Bestreben erkennbar, dem immer größer werdenden Gefühl der
Hoffnungslosigkeit und der Inferiorität unter den Emigranten
entgegenzuarbeiten. Zu diesem Zwecke erscheinen häufiger als
früher Artikel über jüdische Prominente auf dem Gebiete der
Kunst und der Wissenschaft, während man bei Nichtjuden
Beziehungen zum Judentum aufzuweisen sucht.
Nach der den Begründer der Telegraphen-Agentur „Reuter“
verherrlichenden englischen Filmaufführung wies die jüdische
Presse und nur diese auf seine halbjüdische Abkunft hin. Durch re¬
klamehafte Ankündigungen von Bildwerken minderer Art mit den
Artikeln wie „Sechs Maler stellen aus‘ sind wohl nichtjüdische
Kreise düpiert worden. Dem gleichen Zweck dienen die regel¬
mäßigen Reproduktionen unter dem Titel „Das interessante Ge¬
sicht“, in welche auch Judengesichter hineingebracht werden. Auf
„künstlerischem Gebiete“ wirkt die E.J.A.S. („European Jewish
Artist Society“) mit regelmäßigen Vorführungen in deutscher
Sprache. Selbstverständlich fehlt nicht die Konkurrenz mit einer
„Boris Sapiro-Bühne“. Daß die Juden die Unverfrorenheit be¬
saßen, auch heikle Probleme unter dem Schutz des englischen
Feindes aufführen zu wollen, ist durch besonderen Bericht be¬
treffend dem Stück „Die Masken fallen“ vom 19.11. 1940 -B.
745 — gemeldet worden.
Wenn sich die Judenpresse mit den lokalen Bedürfnissen der
Judenschaft begnügte, so wäre ihr Erscheinen nicht zu beanstan¬
den. Aber sie ist, wie im Vorbericht bereits mitgeteilt, (...) (fünf
Worte nicht lesbar) Pressemitteilungen mit entsprechender gehäs¬
siger Aufmachung gegenüber Deutschland und Italien, freilich
auch mit gelegentlich ungewollt entschlüpfenden Anerkennungen
(vgl. z.B. Artikel „Das Loch im Westen“, „Kritische Zeiten der jü¬
dischen Emigration“). Daß das Verhältnis zu den Englandern —
schon wegen des Gegensatzes zu Deutschland - inniger geworden
ist, kann nicht verwundern. Die enge Verbrüderung hat sogar dazu
geführt, daß der hiesige britische Botschafter Vertreter der
Judenpresse zu einer Cocktail-Party eingeladen und, wenigstens
nach den jüdischen Meldungen, mit herzlicher Liebenswürdigkeit
behandelt hat. Ein jüdischer Artikel lehnt zwar die im „Berliner
Lokalanzeiger“ veröffentlichte englische Auffassung ab, daß die
Engländer Nachkommen der verlorengegangenen 10 Stämme
Israels wären, aber es wird doch bei dieser Gelegenheit betont, daß
es den Juden nur recht und billig sein könnte, wenn man sie mit
„dem machtvollen Seefahrervolk, den Vertretern des demokratischen
Freiheitsideals in einen Topf würfe“. Das maßgebende Organ des
hiesigen Britentums, die „North China Daily News“, hat in ihrem
Anzeigenteil eine besondere Rubrik unter dem verschämten Titel
„Foreign Craftsmen“ eröffnet, das in erster Linie den jüdischen
Interessenten offen steht.
Die Beziehungen zu den Franzosen scheinen kühl zu sein. Dies
ist zum Teil durch die geringen Beziehungen zur Französischen
Konzession erklärlich. Diejenigen, die es möglich gemacht haben,
in der „French Town“ zu wohnen, sind zudem „gemachte‘‘ Leute,
die nicht jammern und bitten brauchen. Die antisemitisch einge¬
stellten Weißrussen sucht man mit den „gemeinsamen Interessen“
zu locken.
