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über hinaus Freiwilliger im Shanghai Volunteer Corps, einer britischen Hilfspolizeitruppe, und später zwangsweise Mitglied der Ghetto-Militärpolizei Pao Chia. Nach dem Ende des Pazifik-Krieges ergaben sich gutbezahlte Arbeitsmöglichkeiten bei der US-Army: Lindenstraus wurde Botenjunge, Blumenthal Lagerarbeiter in einem Luftwaffenstützpunkt und Heppner Mechaniker, LKW-Fahrer und Nachschuborganisator. Relativ kurz werden in den Jugendbiographien die Thematik der beginnenden Sexualität und Partnersuche beschrieben. Heppner heiratete im April 1945 seine aus Berlin stammende Freundin, die er vier Jahre zuvor in Shanghai kennengelernt hatte: „Der Kantor Max Warschauer und ein Chor sangen die alte Liturgie, die übrige Musik hatten wir selbst ausgesucht, und so war unsere Hochzeit wunderschön. Niemand ließ sich vom Luftalarm stören, und wir brachten die Zeremonie ohne Zwischenfälle zu Ende. Nach dem Gottesdienst wurde das Brautpaar in einer von einem Fahrrad gezogenen Rikscha zum Haus eines guten Freundes transportiert, wo es genügend Platz für die etwa achtzehn Familienmitglieder und Freunde gab, die wir dort mit Tee und Kuchen bewirteten. Für das Hochzeitsgeschenk hatten sich unsere Freunde zusammengetan und die Zutaten für zwei Kuchen gekauft. (...) Wir bekamen auch andere Geschenke. ‚Vater Schönwald’, der Trauzeuge gewesen war, schenkte uns einen amerikanischen Fünf-Dollar-Schein, was für uns ein kleines Vermögen war. Von Rabbiner Sober erhielten wir ein sehr willkommenes Geschenk, ein kleines Glas Pflaumenmus. Wir beschlossen, es für besondere Anlässe aufzubewahren. Das beste und nützlichste Geschenk aber war der Mop, den uns ein Freund aus Stoffresten und einem Bambusrohr gefertigt hatte.“ (204 f) Die vorliegenden Autobiographien sind in Anspruch und Ausrichtung sehr unterschiedlich. Die sachlichste, informativste und am besten mit Fakten’ versehene Darstellung gibt Ernest G. Heppner, dessen Buch zuerst 1993 in den Vereinigten Staaten erschien. Heppner stützt seine Ausführungen nicht nur auf seine persönlichen Erinnerungen, sondern auch auf eine Vielzahl von Quellen und Dokumentationen. Lindenstraus’ Bericht ist recht unbedarft und in einfacher Diktion gehalten, Haddas Aufzeichnung in gespreiztem Stil und mit störenden Selbstkommentaren des Autors versehen. Beide Dokumente sind nicht oder schlecht lektoriert und mit einem wenig seriösen Vorwort des Herausgebers eingeleitet. Während sich diese Darstellungen weitgehend auf die Exilzeit konzentrieren, ist Hellmut Sterns Emigrationsbericht Teil seiner Gesamtlebensbeschreibung, die bis ins Jahr 1990 reicht. Stern schildert die absurden Lebensumstände in Shanghai, wo er sich nur kurz aufhielt, Peking und der Mandschurei wie seine phänomenale Musikerkarriere — er kehrte 1961 als Erster Geiger der Berliner Philharmoniker nach Deutschland zurück - in 70 einer sympathischen Kombination von Bescheidenheit, Selbstverständlichkeit und Ironie, die mitunter an einen liebenswerten Schelmenroman erinnert. Blumenthals Buch übersteigt den Rahmen einer Autobiographie bei weiter. Der ehemalige US-Finanzminister und heutige Direktor des Jüdischen Museums Berlin unternimmt es, die Geschichte seiner Familie in den vergangenen 300 Jahren darzustellen. Dabei beschreibt er die individuelle Existenz seiner Vorfahren, aber stets unter ausgiebiger Einbeziehung des gesellschaftlichen Kontextes, so daß seine Abhandlung auch eine Geschichte des deutschjüdischen Verhältnisses in diesem Zeitraum ergibt. Der Untertitel der amerikanischen Originalausgabe heißt dann auch „German and Jews. A personal Exploration“, und Blumenthals Ausführungen sind insbesondere für ein amerikanisches Publikum geeignet, das mit der deutschen Geschichte nicht vertraut ist. Das eigene Exil in Shanghai bildet Ausgangs- und Schlußpunkt von Blumenthals Darstellung. Auch wenn er nicht viel