ist!) ganze ,Heurigenliteratur’, (...) das alles erklang Woche fiir
Woche in irgendeinem Kaffeehaus, irgendeinem Saal oder von
einer Kinobiihne herunter. Eine Weile war das ja fiir uns
Deutsche (oder, wie unsere lieben Austrianer uns nannten, die
‚Pifkes’) ganz nett, aber mit der Zeit erfaßte uns ein panischer
Schrecken, wenn wir nur von weitem schon einer dieser
Edelschnulzen begegneten.“
Praktische Schwierigkeiten eines Theaterbetriebs
Eines der schwierigsten Probleme für die Einrichtung eines
Theaters war eine geeignete Spielstätte. In Shanghai gab es
keine Theatergebäude im europäischen Sinne. Am ehesten
nutzbar waren die Säle in einigen als Flüchtlingsheim ver¬
wendeten ehemaligen Schulen, die teilweise über kleine Büh¬
nen verfügten. An den Zuschauerraum eines Theaters mochte
der Saal des Eastern-Theaters erinnern, eines Kinos mit 900
Sitzplätzen. Hier jedoch war der zur Verfügung stehende
Bühnenraum nur anderthalb Meter tief. Gleichwohl bemüh¬
ten sich die Emigranten um Nutzung dieses Hauses, was erst
durch die finanzielle Unterstützung von Shanghaier jüdischen
Kaufleuten ab November 1939 zumindest zeitweise möglich
war.
Das Fehlen eines Fundus von Kostümen und Requisiten war
zwar problematisch, konnte jedoch noch am leichtesten durch
Improvisation ausgeglichen werden, obgleich auch hierfür kein
Etat vorhanden war. Dagegen brachte ein Mangel in den ersten
Monaten kaum lösbare Schwierigkeiten: es fehlte an geeigne¬
ter Theaterliteratur. In Shanghai gab es keinen europäischen
Buchmarkt, und wegen des späten Zeitpunkts der Emigration
dürfte kaum einer der Exilanten seine Bibliothek nach
Shanghai gerettet haben. Die geringe Auswahl der zur
Verfügung stehenden Stücke hatte zur Folge, daß eine Freiheit
des Spielplans keineswegs gegeben war. Das relativ geschlos¬
sene Kommunikationssystem des Shanghaier Exils erzwang
außerdem eine Berücksichtigung der Publikumsinteressen bei
der Spielplangestaltung, die über das übliche Maß hinausgin¬
gen. Nicht zuletzt diese „Zwangssymbiose“ führte zu einer
Reduzierung des literarischen und politischen Anspruchs des
Programms.
Ließen sich die praktischen Probleme zumindest teilwei¬
se bewältigen, führte die als „völliges Abgeschnittensein von
der übrigen Welt“ empfundene Isolation der Emigranten zu
unlösbaren strukturellen Problemen: der Kreis des Publi¬
kums wie der Darsteller war zahlenmäßig eingeschränkt und
weitestgehend festgelegt. Dies führte zum einen zu Be¬
setzungsproblemen, zum anderen war die Gefahr der ermü¬
denden Wiederholung gegeben, wenn über Jahre hinweg
immer nur die gleichen Gesichter auf der Bühne zu sehen
waren. Die quantitative Überschaubarkeit des Besucherkrei¬
ses wirkte sich auf die Zahl der Aufführungen einer Insze¬
nierung aus.
Die fehlende finanzielle Grundlage des Theaters — eine für
jede Bühne existentielle Frage — bedeutete auch, daß kein
hauptberuflich spielendes Ensemble engagiert werden konnte.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler mußten einem
Brotberuf nachgehen, Proben und Aufführungen mußten zu¬
sätzlich zur täglichen Arbeit geleistet werden. Die Arbeits¬
möglichkeiten und -verhältnisse entsprachen dabei oft kaum
europäischen Maßstäben.
Deutsches Generalkonsulat
B. 745. Akt.Z.: P6-2.
— 2 Durchschlage
— 3 Anlagen
Inhalt: Jiidisches Theaterspiel
Shanghai den 19. November 1940
Unter den hier zugewanderten Juden befinden sich eine Anzahl von Schriftstellern und Schauspielern, die auf den ihnen liegenden Gebieten
eine lebhafte Tätigkeit entfalteten und dem jüdischen Publikum die von diesem gewünschten Theaterstücke boten. So fiel es daher auch
nicht besonders auf, daß die Aufführung eines neuen Stückes unter dem Titel „Die Masken“ fallen in der Judenpresse angekündigt wurde.
Es stellte sich aber heraus, daß in dem erwähnten Theaterstück das Rasseproblem in einer der nationalsozialistischen Auffassung abträg¬
lichen Weise behandelt wurde, und daß darüber hinaus die Aufführung in den Räumen des britischen Presse-Attaches Alexander stattfand
und zudem in Aussicht gestellt wurde, einen Teil des Erträgnisses dem britischen Kriegsfonds zuzuführen.
Es war eine selbstverständliche Folge, gegen Verfasser und Spieler des Stückes wegen ihrer offenen Bekämpfung des Deutschtums im Bunde
mit unseren Feinden das Ausbürgerungsverfahren zu beantragen, soweit noch die deutsche Staatsangehörigkeit bestand. Dies ist durch den
Bericht vom 15.11.19404 - B. 736 — geschehen.
Darüber hinaus habe ich aber die weiteren Aufführungen mit Erfolg zu unterbinden mich bemüht. Zu diesem Zwecke bin ich zunächst an
die hiesige Stadtverwaltung herangetreten, die ihrerseits Fühlung mit dem englischen Generalkonsulat aufnahm. Wenn sich auch letzteres
gegen eine Einwirkung seitens der Stadtverwaltung hinter die diplomatische Immunität der Botschaft verschanzte, so scheint doch der bri¬
tische Generalkonsul die Mitwirkung Alexanders bei der Aufführung nicht gebilligt zu haben. Ich wies die Stadtverwaltung weiter auf ihre
Pflicht hin, für die Wahrung der Ruhe Sorge zu tragen und dieses Ziel dann mindestens durch Einwirkung auf die Judenschaft zu erreichen,
was mir versprochen wurde. Außerdem veranlaßte ich im Generalkonsulat eine Rücksprache mit einer der beim „International Committee“
hauptsächlich tätigen Personen, dem früheren ungarischen Konsularagenten Komor. Bei dieser Besprechung wurde er darauf hingewiesen,
daß das Verhalten einiger vollkommen rücksichtsloser Personen, die nichts zu verlieren hätten, die vielen unbeteiligten Juden in
Mitleidenschaft ziehen müsse.
Meine Schritte haben dementsprechend eine „Verschiebung“ des Stückes auf unbestimmte Zeit unter der Begründung der Erkrankung des
Hauptdarstellers zur Folge gehabt, ohne daß sich die Presse — abgesehen von einem Artikel in der „Shanghai Evening Post“ mit der
Angelegenheit befaßt hat.
3 Zeitungsausschnitte liegen bei. Die Botschaft in Peking hat Abschrift dieses Berichtes erhalten.
Gez. M. Fischer