und Kadoori stehen für die Verwandlung eines ehemals ver¬
schlafenen Dorfes in den siebtgrößten Hafen der Welt.
Die zweite größere jüdische Gemeinschaft bestand aus
3.—4.000 askenasischen und russischen Juden, die nach der
Oktoberrevolution 1917 zusammen mit einigen Hunderttausend
Weißrussen vor den Bolschewiken nach Ostasien geflohen waren.
Viele von ihnen blieben in der Mandschurei, besonders in Harbin,
andere gingen nach Darien, Tientsin und Shanghai. In den
Zwanzigerjahren war Harbin praktisch eine russische Stadt mit
nahezu 10.000 Juden. Es gab eine jüdische Zeitung, ein Hospital,
eine Tagesschule und sogar ein Kaufhaus. Die japanische Be¬
setzung der Mandschurei war mit Einschränkungen des Ge¬
schäftsverkehrs verbunden, und so zogen viele Juden nach Süden,
nach Shanghai, wo sie eine weltlich orientierte Gemeinschaft mit
ausgeprägten zionistischen und nationalistischen Zügen bildeten.
Einige der russischen Juden waren vermögend, jedoch waren es
die sephardischen Juden, die in Shanghai die ökonomische und
soziale Elite bildeten. Sie standen an der Spitze der jüdischen
Gemeinde und engagierten sich sehr für die neuankommenden
Flüchtlinge.
Wie nun sah die Flüchtlingsgemeinschaft zu ihrer Glanz¬
zeit, also in den zwei Jahren vor Pearl Harbor und dem Beginn
des Pazifikkrieges, aus? Die Gemeinschaft der Flüchtlinge war
nie größer als 15.000, davon 9.000 Deutsche und noch einmal
halb so viele Österreicher. Hinzu kamen noch etwa 1.200 pol¬
nische und 250 tschechische Flüchtlinge. Es gab dreimal so
viele Männer wie Frauen. Viele Flüchtlinge waren in den mitt¬
leren Jahren, nur etwa zehn Prozent waren unter fünfzehn
Jahre alt, die meisten aber über vierzig.
Die Daten sind nicht unbedeutend für den Umgang der
Flüchtlinge mit ihrer neuen ökonomischen und kulturellen
Umgebung. Nur wenige sprachen Englisch, und so mußten die
meisten die Sprache des Handels und des Geschäfts erst lernen.
Trotz unzähliger formeller und informeller Englischkurse lernten
die meisten es nicht gut genug, um sich in einem Beruf oder ei¬
nem Geschäft etablieren zu können. Die klimatischen Bedin¬
gungen waren ein weiteres Hindernis für die Eingewöhnung. Aus
dem gemäßigten Klima Mitteleuropas kommend, waren die
Flüchtlinge auf das Shanghaier Klima mit seinen extrem heißen
und feuchten Sommern, sintflutartigen Regenfällen und kalten
Wintern denkbar schlecht vorbereitet. Den Ärzten unter ihnen
waren die in dieser Region üblichen Krankheiten fremd.
Hinzu kam die allgemeine wirtschaftliche Rezession in
Shanghai nach 1937. Als eine Folge der chinesisch-japani¬
schen Konflikte war Shanghai von seiner ökonomischen
Basis, dem Handel mit dem chinesischen Hinterland, abge¬
schnitten. Dies reduzierte die Geschäftsmöglichkeiten, die
Shanghai hart arbeitenden Unternehmern üblicherweise bot.
Waren die früheren Immigranten gerade aus ökonomischen
Gründen nach Shanghai gekommen, so kamen diese vor
Hitler geflüchteten Menschen allein aus politischer Not¬
wendigkeit.
Was aber die Eingewöhnung besonders schwierig machte,
war die Tatsache, daß bis Pearl Harbor jeder selbstverständlich
annahm, es handle sich nur um einen kurzen Aufenthalt, der
nicht länger als einige Wochen oder Monate dauern werde.
Tatsächlich gelang es einigen von ihnen recht bald, nach
Amerika oder in einen anderen sicheren Hafen weiter zu zie¬
hen, aber jene die blieben, dachten ebenso wenig wie ihre
Hilfsorganisationen daran, langfristig zu planen. Natürlich
glaubte erst recht niemand, daß die meisten mehr als ein
Jahrzehnt in Shanghai bleiben würden! Trotz der Hindernisse
Wir wollen nun einen genaueren Blick auf die sozioökonomi¬
sche Situation der Flüchtlingsgemeinschaft werfen, wie sie
sich bis Pearl Harbor darstellte. Die Mehrheit der erwachsenen
Männer kam aus Büro-Berufen, sie waren kleine Geschäfts¬
männer, ausgebildete Handwerker und hatten qualifizierte
Berufe ausgeübt.
Die Gruppe der Flüchtlinge läßt sich folgendermaßen glie¬
dern: Die ärmste Schicht bestand aus etwa 2.500 Personen, dar¬
unter vor allem Intellektuelle und jene, die kein ihrer Ausbildung
angemessenes Betätigungsfeld fanden. Sie lebten meist in einem
der insgesamt fünf Flüchtlingslager, den sogenannten Heimen.
Diese Heime waren in der Regel umgewidmete Gebäude oder
eilig hochgezogene Bauten in unterschiedlichen Stadien des
Verfalls. Die Flüchtlinge wohnten in schlafsaalähnlichen Räu¬
men getrennt nach Männern und Frauen. Nur wenige der Heime
besaßen separate Räume für Familien, die durch Vorhänge von¬
einander getrennt waren und somit nur wenig Platz für
Privatheit ließen. In den Heimen herrschte eine große Fluk¬
tuation: Viele zogen aus, um ein Geschäft zu gründen oder einen
Job anzunehmen. Scheiterten sie, so kehrten sie in der Regel
wieder in die Heime zurück. Kurz gesagt, waren die Heime eine
letzte Zuflucht, heute würde man vielleicht von einem „sozialen
Netz“ sprechen. Die zweite Schicht bestand aus etwa 5.000 bis
6.000 Juden, deren knappes Einkommen es ihnen immerhin er¬
möglichte, einen Raum oder einen Raumteil außerhalb der