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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Idee einer künftigen Musik, die auf der Dodekaphonie fußen, ihr gegenüber aber die Freiheit der künstlerischen Entscheidung wahren würde. Mit der Wahl des Textes ging Dessau auf die politische Lage und damit auf die Exilsituation ein. In einer Situation großer Hoffnungslosigkeit, in der sich nicht nur Dessau, sondern die ganze Welt 1940 befand - es herrschte Krieg in Europa, die Hitler-Armee hatte Erfolge, die Ausweitung zum Weltkrieg zeichnete sich ab, der Terror in den Konzentrationslagern gab zu schlimmsten Befürchtungen Anlaß -, griff Dessau zu einem Psalmtext, der die Hoffnung auf Befreiung zum Inhalt hat. „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten“ ist als Zuspruch an alle Verfolgten des NS-Regimes gedacht, besonders an die am stärksten gefährdete Gruppe der europäischen Juden. Das Judentum von Dessau und Eisler nur unter dem Gesichtspunkt von Religion und Religiosität zu behandeln, wäre verfehlt. Mit dem Jude-Sein verbindet sich ja auch eine bestimmte Kulturform, deren besondere Sprache, Lebensweise, Mentalität, regionale Streuung, Assimilierungs- und Akkulturationsprozesse usw. Gegenstand kulturgeschichtlicher Fragestellungen sein können. Dieser Bereich überschneidet sich wiederum mit der allgemeinen (politischen) Geschichte, in der das Judentum vor allem als unterdrückte und verfolgte Minderheit vorkommt. Daß das Judentum auch Gegenstand einer obskuren und von Anfang an obsoleten Rassenkunde wurde, ist neueren Datums. Erst im 19. Jahrhundert kam dieser Gedanke auf — nicht unwesentlich von Richard Wagner befördert, der bereits 1850 in seiner unter dem Pseudonym „K. Freigedank“ veröffentse. The years of the Nazi regime are our key points of reference. It stands to reason that there were and are other situations of persecution and exile which can be subjects of musicological research.“ Dessau hat den 126. Psalm in hebräischer Sprache geschrieben und seinem Freund Moshe Rudinow gewidmet. Dennoch scheint das Stück nicht für den Gebrauch in der Synagoge gedacht zu sein, sondern als eine Freundesgabe des Komponisten an den Kantor in dem Sinn, daß Dessau ihm eine Musik nahebringen wollte, die auf einer anderen Ebene liegt als die synagogale Gebrauchsmusik. Als einziges Werk dieser ganzen Gruppe mit hebräischer Vokalmusik ist der 126. Psalm in der Zwölftontechnik gehalten. Der teils strengere, teils freiere Umgang mit den Zwölftongesetzen hat seinen Grund in den beiden von Dessau so verstandenen inhaltlichen Ebenen des Psalmtextes, deren eine die objektiven Gegebenheiten des Glaubens, deren andere die subjektiven Gefühle des Gläubigen ausdrückt. Mit der Hoffnung der Gläubigen auf reiche „Ernte“ in einem befreiten Zion verband der Komponist zugleich die 46 hängigen Unausweichlichkeit des Judeseins das Wort redete in Verbindung mit der Zuordnung prinzipiell schlechter und schädlicher Eigenschaften.” Die Nazis dachten diesen Gedanken konsequent zu Ende und führten die bisher größte humane Katastrophe der Weltgeschichte herbei, den Holocaust bzw. die Shoah — die planmäßige Vernichtung der europäischen Juden. Die Frage nach dem Judentum oder dem Jude-Sein stellt sich deshalb heute anders als zu Zeiten Spinozas, Moses Mendelssohns oder Karl Marx’. Von der Vielfalt der möglichen Antworten kann man sich anhand des Sammelbandes Mein Judentum ein Bild machen, in dem u. a. Jurek Becker, Günther Anders, Manés Sperber, Gyorgy Ligeti, Hans Mayer, Wolfgang Hildesheimer und Robert Jungk autobiographische Essays veröffentlicht haben.” Zum Beispiel Ligeti.” Ligeti hat — wie er selbst berichtet” - nur zufällig das von den Nazis im März 1944 in Ungarn installierte Sztöjai-Regime überlebt. Der größte Teil seiner Verwandten kam in Auschwitz, Mauthausen oder BergenBelsen ums Leben, seine Mutter ist Überlebende des Frau