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Kaum ein Europäer kann mit chinesischen Beamten konkurrie¬
ren. Er kommt in der Früh in den Betrieb, räumt auf und beginnt
dann seine Büroarbeit. Zu Mittag wärmt er seinen mitgebrach¬
ten gekochten Reis auf und verzehrt ihn im Büro. Erübrigt er
eine halbe Stunde Zeit, dann lernt er Englisch. Dann geht das so
das ganze Jahr. Mit solchen Leuten kann ein Europäer nicht kon¬
kurrieren. Auch europäische Kaufleute, selbst wenn sie Geld ha¬
ben, vermögen sich nur mit Mühe durchzusetzen, denn die
Chinesen sind tüchtig, sparsam und haben mehr Sprachtalent
als die Europäer. Man erlebt da immer wieder seine Wunder.

Walter Frank, der in der ,,Cathay Laundry“ mit einem interna¬
tionalen Team arbeitete, lernte von seinen Arbeitskollegen nicht
nur Englisch und die chinesischen Zahlen, sondern erhielt auch
Einblick in eine für Shanghai typische Firma: zuunterst befan¬
den sich die chinesischen Arbeiter, das untere oder mittlere
Management war von ausländischen Mitarbeitern (damit waren
alle Nicht-Chinesen gemeint) besetzt, wozu Portugiesen, Spa¬
nier und Russen zählten. Die führenden Positionen wurden von
Briten oder Amerikanern eingenommen. Der Office Manager
war aufgrund seiner Kenntnisse der chinesischen Kultur und
Gesellschaft -— „he knew his way around“ — ein Chinese.” Doch
während Walter Frank seine Arbeit und den internationalen Flair
der Firma liebte, erlebte Hertha Beuthner die Arbeit in einer
Garnfabrik als absoluten Tiefpunkt ihres Lebens. Sie sortierte ein
ganzen Jahr lang auf einer langen Bank „zusammen mit schmut¬
zigen chinesischen Kindern dreckige Lumpen“, wobei sie be¬
fürchtete, mit einer „gräßlichen Krankheit“ angesteckt zu werden,
da die Chinesen „andauernd in diese Lumpen hinein spuckten“.
Als Folge der Ghettoisierung hatte sie ihren Arbeitsplatz bei ei¬
ner Zeitung verloren und mußte in einem Massenlager in einem
Heim leben.

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Einige Emigranten berichteten auch von chinesischen Ge¬
schäftspartnern oder von Chinesen, die für sie die Einkäufe be¬
sorgten. Da in vielen Zweigen den Europäern der Markt
verschlossen blieb, bediente man sich des Comprador, eines chi¬
nesischen Einkäufers, der für seine Besorgungen einen gewissen
Prozentsatz des Warenwertes erhielt.“ Irritiert zeigten sich
Emigranten jedoch darüber, daß chinesische Geschäftsbeziehun¬
gen lediglich auf das gegenseitige Vertrauen aufgebaut waren —
„a word was a word and nobody dealt in any other way“. Wie
Harry Todtenkopf ausführte, mußte man, um das Vertrauen der
chinesischen Partner zu gewinnen, von als zuverlässig geltenden
chinesischen Kaufleuten eingeführt werden. Emigranten konn¬
ten auch die von chinesischen Geschäftspartnern erhaltenen
Schecks nicht entziffern und mußten oft um deren Gültigkeit bis
zur Bestätigung durch die Bank bangen.”

„Man hat nicht so das Fremde gesucht.
Im Gegenteil!“

Vom eigenen Lebenskampf überfordert, wurden die deutschen
und österreichischen Flüchtlinge in eine ihnen sehr fremde Kultur
hineingestoßen. Shanghai war für die meisten nur eine Zwi¬
schenstation, was zudem ihre Bereitschaft für die Annäherung an
die chinesische Kultur verringerte. Nach ihrer brutalen Ver¬
treibung aus Europa diente der Rückzug ins „Little Vienna“ oder
„Little Berlin“ und das Festhalten an der deutschen bzw. öster¬
reichischen Sprache und Kultur auch zur Aufrechterhaltung ihres
massiv ins Wanken geratenen Selbstwertgefühls. Harry Todten¬
kopf bekannte ganz offen, daß „when someone would mention
that the culture of China was thousands of years old, there was in¬
evitably someone else who — having the rather primitive hygie¬
nic conditions in mind — would remark that it hadn’t developed
in all those thousands years“.*' Nur wenige hatten engere Kontakt
zu Chinesen, viele bedauerten, daB sie sich selbst nach Jahren des
Zusammenlebens mit der chinesischen Mentalität nicht zurecht¬
finden konnten und man sich fremd blieb.”

Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß sich einzelne
Emigranten gegenüber der chinesischen Kultur äußerst aufge¬
schlossen zeigten und nicht alle China freiwillig wieder verlassen
haben. Adolf Josef Storfer, ein an seiner neuen Umwelt äußerst
interessierter Mensch, gab seine fundierten Asienkenntnisse in
der Gelben Post an die Emigranten weiter, um ihnen das Tor zu
China zu öffnen. Auch Horst Eisfelder versucht in das „wahre
China“, an Orte, die kaum von Europäern besucht wurden, vor¬
zudringen. Seine Familie, die in Shanghai erfolgreich ein Cafe
betrieb, wäre, wenn es die politischen Verhältnisse erlaubt hätten,
auch nach dem Krieg in Shanghai geblieben.“ Der Wiener Ernst
Schwarz lernte autodidaktisch Mandarin, das zu seiner zweiten
Muttersprache wurde. Er entschied sich nach dem Krieg für den
Verbleib in China, leitete zuerst eine Bibliothek und unterrichte¬
te einige Jahre an der Hang-Dschou-Universität Englisch. Ende
der 50er Jahre wurde er für seine „bourgeoisen Ideen“ verfolgt;
1960 gelang ihm im letzten Moment die Ausreise in die DDR.
Schwarz gilt als einer der bedeutendsten Übersetzer chinesischer
Philosophen und Lyriker.“

Nicht alle Emigranten betrachteten die schweren Jahre des
Exils in Shanghai als verlorene Zeit. Vor allem Emigranten, die
ihre Jugendjahre in Shanghai verbrachten, können ihren
Exilerfahrungen auch etwas Positives abgewinnen; wie man¬
che glauben, habe die Stadt ihren Horizont erweitert, und auf
den Straßen der Stadt hätten sie mitunter mehr gelernt als an ei¬
ner europäischen Universität.