Die versteckte Gedenktafel:
„In diesem Hause [sic!] befand sich ...
bis zu seiner gewaltsamen Zerstörung ...
1938 ... der Storchentempel ...“
Bild entnommen aus:
Juden in Rudolfsheim-Fünfhaus. Hg. von
Christine Lewerenz-Weghuber.
Museumsverlag Rudolfsheim-Fünfhaus
22 im 15. Bezirk aufzustellen, an zuständige
Politiker im Bezirk heran, worauf am 4.11.
1998 aus Anlaß des 60jährigen Gedenkens
der Zerstörung der Synagoge in Anwesenheit
des Bezirksvorstehers Ing. Huber im Bereich
der Grünfläche zwischen Turnergasse und
Dingelstdedtgasse eine Kranzniederlegung
stattfand. Dazu wurden drei metallene Schil¬
der mit Bezug auf die Errichtung und Zer¬
störung der Synagoge aufgestellt, die kurz
darauf wieder entfernt wurden. In meinem
letzten Gespräch mit dem Bezirksvorsteher
am 12.10. 2000 wurde mir entgegengehalten,
daß eine im Gehsteigbereich aufgestellte
Gedenktafel öffentlich verunglimpft würde.
Bürgermeister Dr. Häupl ließ meinen am
3.11. 2000 für ihn abgegebenen Brief trotz
zweimaliger Urgenz bis heute unbeantwortet.
Am 29.9. 2001 sprach ich auch Kulturstadtrat
Dr. Mailath-Pokorny auf mein Anliegen an.
Kurze Zeit darauf ergab sich auch ein darüber
geführtes Gespräch mit dem Vorsteher des 13.
Bezirkes, Dipl.-Ing. Gerstbach, in dessen
Bezirk an der Kreuzung Eitelbergergasse/
Neue Welt-Gasse 1991 im Gehsteigbereich
eine auf die dort 1938 zerstörte Synagoge
hinweisende Gedenktafel mit einer Inschrift
auf Hebräisch und Deutsch aufgestellt wurde.
Diese um 1924-1926 nach Plänen der Archi¬
tekten Arthur Gruenberger und Adolf Jelletz
erbaute, in der „Reichskristallnacht“ am 10.
November 1938 zerstörte Synagoge war zu¬
folge des vom Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstandes herausgegebe¬
nen Buches „Gedenken und Mahnen in Wien
1934-1945“ der in den Jahren 1871/72 von
Prof. Carl König erbauten Synagoge in der
Turnergasse, die als Hauptsynagoge für die
Bezirke Meidling, Hietzing, Rudolfsheim
und Fünfhaus diente, nachgeordnet. Diese
Hauptsynagoge kam nach der Eingliederung
der jüdischen Gemeinde Fünfhaus in den di¬
rekten Verwaltungsbereich der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien.
Nach der von Christine Lewerenz-Weghuber
verfaßten, vom Museumsverlag Rudolfs¬
heim-Fünfhaus herausgegebenen Schrift
„Juden/Jews in Rudolfsheim-Fünfhaus“ leb¬
ten 1910 im früheren Fünfhaus etwa 2.400
Menschen jüdischen Glaubens und in Ru¬
dolfsheim etwa 3.750. Heute gibt es in
Rudolfsheim-Fünfhaus kein eigenständiges
Jüdisches Leben mehr. Umso weniger ist es
zu verstehen, daß es die Stadt Wien als heuti¬
ge Eigentümerin der vormals arisierten Lie¬
genschaft Turnergasse 22 im 15. Bezirk nicht
zuwegebringt, zumindest im Gehsteigbereich
eine für jeden sicht- und lesbare Gedenktafel
mit einer entsprechenden zweisprachigen
Inschrift (wie im Bezirk Hietzing) aufzustel¬
len!
Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß von den
im früheren Bezirk Fünfhaus, der 1938 auch
Rudolfsheim umfaßte, lebenden etwa 6.150
Jüdischen Mitmenschen ein Drittel ermordet
und zwei Drittel vertrieben wurden und wir
auch als Nachgeborene aus der gesellschaft¬
lichen Verantwortung heraus eine Verpflich¬
tung haben, uns der Wahrheit zu stellen, allein
schon um eine künftige Wiederholung einer
derartigen Katastrophe und Tragödie auszu¬
schließen, sollte kein verantwortungsvoller
Politiker und Vertreter der Stadt Wien zögern,
eine Öffentlich mit dieser Realität konfrontie¬
rende Gedenktafel aufzustellen.
Es genügt nicht, nur dort etwas zu tun, wo es
wie z.B. am Judenplatz im 1. Bezirk eine
weltweite Aufmerksamkeit gibt, während
nicht einmal vier Kilometer weiter in dersel¬
ben Stadt eine geschichtliche Aufarbeitung
tunlichst vermieden wird. Für die Enthüllung
eines der Turnergasse 22 nahen Gedenksteins
am 21.9. 2001 anläßlich des Jubiläums „300
Jahre Fünfhaus“ wurden zwei von Schülern
an die östliche Begrenzungsmauer des Parkes
Dingelstedtgasse-Clementinengasse gesprüh¬
te Graffiti mit den Themen „November¬
progrom 1938“ und „Nie wieder Menschen¬
hetze!“ sogar teilweise ubermalt oder mit
Stelltafeln zugedeckt. Anstatt die beiden
Graffiti unverändert in die fünf Tafeln mit
künstlerischen Darstellungen zu integrieren
und auch diesen Abschnitt der örtlichen
Geschichte in die Realität einzubeziehen,
wurden sie aus Anlaß des Festaktes, an dem
Bezirksvorsteher und Kulturstadtrat teilnah¬
men, zum Verschwinden gebracht. Auch das
ein Mißstand, der beseitigt werden sollte!
Wir wenden uns an unsere Leser: Wer die von
Dr.jur. Hans Grafinger erhobene Forderung
unterstützen will, könnte doch ein paar
freundliche Worte an den Bezirksvorsteher
Ing. Rolf Huber, magistratisches Bezirksamt,
A-1150 Wien, Gasg. 8-10, schreiben. Wir
wären auch dankbar, wenn wir von Menschen
erführen, die sich an die Synagoge in der
Turnergasse erinnern oder diese Synagoge
noch als Gläubige kennengelernt haben oder
etwas über das Rückstellungsverfahren mit¬
teilen können. — Red.
George Clare
Letzter Walzer in Wien
I Vor dem Hintergrund der politi¬
| schen und gesellschaftlichen Ent¬
5 wicklungen der Jahre 1816 bis
1 1943 beschreibt Clare präzise den
Untergang jüdischer Traditionen in
Österreich. »Die Familien meiner
Eltern waren typisch für jenen Teil
| des mittelosteuropäischen Juden¬
| tums, der, beeinflusst von Aufklä¬
rung und wirtschaftlichem Libera¬
# lismus, Gleichheit anstrebte und
| Teilhabe suchte. Es ist aber auch
1 die Geschichte all derer, die fest
J daran glaubten, dass ihre Schritte
‘| sie ins gelobte Land bringen wür¬
1 den, während sie in Wirklichkeit in
der Vernichtung endeten.«
Mandelbaum Verlag, 312 Seiten
Gebunden, ISBN 3-85476-052-3
1 EURO 19,90, Schw. Franken 35,10