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Beate Davidson, geb. 1912 in Frankfurt am Main als Tochter
des Internisten Dr. Lipstein in einer großbürgerlichen assimi¬
lierten jüdischen Familie. Nach der Ablegung des Abiturs
Studium der Medizin an der Universität Frankfurt. 1933 Fort¬
setzung des Studiums in Rom. Abschluß mit Auszeichnung.

1939 heiratete sie den Zahnarzt Dr. Davidson, der in Zürich
studierte, im selben Jahr gemeinsame Auswanderung nach
Palästina. Nachdem sie keine Lizenz zur Ausübung des medi¬
zinischen Berufes durch die englische Mandatsregierung er¬
halten hatte arbeitete sie als Volontärärztin ohne Gehalt
dreimal wöchentlich im Labor der Kinderabteilung des Ha¬
dassa Krankenhauses in Haifa, danach übersiedelte sie in den
Kibbuz Jagur, der ihren Mann als Zahnarzt nur mit Taschen¬
geld anstellte.

Nach zwei Jahren weitere Übersiedlung in den Kibbuz
Mezuba an der Nordgrenze, in der ihr Mann als Zahnarzt in
drei Kibbuzim Patienten behandelte. Sie wurde als Wäscherin
beschäftigt. 1943 nach der Geburt ihres Sohnes Joram
Lizenzerteilung. Anstellung als Ärztin im Krankenhaus Ha¬
Emek in Afula.

Abschied von Mezuba, Übersiedlung in den Kibbuz Bet¬
Alfa. 1947 Ende der Mitgliedschaft im Kibbuz, neuer Wohnort
Naharia mit Arbeit als Gynäkologin. Vorkämpferin für Fami¬
lienplanung. 1948 Geburt der Tochter Ruth. 23 Jahre Arbeit
als Frauenärztin in Akko.

Nach ihrer Pensionierung eröffnete sie eine Privatpraxis in
Naharia, wo sie bis heute wohnt.

Fünf Tage fuhren wir auf dem Schiff in einem stürmischen
Meer und viele der Passagiere wurden seekrank. Das Meer war
ruhig und die Sonne schien als wir im Hafen von Haifa einlie¬
fen. „Wir sind Hitler entkommen, entkommen den Verfol¬
gungen und Erniedrigungen, jetzt sind wir frei.“

Meine Schwiegermutter hatte ein Kapitalistenzertifikat, das
1000 Pfund Sterling gekostet hatte. Diese Summe forderten die
Briten, unter deren Oberhoheit das Land stand, für die Einwan¬
derungsgenehmigung. Mein Mann und ich kamen als Touri¬
sten, nicht als Kapitalisten oder Pioniere, die eine Ausbildung
durchgemacht hatten.

Vor den Hafenbehörden hatten wir als Touristen zu gelten,
deswegen kamen wir nur mit leichtem Gepäck. Das große
Gepäck Peters mit all den Instrumenten eines Zahnarztes sand¬
ten wir versichert separat. Es war Schicksal, daß dieses Gepäck
spurlos verloren ging. Nach Jahren stellte sich heraus, daß das
Gepäck irrtümlich nach Neuseeland ging und als es nach dem
Ausgangshafen Triest zurück geschickt wurde, war schon
Krieg. Das entband die Versicherung von allen Verpflichtun¬
gen, wir wurden nicht entschädigt. Das Fehlen der Instrumente
war für uns in den nächsten Jahren entscheidend.

Die Träger stürzten sich im Hafen auf uns. Einer nahm mir
den Koffer ab und nur mit Mühe konnten wir ihn zurück er¬
obern. Dieser Zwischenfall gab mir zu denken. Ich kannte die¬
se Szenerie aus dem Hafen von Neapel, aber hier hatten wir
Kraft anzuwenden, es war eine richtige Kraftprobe. Später ver¬

stand ich, daß diese Kraftproben zum Leben im Land gehörten,
wir hatten noch andere durchzustehen.

In Haifa war für uns ein Hotelzimmer bestellt und wir fühl¬
ten uns geschützt. Dort erreichte uns die erste schwere
Nachricht: Im Land waren Ausschreitungen der Araber, die
Juden angriffen, Minen legten und Bomben und Steine auf jü¬
dische Autobusse warfen. Einen Tag vor unserer Ankunft wur¬
de eine Bekannte von Peter durch einen Steinwurf der Araber
auf einen Autobus getötet. Zuerst dachte man, daß keine
Menschen im Autobus getroffen waren. Aber als diese Passa¬
gierin nicht an der Endstation ausstieg fand man sie tot von ei¬
nem Steinwurf auf den Kopf auf ihrem Sitz. Das war der erste
Schatten auf unserem Leben.

Alles erschien mir merkwürdig: Die Autobusse waren durch
Gitter an den Fenstern vor Steinwürfen geschützt. Der Anblick
erinnerte mich an die Polizeiautos in Deutschland. Haifa war,
und ist es noch heute, eine gemischte Stadt, in der Juden und
Araber leben. Das jüdische Haifa erstreckte sich über den
Carmelberg und eine Anzahl Straßen in Hadar Carmel am
Rand des Berges. Unten war der arabische Bezirk. Wenn man
den jüdischen Bezirk verließ, um zum arabischen zu gelangen,
drohte die Gefahr des Steinwurfs oder Schießens.

Die Auslagen der Geschäfte in Haifa sahen aus wie in klei¬

Phantasie vorgestellt. Die Kleidermode der Frauen war weit
entfernt von der Mode, an die ich gewöhnt war. Ich wunderte
mich, ob ich jemals ein Kleid im Land kaufen würde, beson¬
ders nach dem Leben in Rom.

Wir konnten uns nicht erlauben, längere Zeit im Hotel zu
wohnen, wir mußten ein Zimmer suchen. Das war eine schwie¬
rige Aufgabe, da wir noch nicht Hebräisch konnten. Im Land
waren wir wie Analphabeten. Wir konnten zwar schon die
Anzeige „Zimmer zu vermieten“ lesen, da sie gedruckt war.
Aber die Namen und Adressen der Vermieter konnten wir nicht
entziffern. Manchmal hatten wir Glück und wir fanden einen
bereitwilligen Übersetzer. Zum Schluß fanden wir ein Zimmer
und jetzt standen zwei dringende Aufgaben vor uns: Arbeit zu
finden und Aufenthaltsgenehmigungen zu erhalten. Das letz¬
tere war sehr dringend, denn unser Visum liefin Kürze ab und
wir fürchteten von den Briten ausgewiesen zu werden. Die
Rettung kam von meiner Schwiegermutter, die uns das nötige
Geld lieh, um zu beweisen, daß wir Kapitalisten waren. Das
verlieh uns das Recht, im Land zu bleiben. Wir waren gerettet.

Die Anpassung an die Gebräuche im Land war uns schwer.
Alles erschien uns verschieden von dem, was wir vorher kann¬
ten. Es war als wären wir auf einen anderen Planeten gewor¬
fen. Einige Erinnerungen habe ich noch: Es war die Zeit der
arabischen Terrorangriffe und es gab keinen Tag ohne ein
Opfer. Wenn der Getötete sephardischer Abstammung war, be¬
gleiteten Frauen die Beerdigung, die für Bezahlung in laute
Klagerufe ausbrachen, die Kopfhaare ausrissen und mit den
Nägeln ihr Gesicht zerkratzten. Das war ein erschütternder
Anblick und ein Schauder ergriff mich bei dem Anblick und
Anhören.

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