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politisch so hellsichtig gewesen wie Käthe Vordtriede“, sagt dazu der Herausgeber der Vordtriede-Briefe, der Lörracher Publizist Manfred Bosch. Käthe Vordtriede gelang es noch im Herbst 1939, über die Schweiz nach New York zu flüchten. Dort schlug sie sich als Putz- und Kinderfrau durch, weil sie nicht von ihrem Sohn Werner, der inzwischen als Germanistikprofessor in Amt und Würden war, finanziell abhängig sein wollte. 1964, kurz bevor sie zurück nach Deutschland ziehen wollte, starb sie in New York. Es dauerte eine Woche, bis sie gefunden wurde... Die Südwestrundfunk-Sendereihe „Landesschau unterwegs“ begab sich auf Spurensuche nach Käthe Vordtriede: in Freiburg, in der Schweiz, in New York. Es war eine schwierige Spurensuche, da beide Kinder Käthes ohne Nachkommen verstorben sind. Werner Vordtriede starb 1985 in München als angesehener Germanistik-Professor, die Tochter Fränze 1997 als engagierte Tier- und Umweltschützerin in Fort Myers, Florida. Werner Vordtriede vermachte seinen Nachlaß dem Marbacher Literaturarchiv. Dort fand der Lörracher Publizist Manfred Bosch vor drei Jahren Käthes Briefe an ihren Sohn und entriß so die Geschichte dieser faszinierenden Frau der Vergessenheit. Drei Seiten im VordtriedeNachlaß stammten aus einem Lebensbericht, den Käthe für ein Preisausschreiben der Harvard-Universität 1940 verfaßt hatte. Drei Harvard-Professoren hatten damals deutsche Emigranten dazu aufgerufen, über ihr Leben in Deutschland vor und nach 1933 zu berichten. Käthes Autobiographie galt als verschollen — bis Professor Detlef Garz in Oldenburg das Buch mit Käthes Briefen las. Garz forscht seit Jahren zu dem Preisausschreiben, und fand Käthes Lebensbericht, aufbewahrt als Mikrofilm, in den privaten Unterlagen eines der drei Harvard-Professoren. So erschien ein Jahr nach den Brief auch Käthe Vordtriedes Lebensbericht von 1940 im Libelle-Verlag. Mehr als vierzig Jahre nach ihrem Tod ist es uns gelungen, in Freiburg Menschen zu finden, die sich noch an Käthe Vordtriede erinnern. 74 Lore Schindler zum Beispiel, das jüngste Kind der alteingesessenen Freiburger sozialdemokratischen Familie Baum, führte uns an Orte, die in Käthes Leben eine entscheidende Rolle spielten: die „Krone“ in Littenweiler mit ihrem wunderschönen Biergarten. Hier hatte Lore als Kind an der Stadtranderholung teilgenommen — eine Idee von Käthe Vordtriede, damit in den Sommerferien die Kinder von ärmeren Familien, wo beide Elternteile arbeiten mußten, versorgt waren. Lore Schindler war auch dabei, als die sozialdemokratische Zeitung „Volkswacht“ von den Nazis gestürmt wurde. „Wir hatten solche Angst um Frau Vordtriede. Sie hat sich so aufgeregt und wollte sich sofort beschweren. Aber es war schon zu spät...“ Lores Familie gehörte zu den wenigen im Freiburger Vorort Haslach, die auch nach 1933 Käthe Vordtriede und ihren sozialdemokratischen Ideen treu blieben und dafür ebenfalls mit Hausdurchsuchungen und Gefängnis bezahlt haben. Die meisten Haslacher Familien hängten nach 1933 jedoch nicht mehr die rote, sondern die Hakenkreuzfahne zum 1. Mai heraus, wie Käthe Vordtriede bitter notierte. So auch die Eltern von Ernst Reif, der sich an Käthe Vordtriede erinnert als eine, „die sich nichts hat sagen lassen“. Jugendliche, erinnert sich Ernst Reif als heute 80jähriger, haben damals Sozialdemokraten wie Käthe Vordtriede „provoziert“, wie er es nennt. Scheiben eingeschlagen, Angst verbreitet bei denen, die sich nicht mehr wehren konnten, ohne daß die jungen Halbstarken von irgendjemandem zur Rechenschaft gezogen wurden. „Ich war da nicht dabei“, lächelt Ernst Reif. Und fast könnte man meinen, er bedauert es: „Ich war zu jung. Die haben mich nicht mitgenommen.