geschrieben aus einer Spur von Interesse für Janko und sein
Schicksal. Es wurde nur dazu benutzt, die Machtsphären zwei¬
er Staaten gegeneinander abzugrenzen und seine Zukunft soll¬
te gebogen werden nach den Wünschen von Regierungen, die
damit ihre politischen Interessen durchkämpften.“'’
Die Rezeption von Ruth Rewalds Janko in den Exilländern
ist schwer zu dokumentieren. Nach Erscheinen des Buches
setzte um die Jahreswende 1934/1935 eine breite Rezensions¬
tätigkeit ein. Als Beispiel soll an dieser Stelle lediglich die aus¬
führliche Besprechung aus der Exilzeitschrift „Das Neue Tage¬
Buch“ vom 19. Januar 1935 zitiert werden:
Im Reich bekommen die Kinder Bücher wie etwa diese: „Im
Hexenkessel der Granaten“, „Durch Front und Feuer“, „Pan¬
zer, Minen und Torpedos“, „Trommeln rufen durch Kamerun“
und „Propeller überm Feind“. Die Zehnjährigen, die früher
ihre abenteuerlichen Instinkte abreagierten, indem sie Kästner
und den „Dr. Doolittle“ lasen, werden heute angehalten, sich
an den Wunschträumen schreibender Standartenführer zu er¬
hitzen. Man verlegt glücklicherweise auch Kinderbücher jen¬
seits der deutschen Grenzen. Eines, soeben erschienen, stammt
von Ruth Rewald: „Janko, der Junge aus Mexiko“. Es ist ein
zartes, beinahe dichterisches Buch, diese Geschichte von Janko,
dem Vagabunden, der seinen Verwandten in Mexiko davonge¬
laufen ist und in eine deutsche Schule kommt, nachdem er sich
als Schuhputzer, Geschirrwdscher, Zeitungsjunge durch¬
geschlagen hat. Es ist auch etwas Romantik in diesem Buch,
Jene Romantik nämlich, die die Jugend braucht, um ihre Sehn¬
sucht nach fernen Ländern, nach Indianergeschichten,
Lagerfeuern und exotischen Urwaldnächten zu befriedigen.
Dahinter aber steht, ebenso naiv wie anschaulich erzählt, ein
Schicksal von heute. Janko ist nämlich staatenlos. Und was das
heißt, ohne Paß in der Welt herumzuirren, von einem Konsulat
zum anderen zu wandern und nirgends ‚zuständig’ zu sein, das
wird hier einer Emigrationsjugend berichtet, die an sich selbst
den Wahrheitsgehalt solcher Erzählungen nachprüfen kann.
Ebenso heimatlos wie jener Janko, wird sie aus dem Optimis¬
mus, mit dem hier einer der Ihren sich dem Lebens stellt, neu¬
en Mut und neue Zuversicht schöpfen. Das Buch ist, mit vielen,
hübschen Zeichnungen von Paul Urban, im Sebastian-Brant¬
Verlag, Straßburg, erschienen."
Während alle Versuche, das Buch mit Hilfe von Bekannten
wie Lisa Tetzner und Heinz Liepmann in der Schweiz, in den
USA und in England zu publizieren, scheitern, kann „Janko“
in Norwegen und Schweden mit großem Erfolg und zahlrei¬
chen positiven Kritiken erscheinen. Die große Zahl der im
Nachlaß befindlichen Rezensionen zeugen von der internatio¬
nalen Zustimmung und Anerkennung, die das Buch in vielen
Exilländern gefunden hat.”
Ähnlich schwierig wie bei Ruth Rewald gestaltete sich die
Schreibsituation für Anna Maria Jokl, die das Manuskript der
Perlmutterfarbe auf der Flucht nach Polen in der Tschecho¬
slowakei zurücklassen mußte. Ein tschechischer Schmuggler,
der Jokl über die polnische Grenze geführt hatte, brachte es ihr
zwei Wochen später in das Massenlager Kattowitz, wo die
Autorin auf ihr englisches Visum wartete.”
Von den Lebensbedingungen Anna Maria Jokls im Exil ist
kaum etwas bekannt. In ihrem autobiographischen Text
Essenzen berichtet sie von den Stationen ihrer Flucht, ohne al¬
lerdings näher auf die Lebens- und Schreibbedingungen ein¬
zugehen. Ihr Augenmerk liegt auf den ‚Begegnungen im
Kleinen’, die sie in blitzlichtartigen Miniaturen verdichtet.
In einem vom PEN-Klub herausgegebenen Lexikon über
deutschsprachige Autoren im Ausland,”' in dem die Autoren
gebeten wurden, selbst die Einträge über ihre Person zu ver¬
fassen, schrieb Jokl in Stichworten.
Ich schrieb die „Perlmutterfarbe“ vor mehr als fünfzig Jah¬
ren, 1937, als junge Schriftstellerin in Prag, um die Folgen zu
schildern, die überhebliches Machtstreben mit Hilfe von Lügen
und Tricks ergeben können und die nur durch ehrlichen ge¬
meinsamen Kampf überwunden werden können. 1933 war ich
aus dem nationalsozialistischen Berlin nach Prag geflüchtet
und hatte die Gefährlichkeit der Weiterentwicklung gespürt.
Das Buch — mein zweites — konnte nicht mehr erscheinen, weil
am 15. März 1939 die Nazis die Tschechoslowakei besetzten.”
Der „an jüdische wie nichtjüdische Jugendliche und Erwach¬
sene gerichtete“”, 1937 entstandene Roman weist eine politi¬
sche und sozialpsychologisch aufklärerische Intention auf. Jokl
erzählt in der Perlmutterfarbe vom Kampf zwischen zwei
Schulklassen, A und B, die in einen Konflikt geraten, als ein
Junge einem Kameraden aus der anderen Klasse das zu Weih¬
nachten erhaltene, lang ersehnte Buch mit dem bezeichnenden
Titel Wir sind alle Menschen wegnimmt und für einige Tage
‚ausleihen’ will und durch ein Mißgeschick mit Perlmutterfarbe
überschüttet. Von einem ehrgeizigen Mitwisser, dem unbelieb¬
ten Außenseiter namens Gruber, angeheizt, entsteht ein Krieg,
der über das ‚übliche’ Spannungsverhältnis zwischen Klassen
weit hinausgeht. Jokl entwirft mit großem psychologischem
Gespür ein erzählerisches Szenario, das als Parabel auf die
Geschichte Deutschlands nach der Machtergreifung Hitlers ge¬