Gegenüber den Japanern ist die Einstellung der Juden die glei¬
che wie früher, teilweise wegen der lokalen Abhängigkeit von den
Japanern, dann auch, weil die Japaner leider noch jetzt eine mit ih¬
rer sonstigen Einstellung zu den Achsenmächten nicht vereinba¬
re Judenfreundlichkeit zur Schau tragen. Im Laufe der letzten
Monate des vergangenen Jahres hatte man aus japanischen
Kreisen wiederholt gehört, daß sich die entgegenkommende
Behandlung der Juden durch die japanischen Behörden grundle¬
gend ändern würde und zwar durch persönliche Veränderungen in
leitenden Stellungen derselben. Zur Zeit haben letztere die allge¬
meine Anweisung, der Judenfrage gegenüber eine neutrale
Haltung einzunehmen und weder pro- noch anti-jüdisch zu han¬
deln. In den mit den Juden sich befassenden Abteilungen sollen
aber Judenfreunde sitzen, deren Haltung es zuzuschreiben sei,
dass sich die Jugen mit ihrer Zeitungspropaganda so stark ant¬
ideutsch hervorwagen konnten. Bis jetzt ist ein Wandel in der
Behandlung der Juden seitens der Japaner noch nicht zu spüren.
Die jüdische Presse — auf der einen Seite den Japanern Kompli¬
mente machend — sucht auf der anderen Seite - und wenn es auch
nur durch Überschriften geschieht — Zwietracht zu säen. Der
Artikel in der ,,Shanghai Jewish Chronicle“ vom 18. Oktober „Die
Verschiebung des Kriegsschauplatzes“ ist typisch für die Art und
Weise der Beeinflussung, die auf japanische Kreise zielt.
Ein Bild im „8-Uhr Abendblatt“ zeigt eine jüdische Kompanie
in Palästina in Erwartung eines italienischen Angriffes. Dagegen
scheint die im Vorbericht gemeldete Begeisterung, für die
Engländer mitkämpfen zu dürfen, fürs erste geschwunden zu
sein, denn über die Verwirklichung der damaligen Absichten ist
seither nichts weiter bekannt geworden, sondern man begnügt
sich lediglich, in einem Artikel „Die Volksarmee in Altisrael“
Ähnlichkeiten in der Taktik des Heerführer Gideon mit der des
modernen Deutschland aufzuzeigen. Im übrigen darf ich mich
mit einer Bezugnahme auf die anliegenden Zeitungsausschnitte
begnügen, die — so uninteressant sie im einzelnen sein mögen —
einen guten Querschnitt zur Beurteilung der Einstellung der hie¬
sigen jüdischen Emigranten bieten.
(...)
Es ist naturgemäß, daß auf Grund des wirtschaftlichen Elends
und der Unterbringungsverhältnisse das Familienleben leidet,
was aus der wachsenden Zahl der Ehescheidungen ersichtlich
ist. Es handelt sich dabei nicht nur um arische Frauen, denen
erst hier in der rein jüdischen Umgebung die Augen über ihre
Verwirrungen aufgehen, und die mit allen Mitteln von den jü¬
dischen Ehepartnern fortkommen wollen, sondern auch um
rein jüdische Ehen. Die Sterblichkeit unter den jüdischen
Emigranten beträgt 5,7 %. Dieser Hundertsatz ist als recht
hoch zu bezeichnen, wenn man berücksichtigt, daß die alten
und kranken Jahrgänge in Deutschland zurückgeblieben sind.
Die Lage der jüdischen Emigranten läßt sich heute dahin zu¬
sammenfassen: Ein geringer Teil hat, von Glück und
Beziehungen begünstigt und vielleicht auf Grund der heraus¬
gebrachten Vermögenswerte, Wurzel fassen können und wird
sich vermutlich — wie es in der Elendszeit in Deutschland der
Fall war - in den Strudel des Genusses stürzen, ohne an die be¬
dürftigen Rassenangehörigen zu denken (vgl. Artikel: „An der
Schwelle des neuen Jahres‘). Wenn sich die Verhältnisse nicht
änd ern und nicht Hilfe von außerhalb kommt, dann besteht für
den Rest die Gefahr eines langsamen Zu-Grunde-Gehens.
Außer den Zeitungsausschnitten werden beigefügt in je einem
Exemplar: (...) Ein z. Zt. vergriffenes Machwerk: Schutzhaftjude
Nr. 13877 von Mark Siegelberg (ausgebiirgert), das die Konzen¬
trationslager Dachau-Buchenwald behandelt.
Die Originale der Berichte befinden sich im Politischen Archiv des
Auswärtigen Amtes in Bonn, die Druckvorlagen entstammen einer
Sammlung von Dokumenten zum Exil in Shanghai, die Simon
Wachsmuth angelegt hat. Hervorhebungen im Original.