedländers dies¬
bezügliches Kapitel ist von auffallender Zu¬
rückhaltung getragen, schon sein Titel „Ein
Modell Österreich?‘ deutet bereits die Frag¬
würdigkeit dieser Hypothese an, und er be¬
schäftigt sich in diesem Kapitel interessan¬
terweise nicht wesentlich mit Österreich,
sondern mit der gesamten Entwicklung der
„Judenfrage“ 1938: Er zeigt die Rasanz der
Arisierungen und der Auswanderung in
Österreich, geht zur Konferenz von Evian im
Juli 1938 über, beschreibt die Verschärfun¬
gen der antijüdischen Maßnahmen in
Deutschland 1938, indem er die Zwangsari¬
sierungen durch die großen deutschen Kon¬
zerne referiert und festhält, daß im Frühjahr
und Sommer 1938 im „Altreich“ eine auffäl¬
lige Häufung von antijüdischen Gewalttätig¬

keiten festzustellen ist, um mit den Proble¬
men der Vertreibung der Juden im Herbst
1938 das Kapitel zu beenden (ich erinnere
hier nur an das Schweizer „J“ und den deut¬
schen Abschub polnischer und tschechischer
Juden ins Niemandsland).

Die Arisierung wurde in der „Ostmark“ tat¬
sächlich ungeheuer schnell vollzogen, und
die behördliche Abwicklung der Auswande¬
rung wurde in der Wiener „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ - einer Gründung
Eichmanns und des Sicherheitsdienstes —
erstmals rationalisiert. Die genüßliche Er¬
niedrigung von Juden unmittelbar nach dem
„Anschluß“ und ein privater Raubzug von
österreichischen „Parteigenossen“ auf jüdi¬
sches Gut bis zur staatlichen Regulierung des
Arisierungsraubes durch das Annexionsregi¬
me sind nicht zu leugnen; daß der Antisemi¬
tismus von großen Bevölkerungsteilen vor
allem Wiens mit Lust und Gier ausgelebt
wurde, bleibt manifester Teil der österreichi¬
schen Schande.

Die Rezeption von Friedländers Werk könnte
Anlaß zur Bilanzierung der wissenschaftli¬
chen Kontroverse über den Ausbruch des
Antisemitismus in Wien sein. Der österrei¬
chische Zeithistoriker Hans Safrian bezog
quasi eine „Österreichnationalistische‘“ Posi¬
tion in der Beurteilung des „Wiener Mo¬
dells“, indem er schrieb: „Was die Berau¬
bung, Verfolgung und Vertreibung von Ju¬
den betraf, hatten also die Nationalsozialisten
in der ‚Ostmark‘ jenen des ‚Altreichs‘ einiges
voraus. Zehntausende ‚Ostmärker‘ wollten
am Aufbau der neuen, rassistischen Gesell¬
schaftsordnung partizipieren und trieben da¬
mit den Prozeß der Existenzvernichtung von
Juden in Österreich, aber auch im ‚Gesamt¬
reich‘ voran. Durch den stärkeren Druck von
unten und das ‚Vorpreschen‘ der österreichi¬
schen Pogromantisemiten sowie durch inner¬
nationalsozialistische ‚Verteilungskonflikte‘
sahen sich die NS-Verwalter und Bürokraten
in Wien dazu herausgefordert, in wichtigen
Bereichen früher als im ‚Altreich‘ pseudole¬
gale Methoden bzw. entsprechende Organi¬
sationsformen zu finden und neue Apparate
zu schaffen. Dieser Druck sollte auch in den
Jahren nach 1938 nicht nachlassen: Er bildete
eine Grundlage dafür, daß in Wien organi¬
sierte Massendeportationen früher als in an¬
deren Städten des ‚Großdeutschen Reiches‘
gestartet und bereits bis zum Herbst 1942 ab¬
geschlossen werden konnten.

Eichmanns ‚Zentralstelle’, der SD und Hey¬
drich verbuchten eine der Auswirkungen des
massenhaften Terrors gegen Juden in der
‚Ostmark‘ auf ihr ‚Erfolgskonto’, indem sie
die hohe Zahl jener Menschen, die aus nur zu
berechtigter Angst die Flucht in das Ausland
antreten wollten, als ihr Werk ausgaben, um
damit ihre Stellungen im nationalsozialisti¬
schen Machtapparat zu festigen und auszu¬
bauen. Seit Anfang 1939 hatten Heydrich
und das im Herbst des Jahres neugeschaffene
Reichssicherheitshauptamt, das den SD und
die Gestapo unter einem Dach vereinte, eine
zentrale Position bei der Gestaltung des

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