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Aus dem Exil liegen uns nicht nur Dokumente von Er¬
wachsenen vor, die aus dem nationalsozialistischen Herr¬
schaftsbereich vertrieben wurden, sondern auch Texte —
Briefe, Erzählungen oder Gedichte — sowie Zeichnungen! von
exilierten Kindern. Ein großer Teil davon findet sich in den
Kinderbeilagen der Exilperiodika Arbeiter-Illustrierte Zeitung
(AIZ) und Volks-Illustrierte (VI). Sie sind für die Litera¬
turwissenschaft und Exilforschung darum relevant, weil in ih¬
nen zum erstenmal intentionale Kinder- und Jugendliteratur
des Exils einem größeren Publikum präsentiert wurde. Zu¬
gleich bekamen die jungen Leser die Möglichkeit, neue Kin¬
derbücher kennenzulernen und in Wettbewerben zu gewinnen.
Zusätzlich treten sie als LeserInnen und KritikerInnen von
Kinder- und Jugendbüchern in Erscheinung, schreiben über ihr
Leben und diskutieren damit ihre Situation im Exil oder im
Spanischen Bürgerkrieg. In anderen Artikeln wiederum setzen
sie sich mit dem Faschismus auseinander.

Die Arbeiter-Illustrierte Zeitung

Die AIZ erschien seit 1924 in Berlin als Organ der „Inter¬
nationalen Arbeiter-Hilfe“ (IAH) und stellte in der Weimarer
Republik eine proletarische Gegenalternative zu den sonstigen
bürgerlichen Illustrierten dar. In den zwanziger Jahren konnte
sie sich „zur führenden proletarischen Zeitung mit einer
wöchentlichen Auflage von 500.000 Exemplaren‘“ entwickeln.

Seit März 1933 wurde sie dann im tschechoslowakischen
Exil publiziert.‘ Die Aufmachung der Illustrierten wurde wei¬
testgehend beibehalten. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen
weiter auf Propagierung der Sowjetunion und Kampf gegen
den Faschismus.

Die Kinder-AIZ, die Kinderseiten der AIZ, die Alex
Wedding’ - eine bekannte Kinderbuchautorin — redigierte, fan¬
den ebenfalls ihre Fortsetzung im Exil. Die Redaktion der Kin¬
derseiten wies in ihrer ersten Nummer auf diesen Umstand hin:

Liebe A.1.Z.-Kinder!

Ihr müßt nicht böse sein, daß Ihr die A.I.Z. einige Wochen
nicht bekommen habt. Es war nicht unsere Schuld. Die Nazis
sind schuld. Sie haben uns aus Berlin vertrieben, sie haben uns
verboten, dort weiter die A.l.Z. zu machen. Sie verfolgen und
verprügeln die Kommunisten und die Sozialdemokraten und
sperren sie ein. Wenn die Nazis die Väter nicht gleich aufstö¬
bern können, nehmen sie die Kinder mit und lassen sie solan¬
ge nicht frei, bis sie ihre Väter eingefangen haben. In so einem
Land können und wollen wir nicht bleiben. Kein Mensch, der
fiir das Wohl der Arbeiter kämpft, kann jetzt dort noch in
Frieden leben.

Deshalb mußte auch die A.1.Z.-Redaktion in ein anderes
Land übersiedeln. Wir sind jetzt in der schönen Stadt Prag, wo
wir viele Freunde der A.1.Z. gefunden haben. Die helfen uns,
daß wir unsere Zeitung wieder machen können, das heißt, Eure
Zeitung.°

Die Kinderseiten der AIZ erschienen im Exil vierzehntägig.
Aufgrund der politischen Situation kam es jedoch zu Unregel¬
mäßigkeiten des Erscheinens. Die LeserInnen der Kinderbei¬

lage forderten ihr regelmäßiges Erscheinen. So beschwerte
sich z.B. eine Charlotte Dönis aus Grottau darüber. Die
Antwort der Redaktion lautete: „Wir sind selbstverständlich
mit Dir einer Meinung, daß die Kinder-AIZ, wenn schon nicht
wöchentlich, so doch regelmäßig vierzehntägig erscheinen
soll.”

Der Inhalt der Kinder-AIZ läßt sich etwa folgendermaßen
klassifizieren: Exil und seine Selbstthematisierung, Lage in
den einzelnen Exilländern; Berichte aus dem Dritten Reich;
Sach- und Lachgeschichten; Lektüre; Beiträge über die So¬
wjetunion. Die Kinderbeilage umfaßte in der Regel eine Seite.
Sie bestand aus einer längeren Geschichte, die entweder von
Kindern oder von Erwachsenen — meistens präsentierten
KinderbuchautorInnen ihre neuen Werke — geschrieben wur¬
den. Neben Witzen, Zeichnungen und Rätseln existierte eine
Ecke mit der Überschrift Kinderpost, wo Briefe der Kinder be¬
antwortet wurden.

Die Kinder-AIZ war in erster Linie an ‚proletarische’ Kinder
adressiert; berichtet wurde von ihren Problemen und der
Armut, in der sie leben mußten; im Mittelpunkt der Erzäh¬
lungen und Berichte standen Arbeiterkinder mit ihren Sorgen
und Ängsten:

LIEBE KINDER-AIZ! Die Mutter hat für uns Kinder hie
und da Milch bekommen vom Bürgermeisteramt. Aber ich bin
schon acht Jahre alt und weil wir kein Geld haben, weil der
Vater schon lange arbeitslos ist, hat die Antschi, das ist meine
kleine Schwester, immer alle Milch bekommen. Aber auf ein¬
mal haben sie gesagt, es gibt keine Milch mehr. Aber die
Antschi ist doch noch so klein und muß Milch bekommen.
Meine Mutter und alle Frauen von den Arbeitslosen, die auch
keine Milch mehr bekommen sollten für ihre Kinder, sind zum
Rathaus gezogen, mit den Kindern und den Kinderwagen. Ich
bin natürlich mitgegangen. Alle Menschen auf den Straßen
blieben erstaunt stehen. Als wir ankamen, war gerade eine
Stadtratssitzung im Rathaus, und sie wollten uns nicht hinein¬
lassen. Die Polizei, die das Rathaus bewacht, wollte uns aus¬
einandertreiben. Aber wir blieben sehr lang stehen und war¬
teten so lange, bis der Stadtrat uns bewilligt hat, daß wir wei¬
ter Milch bekommen. Jetzt erhalten 500 Kinder wenigstens je¬
den Tag einen halben Liter Milch.

Tommy, Komotau.®

Dieser Bericht stellte keine Ausnahme dar, in fast jeder
Ausgabe der Kinder-AIZ wurde von der Armut der Kinder be¬
richtet. So hieß es in einem weiteren Brief:

Bei mir zuhaus, uns geht es schlecht, denn mein Vater und
meine Mutter sind arbeitslos, schon über 5 Jahre. In unserer
Famile sind vier Personen und von wöchentlich zwei Lebens¬
mittelkarten sollen wir leben. Das sind Kc 20.-, also kommt auf
einen Tag kaum Kc 3.-. Morgens muß ich oft ohne Essen zur
Schule gehen. Wenn ich aus der Schule komme, treffe ich mei¬
ne Bastlergruppe, dann zeichnen und basteln wir. Jetzt sind wir
froh, weil wir mit Schwämme- und Beerensuchen ein paar
Heller verdienen. Wir Pioniere haben uns einen großen Kessel
gekauft, denn wir machen alle 14 Tage einen Ausflug, und da
brauchen wir ihn zum kochen.’

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