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Schreiben und Überleben Bosnier im Exil Der Krieg hat viele Bosnier und Bosnierinnen in die Flucht getrieben. Aber nicht nur fremde Länder wurden aufgesucht, viele junge Menschen haben sich auch schreibend auf die Reise gemacht. Auf die Reise durch die — fiir unsereins kaum vorstellbaren — seelischen Abgriinde. Manche sind durch das schreibende Durchwandern des ,,Ausnahmezustands” bis in ihre Kindheit zuriickgelangt. Durch die schreibende Auseinandersetzung mit Lebensbedrohung, Verlust, Tod und der Beraubung jeglicher Zukunftsperspektive war auch der Damm zu den kindlichen Erlebnissen und Träumen gebrochen. Ein gelungenes Beispiel dafür sind die acht Erzählungen im Buch „Die Sache mit Bruno” von Aleksandar Hemon (geb. 1964). Mit Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit, mit nie versiegender Lakonie und Poesie, mit hervorragendem erzählerischen Talent und hintergründigem Humor verknüpft er gekonnt seine persönliche Geschichte mit der allgemeinen. Vom Überleben in einer belagerten Stadt, von den Abenteuern eines jungen Bosniers, der in die USA immigriert, von einem opulenten Familienfest eines weitverzweigten Clans, von Erinnerungen an die ersten Inselurlaube, von den kindlichen Plänen, Spion zu werden, handeln die autobiografischen Erzählungen. Aleksandar Hemon ist mit zwei Koffern und 300 Dollar nach Chicago gekommen. Die Sprache, in der er anfangs noch „untergeht” und seine Sätze „mit Wörtern um sich werfen, wie die Hände eines Kindes beim Ertrinken” eignet er sich alsbald so gut an, daß er vorliegendes Buch bereits auf Amerikanisch schrieb. In der wunderbaren Geschichte mit verdoppelter Fiktion „Eine Münze” die Begegnung Kevin, einem amerikanischen Kriegsberichterstatter, einem Kameramann: „Kevin gefällt mir, weil er mir nie offen seine Zuneigung gezeigt hat. Er hat mir nichts als Geschichten erzählt. Selbst in einem Zimmer voller Leute habe ich gewußt, daß er die Geschichten mir allein erzählt. Ich mochte ihn, weil er irgendwie abwesend schien. Er sagt, es sei das ‚Kameramann-Syndrom‘, der ständige Blick zwischen ihm und der Welt. Wir sind nicht verliebt, Liebe kommt nicht in Frage. In dieser gottverlassenen Stadt ist niemand verliebt. Wir lernen nur einer vom anderen. Wir tauschen Geschichten aus und werden ganz nebenbei selbst eine Geschichte. Diese Geschichte kann aber jeden Augenblick zu Ende sein. Wenn wir Liebe machen, im Dunkeln - Strom gibt es nicht - geschieht es auf eine rauhe und grobe Art und Weise, als würden wir kämpfen, weil wir das Genießen und das Aufblitzen der Liebe unseren erschöpften Leibern abringen müssen. Über seine künftige Abreise reden wir nie. Seine Füße sind mit Hühneraugen übersät, vom Herumirren in den Bergen Afghanistans.” „Das Schreiben ist keine Frage der Wahl, es ist für mich eine Frage des Überlebens. Wenn die Post funktionierte, würde ich vielleicht Briefe schreiben. Übrigens könnte dies ein großer Brief werden, und wenn er veröffentlicht wird, dann wird es so sein, als hätte ich ihn allen meinen Freundinnen geschickt.” So das pragmatische Herangehen der jugendlichen ,,Heldin” Maja in Nenad Velickovics (geb. 1962) Buch „Logiergäste”. Maja, ihre Familie und weitere „Gäste” haben in einem Museum - quasi ihr Exil - in Sarajevo Unterschlupf gefunden. „Ich lebe im Museum wie unter einer Glasglocke. Über die Granaten schreibe ich wie über einen Theatereffekt, während sie überall ringsherum Menschen zerfetzen.” Ein unheroisches Buch; ein Buch, in dem der — ,,unspektakulare” — Kriegsalltag im Vordergrund steht. Ein Buch, in dem Maja unbekiimmert entlarvende Fragen aufwirft: „Ich habe lange über die Unterschiede zwischen Serben, Muslimen und Kroaten nachgedacht. Sie haben dieselbe Sprache, sie lebten in einem Staat, sie hatten dasselbe Geld, sie heirateten untereinander. Das einzige, was ich gefunden habe, ist die Religion. Die Serben sind orthodox, also sind die anderen unorthodox. Die Muslime sind HEFT S BALKAN Südosteuropäischer Dialog Sechs Nummern jährlich, Bezug im Abonnement: 6 Hefte, 65 740,-/ DM 106,-1€ 53,78 Abo ftir KC Mitglieder und/oder Förderer: 6 Hefte, 65 600,-/ DM 86,-/€ 43,60 Probenummer: 6S | 20,-/ DM 18-/€ 10,90 Sovbpostreuvroraıscnher DıiaLoco BULGARIEN ALBANEN Bos tischer, wirtschaftlicher diesen Raum behandeln. 81