mehr als ein dutzend Seiten darauf verwendet, gelingt ihm eine prägnante Beschreibung. Entsprechend der Anlage seines Buches ist für Blumenthal die Emigration der Epilog der deutsch-jüdischen Geschichte. In den ersten Jahren habe die Elterngeneration noch versucht, an ihr Leben in Deutschland und Österreich anzuknüpfen, aber allmählich davon Abstand genommen: „Die nostalgische Sehnsucht nach der Vergangenheit und die Weigerung, sie aufzugeben, waren zwar selbstverständlich, aber hier, mitten im Shanghai der Kriegsjahre, auch ein wenig seltsam, um nicht zu sagen absurd. Immer noch schwelgten viele in Erinnerungen und sehnten sich insgeheim nach ihrem früheren Leben in Berlin oder Wien zurück; allerdings nahm die Zahl derer, die in sich die schwache Hoffnung nährten, in dieses Leben zurückkehren zu können, wenn die Nazis erst den Krieg verloren hätten, immer mehr ab. Die Realität ließ sich langsam nicht mehr leugnen: Der Traum war vorüber, und die Geschichte des deutschen Judentums war für immer zu Ende.‘ (464 f) Auch wenn seit dem Ende des jüdischen Exils in Shanghai inzwischen mehr als fünfzig Jahre vergangen sind, ist durchaus noch mit der Publikation weiterer autobiographischer Dokumente zu rechnen - sei es die Veröffentlichung von Aufzeichnungen, die in Archiven lagern oder die Aufbereitung von Interviews, wie sie etwa Steve Hochstadt unternimmt, oder daß weitere als Kinder nach Shanghai Geflüchtete ihre Erinnerungen aufzeichnen. Sie alle tragen weitere Details und Facetten zum vielschichtiges Bild des Exils in Shanghai bei. MPH W. Michael Blumenthal: Die unsichtbare Mauer. Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. München: Hanser 1999. 520 S. Wolfgang Hadda: Knapp davongekommen. Von Breslau nach Shanghai und San Francisco. Jiidische Schicksale 1920-1947. Hg. Erhard Roy Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre 1997. 258 S., zahlr. Abb. Ernest G. Heppner: Fluchtort Shanghai. Erinnerungen 1938- 1948. Bonn: Weidle 1998. 288 S. zahlr. Abb. Jerry Lindenstraus: Eine unglaubliche Reise. Von Ostpreußen über Schanghai und Kolumbien nach New York. Jüdische Familiengeschichte 1929-1999. Hg. Erhard Roy Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre 1999. 108 S. zahlr. Abb. Hellmut Stern: Saitensprünge. Berlin: Transit 1990. 287 S. 1 In den Vereinigten Staten erschienen noch die Aufzeichnungen von Rena Krasno: Strangers Always: A Jewish Family in Wartime Shanghai, Berkely 1992; Betty Grebenschikoff: Once My Name Was Sara. A Memoir, Ventnor, NJ 1993; Evely Pike Rubin: Ghetto Shanghai, New York 1993; vgl. die Rezension von Steven Hochstadt: Memories of Shanghai. In: Jewish History, 10. Jg. Nr. 1, 1996, S. 113-117. Vor ihrer deutschen Ausgabe erschienen die Bücher von Blumenthal und Heppner in den USA. Reprint der „Gelben Post“ und Neuausgaben der Bücher Adolf Josef Storfers „Von den verschiedenen in Shanghai erscheinenden deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften dürfte die Gelbe Post zweifellos als die einzige von wissenschaftlichem und literarischem Niveau zu betrachten sein und dadurch dem Verlangen vieler Leser gerecht werden. Das Wichtigste erscheint mir für den deutschsprachigen Europäer: endlich ist die Brücke zu Chinas Land und Leuten geschlagen worden.“ Diese Leserzuschrift, veröffentlicht in der zweiten Ausgabe, belegt, daß bereits in der ersten Nummer der Gelben Post Anspruch und Intention des Herausgebers deutlich wurden. SHANGHAI, 1930 HALE HEFT 0-7 GELBE POST OSTASIATISCHE ILLUSTREERTE HÄLBMONATSSCHRIFT HERAUSGEBER: A. J. STORFER Die hier in einem Bande vereinigten Hefte 1-7 der “Gelben Post" enthalten auf 160 eng bedruckten Seiten erwa 100 Aufsätze und 150 Abbildungen über Einrichtungen. Vorgänge, Sitten, Gebräuche, einzelne Persönlichkeiten und allgemeine Typen (Sesotrméane? und. Generate; Revolutiondee'” uid” Splelee, Boys, Kulis und Beitker, Dichter und Freudenmödchen)