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einiger ‚Jekkes’ wurden sie von ihnen sogar schikaniert und
diskriminiert. Später erklärten Historiker dieses Phänomen
damit, daß die alteingesessenen Einwohner infolge der Über¬
heblichkeit, mit denen die deutschen Juden seinerzeit in
Europa den ‚Ostjuden’ begegnet waren, auf diese Weise ihre la¬
tenten Rachegefühle auslebten.

Der Beitrag der deutschen Juden zum Aufbau des Landes
und seiner Kultur war gewaltig und ist bis heute spürbar. Im
Laufe der Zeit gerieten ihre Leistungen in Vergessenheit, und
doch leben hier immer noch deutsche Juden, die Geschichte
gemacht haben, obwohl sie sich dessen damals gar nicht be¬
wußt waren.

Die meisten hatten in Großstädten gelebt und brachten
ihren urbanen Lebensstil in ein Land, dessen Bevölkerung sich
damals auf kleine Orte, Dörfer oder Kibbuzim verteilte. Doch
die Kultur und die Lebensweise dieser ‚Jekkes sagten den alt¬
eingesessenen Einwohnern nicht immer zu. Sie machten sich
über die Mentalität der deutschen Juden lustig, doch diese
hielten zäh an ihrer Kultur fest, die sie geprägt hatte und ihnen
half, mit allen Schwierigkeiten fertig zu werden. Sie hofften,
der übrigen Bevölkerung ihre kulturelle Tradition nahezu¬
bringen. Gleichzeitig hatten sie aber mit dem Dilemma zu
kämpfen, daß sie sich auch in das Land integrieren und echte
Israelis werden wollten.

Die ‚Jekkes’ hatten kein leichtes Schicksal — weder in
Deutschland noch in Palästina. Aus der alten Heimat wurden

sie mit Gewalt und Schande vertrieben, doch auch in der neu¬
en Heimat hatten sie einiges auszustehen. Die Lebensbedin¬
gungen waren schwer. Sie kamen in ein ödes Land voller Steine
und Sümpfe, mediterranem bis wüstenartigem Klima, sengen¬
der Hitze, Sandstürmen und allen möglichen asiatischen
Krankheiten. Doch sie mußten sich nicht nur mit der unwirtli¬
chen Umgebung, sondern auch mit einer Lebensweise ausein¬
andersetzen, die allem entgegengesetzt war, was sie von
Deutschland gewöhnt waren. Eines der größten Hindernisse,
das ihrer erfolgreichen Integration in die Gesellschaft im Wege
stand, war die Sprache. Während die osteuropäischen Juden
von Kindheit an Hebräisch lesen und schreiben konnten, weil
sie in der jüdischen Tradition gelebt hatten und mit hebräischen
Gebeten groß geworden waren, war für die deutschen Juden
das Hebräische ein fremdes, seltsames Idiom.

In Palästina herrschte Arbeitslosigkeit. Um die Arbeits¬
plätze, die schwere physische Arbeit im Wohnungs- oder
Straßenbau erforderte, bewarben sich auch Araber, die mehr
Erfahrung in der Branche hatten. Viele von den deutschen
Einwanderern waren Akademiker, Ärzte, Anwälte, Architekten
oder Angehörige anderer freier Berufe, deren Qualifikationen
zu jener Zeit kaum gefragt waren. Sie mußten sich von allen
möglichen Arbeiten ernähren, an die sie nicht gewöhnt waren,
und scheuten vor keiner Art von Mühsal zurück. Sie waren höf¬
lich, rücksichtsvoll und kultiviert, nahmen alles klaglos hin und
beschwerten sich nicht über diskriminierende Behandlung. “

„Jehie tow“, „Es wird gut werden“. Dies ist der Schlußsatz so
mancher Gespräche in Jerusalem, vor einem Marktstand mit
dem Verkäufer, im übervollen Autobus, auf der Straße oder zu
Hause, mit Freunden oder mit Fremden. Immer ist es dieser
Refrain, der wiederkehrt und eigentlich den Grundton des
Straßenrhythmus bildet.

In diesen zum Zerreißen gespannten Tagen drückt dieser
Satz unerschütterliche Zuversicht und Selbstvertrauen aus. Es
ist die anfeuernde Parole für die zweite Front, die [die] Zivil¬
bevölkerung mit Lebensmut erfüllt. Nichts kann stärker die
völlige Wandlung der Psyche des jüdischen Volkes in Palästina
auszeichnen als dieses kurze helle heitere Stakkato des Wortes:
„Jehie tow. Juden, an Leiden gewöhnt und geübt, ihrem tra¬
gischen Schicksal den Ausdruck andersartiger Klagen zu ver¬
leihen, klagen nicht mehr in Palästina. Sie ertragen Leid und
Tod, Abschied und Trauer mit Fassung; sie nehmen alle die
Unbilden und Entbehrungen des Alltags ohne Murren, mit
lächelndem Achselzucken hin, da dies ja alles sinnvolle Opfer
bedeute und sie die große Erlösung des Volkes, den jüdischen
Staat miterleben dürfen. Die Ghettoangst ist verschwunden.

Jahrelang war das laute Singen in Palästina verstummt.
Heute singt man wieder. Singend fahren die jungen Menschen
an die Front. Lastwagen, beladen mit Jungen und Mädchen,
sausen durch die Straßen, während der Schall der Lieder die
Stadt überschwemmt. Aus einem gepanzerten Auto steckt ein

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junger Soldat den Kopf heraus, um von Freunden Abschied zu
nehmen, bevor er zum gefährlichen Kampfblatt hinausfährt.
Sein Antlitz ist unbekümmert, er tröstet noch die Zurück¬
bleibenden: „Auf Wiedersehen. Jehie tow.“

Eine junge Frau, ein Kind an der Hand, steht in der langen
Reihe, um eine Milchration zu erhalten. „Wie soll man heute
ein Kind ernähren?“ sagt sie mit einem leisen Seufzer zu ihrer
Nachbarin. „Das Kind soll doch wachsen.“ — „Nun, es wächst
trotz alledem und gedeiht“, unterbricht sie sich mit einem kur¬
zen Auflachen, als wollte sie sich selber aufmuntern. „Es wird
schon gut werden. Jehie tow.“

„Man muß mit Wasser sparen“, sagt die alte Reinmachefrau
und blickt etwas bekümmert in den halbvollen Eimer. „Nun, es
wird auch so sauber werden“. Sie ist schon an Schwierigkeiten
gewöhnt; mußte sie doch vor einigen Wochen mit ihrer Tochter
und sieben Enkelkindern Hals über Kopf aus ihrer Wohnung
in einer gefährdeten Gegend heraus und ist nun in dem Haus
eines verlassenen arabischen Vorortes einquartiert. „Wir woh¬
nen jetzt so schön wie in einem Palast“, erzählt sie. ,,Jehie tow.“

„Bald können wir in das Ausland telegraphieren“, beruhigt
der Bankier seine Kunden. „Noch etwas Geduld. Es wird al¬
les in beste Ordnung kommen.“ — Wir müssen lernen, mit Holz
zu heizen und alles zu kochen“, sagt eine energische Hausfrau.
„Mein Mann hat mir einen Herd gebaut, ein Meisterwerk. Er
raucht etwas, aber er geht ganz gut. Es muß gut sein.“