“ Das ist das Gespenstische, wenn man über eine Frau wie Käthe Vordtriede recherchiert: Die Trennung in Täter und Opfer besteht auch mehr als sechzig Jahre später fort, wenn man Leute nach ihren Erinnerungen fragt. Nichts verarbeitet, nichts hinzugelernt? Im Freiburger „Gutleutviertel“, Anfang des Jahrhunderts für ärmer bemittelte Familien als Genossenschaftssiedlung entstanden, ist heute noch vieles so, wie Käthe Vordtriede es damals beschrieben hat. Das Kurzwarengeschäft, das in den 1930er Jahren dem Ortsgruppenleiter gehörte, der Käthe mehr als einmal bespitzeln und verhaften ließ, führt heute dessen Enkelin. Zwei Fotos ihrer Großeltern hängen noch in dem Lädchen und die Enkelin läßt sie uns zu unserer Überraschung gerne abfilmen, auch wenn sie sich denken kann, daß ihr Opa in dem Film nicht positiv dargestellt wird. „Das war ein 150prozentiger Nazi, immer in Uniform“, erinnert sich Lore Schindler an PG Kniess. „Der Kniess, das war ein ruhiger sympathischer Mann“, so hat ihn Ernst Reif in Erinnerung. Auch nach der Lektüre ihrer beiden Bücher, sagt Ernst Reif, kann er nicht begreifen, warum Käthe Vordtriede ins Ausland emigrierte. „Schlechter als in den USA kann es ihr hier auch nicht gegangen sein.“ Und auf den Einwand hin, sie wäre vermutlich in Auschwitz gelandet: „Na na, es sind ja nicht alle in Auschwitz gelandet...“ Das Haus Fichtestraße 4, in dem Käthe 15 Jahre lang lebte, sieht mit seinen blau gestrichenen Fensterläden noch so aus wie damals. Tanja Bukowski, die heute in dem Haus lebt, hat sich intensiv mit jüdischer Geschichte auseinandergesetzt. Obwohl sie mitten im Examen steckte, war sie sofort bereit, die Wohnküche für unsere Dreharbeiten leer zu räumen. „Ich habe den Eindruck, der Geist dieser Frau lebt heute noch in dem Haus“, schrieb Tanja nach der Ausstrahlung des Films. Genauso prompt und selbstlos half uns Familie Goßweiler, heute Besitzer des Hauses in Frauenfeld, Schweiz, in dem Käthe Vordtriede 1940 ihre Lebensgeschichte für die HarvardUniversität schrieb. Herr Goßweiler kannte als Kantonsarchivar beide Bücher Käthe Vordtriedes und auch die einschlägigen Stellen in den Briefen, in denen sich Käthe über Dr. Renner, den geizigen Frauenfelder Hausbesitzer beschwerte, der den Aufenthalt der deutschen Emigrantin unterm Dach des Hauses duldete, der aber nicht willens war, für sie auch noch Heizmaterial auszugeben. „Dr. Renner war auch unter Schweizern als geizig bekannt“, kommentierte Stefan Goßweiler lakonisch. Das Sichtbarmachen von Vergangenem ist stets das Schwierigste in einem Dokumentarfilm. Mit einem Statisten in SA-Uniform stellten wir die wichtigsten Szenen von Käthes Verfolgung durch die Nazis nach: die Hausdurchsuchung, die Räumung der „Volkswacht“, die „Schutzhaft“, ihre Flucht, und verfremdeten die Bilder hinterher am Schneidetisch. Als wir an einem Sonntagmittag die nachgedruckten Exemplare der letzten Ausgabe der „Volkswacht“ aus den „Redaktionsräumen“ warfen und unten der „SA-Mann“ mit Hakenkreuzfahne stand, kam ein empörter Nachbar im Schlafanzug aus dem Haus gegenüber gestürzt: „Das habe ich lange genug mit ansehen müssen. Das ist ja furchtbar, hört auf damit!“ Käthe hatte bis 1960 öfter den O.M. GrafStammtisch in New York besucht und dabei auch den Literaten Fritz Glückselig (Friedrich Bergammer) getroffen. Doch weder Fritz’ Witwe Gabi, in deren Wohnung sich der Stammtisch heute noch jeden Mittwoch trifft, noch andere altgediente Mitglieder des Stammtisches konnten sich an Käthe erinnern. Bei der New Yorker Staatszeitung und Herold, einer deutschsprachigen Zeitung, bei der Käthe von 1947 bis 1949 als Redakteurin angestellt war, konnte sich auch der 90jährige Ex-Chefredakteur nicht mehr an sie erinnern. In Ausgaben der „Staatszeitung“ aus diesen Jahren, die in der Public Library als Mikrofilm einzusehen sind, gab es auffallend viele Meldungen aus Südbaden und Freiburg — die Seite „Vom Werden und Wirken des neuen Deutschland“ wirkte fast wie eine Lokalausgabe der Badischen Zeitung, doch Käthes Name taucht nirgends auf. Vor dem Haus, in dem Käthe die letzten zehn Jahre ihres Lebens