wie zum Beispiel W. Michael Blumenthal, der sein Studium in
Shanghai unterbrechen mußte, es aber in den USA fortsetzen
konnte. Er spezialisierte sich und wurde unter Präsident Carter
Finanzminister der Vereinigten Staaten. Heute amtiert er als
Direktor des Jüdischen Museums Berlin.
IV. Krieg und Ghettoisierung
Bis 1941 hatte sich die Gemeinschaft der Flüchtlinge einen re¬
lativ angenehmen Standard erarbeitet, dann aber mußte sie ei¬
nige Schläge hinnehmen. Der erste war mit dem Eintritt der
USA in den Pazifikkrieg verbunden, der zu ernsten Entwick¬
lungen führte. Die Sephardim wurden als britische Staats¬
bürger und damit feindliche Ausländer alsbald von den
Japanern interniert, was bedeutete, daß sie die Hilfsorganisa¬
tionen nicht mehr unterstützen konnten.
Der zweite, ernstere Schlag war der Abbruch der japanisch-ame¬
rikanischen Beziehungen: Die bis dahin kontinuierliche finanzi¬
elle und materielle Hilfe amerikanischer Freunde und Verwandter
war damit zu Ende. Zu allem Überfluß weigerte sich der „Joint“,
Einspruch gegen den „Trading With the Enemy Act“ zu erheben,
aus Angst, in Loyalitätskonflikte zu geraten. Glücklicherweise
hatte der „Joint“ noch kurz vor Kriegsbeginn einen Kredit von
180.000 US Dollar gewährt, der nach dem Krieg zurückzuzahlen
war. Dieses Geld war ausreichend, um die Gemeinschaft ein hal¬
bes Jahr zu versorgen.
Die Lage wurde jedoch Mitte 1942 ernst, als der „Joint“
sich weigerte, diese Garantie zu erneuern oder aber zumindest
die Gespräche mit Shanghai wieder aufzunehmen. Allein das
„Jewish Labor Committe‘“ und „Vaad Hatzalah“ hielten an
ihren Verpflichtungen gegenüber den polnischen Flüchtlingen
Poster des 1.C. Fund, eines Wohltätigkeitsvereins für die Flüchtlinge
Foto: Sammlung Peter Komor
in Shanghai fest. Mit Arrest bedroht, benutzten sie illegale
Wege über neutrale Länder wie die Schweiz oder Schweden,
um Schweizer Franken nach Shanghai zu transferieren. In
ihrem eigenen Interesse taten die Japaner nichts gegen diese
Rettungsmaßnahmen.
Als seien die Flüchtlinge damit noch nicht genug gestraft,
streckte der sprichwörtliche lange Arm der Gestapo seine
Hände nach Shanghai aus: Als die japanischen Behörden am
18. Februar 1943 in den Radios und Zeitungen die Errichtung
eines Ghettos ankündigten, wurde für die Flüchtlinge ein
Alptraum wahr. Die Schlagzeile des Tages verhieß eine
„Proklamation zur Einschränkung des Aufenthaltes und der
Führung von Geschäften durch staatenlose Flüchtlinge“. Um
der anti-japanischen Propaganda im Ausland keine neue
Nahrung zu geben, vermied man die Begriffe „Juden“ und
„Ghetto“ und sprach statt dessen von „staatenlosen Flücht¬
lingen“ und „Sperrgebieten“. Die Proklamation war eine Folge
des zunehmenden Drucks der Deutschen auf die japanische
Regierung, die die antisemitische Politik der Nationalsozia¬
listen übernehmen sollte. Zuvor hatten sich die Japaner ge¬
genüber den Juden recht freundlich verhalten. Der von den
Nazis ausgeübte Druck äußerte sich auch in zahlreichen anti¬
semitischen Publikationen, die in japanischer Sprache er¬
schienen und schließlich in zwei antisemitischen Volksfesten,
organisiert von der deutschen Botschaft in Tokio.
Drei Monate später, am 18. Mai 1943, wurde das Ghetto
eingerichtet. Wieder einmal erlebten die Flüchtlinge eine
Entwurzelung, diesmal um in noch kleinere und schmuddeli¬
gere Wohnungen und Zimmer in einem baumlosen und ver¬
wahrlosten Gebiet umzuziehen, in dem bereits 100.000
Chinesen lebten. Um das Ghetto zur Arbeit oder für einen
Arztbesuch verlassen zu können, mußte man Ausweise bei
zwei sadistischen Japanern namens Ghoya und Okura abholen,
die die Leute mitunter mit Tritten und Schlägen traktierten.
Trotz dieser gelegentlichen Mißhandlungen und der allgemei¬
nen Armut war das Ghetto nicht mit jenen vergleichbar, die die
Nazis im besetzten Europa errichtet hatten.
Zwar wurden die Eingänge von einer durch die Japaner
kontrollierten jüdischen Polizei, der „Pao Chia“, bewacht, aber
das Ghetto war nie von einer Mauer umgeben, wie jene in
Europa. Es kam auch nicht zu Schießereien oder Schlägereien.
Solange man das Ghetto nicht verlassen mußte, konnte man
dort relativ ungestört leben. Bildung, Religion und Kultur wur¬
den auch im Ghetto mehr oder weniger uneingeschränkt fort¬
gesetzt. Im Dezember 1943 konnte Rabbi Kalmanowitz, einer
der Vorsitzenden von „Vaad Hatzalah“, den Bewohnern Er¬
leichterung verschaffen: Es war ihm gelungen, dem State
Department die Erlaubnis für einen legalen Geldtransfer nach
Europa und Shanghai abzuringen. Im Zuge dieses Transfers
öffneten sich auch die alten amerikanischen Austauschkanäle
und Quellen der Unterstützung wieder.
Am 17. Juli 1945 wurde das Ghetto von einem amerikanischen
Bombenangriff, der einem japanischen Rundfunksender galt,
getroffen. 31 Flüchtlinge wurden getötet und 250 verletzt, dazu
kamen Hunderte von Opfern unter den Chinesen. Alle Ärzte,
Krankenschwestern und sonstiges medizinisches Personal
bemühten sich mit größter Anstrengung, die Verletzten —
Flüchtlinge wie Chinesen — zu versorgen, Emigranten be¬